Dritter Artikel. Die Engel sind geschaffen in der Gnade.
a) Dem scheint entgegen zu sein: I. Augustin, der da (2. sup. Gen. ad litt. 8.) sagt: „Zuerst ward die Engelnatur als unvollendete geschaffen und caelum genannt; nachher ward sie vollendet und Licht genannt.“ Diese Vollendung aber geschah durch die Gnade. Also waren die Engel nicht in der Gnade geschaffen. II. Die Gnade neigt die vernünftige Kreatur zu Gott hin. Wären also die Engel in der Gnade geschaffen worden, so hätte sich keiner von Gott abgewandt. III. Die Gnade steht in der Mitte zwischen Natur und Herrlichkeit. Die Engel aber waren nicht im Anfange ihrer Erschaffung selig in der Herrlichkeit. Also waren sie auch nicht in der Gnade geschaffen. Vielmehr erhielten sie zuerst ihre Natur; dann die Gnade; dann wurden sie selig. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (12. de Civ. cap. 9.): „Wer anders machte in den Engeln den guten Willen wie jener, der zugleich mit ihrem Willen sie mit jener keuschen Liebe, mit der sie Ihm anhingen, geschaffen hat; und zu gleicher Zeit in ihnen die Natur gründete und die Gnade verlieh.“
b) Ich antworte, daß über diesen Punkt verschiedene Meinungen sind. Es ist jedoch wahrscheinlicher und den Aussprüchen der Heiligen entsprechender, zu sagen, die Engel seien in der heiligmachenden Gnade geschaffen worden. Denn so sehen wir es in der Natur, daß alles, was im Verlaufe der Zeit kraft der Einwirkung der göttlichen Fürsehung sich entwickelt, in der ersten Hervorbringung der Dinge bereits sich wie im Samen befunden hat (August. 8. sup. Gen. ad litt. 3.; et 5. I. c. 23.); wie der Same der Pflanzen und Tiere da bereits bestand. Nun ist es aber offenbar, daß die heiligmachende Gnade mit Rücksicht auf die ewige Seligkeit sich wie der Same verhält in der Natur mit Rücksicht auf die natürliche Frucht. Wie also in der ersten Verursachung der Dinge der Same von allem dem sich bereits vorfand, was später sich entwickelte in der Natur; so wurden auch die Engel gleich im Anfange in der Gnade geschaffen.
c) I. Jener Mangel an Vollendung oder „Formlosigkeit“, wovon Augustin spricht, kann verstanden werden mit Rücksicht auf die Vollendung in der Herrlichkeit; — und dann ging er der Zeit nach der letzteren vorher. Oder er geht der Vollendung vorher, welche von der Gnade kommt; und so ist er gleichzeitig mit der Vollendung und geht nur vorher wie das Mögliche und Vollendbare als solches nach der Auffassung der Vernunft immer vor der Vollendung, das Werden vor dem Gewordensein ist. II. Jegliche Form neigt ihr Subjekt, wo sie ist, zu etwas hin gemäß der Art und Weise der Natur des letzteren. Nun ist es die Art und Weise der vernünftigen Natur, daß sie mit Freiheit will, was sie will. Und somit legt die Gnade der vernünftigen Natur keine Notwendigkeit auf; sondern wer die Gnade hat, kann dieselbe ungebraucht lassen und sündigen. III. Obgleich die Gnade zwischen Natur und Herrlichkeit vermittelt, durfte doch die Herrlichkeit nicht zugleich mit der Natur geschaffen werden, weil sie der Endzweck der natürlichen Thätigkeit ist, soweit letztere den Beistand der Gnade findet. Die Gnade verhält sich nicht wie Endzweck der Thätigkeit, denn „sie ist nicht aus den Werken“, sondern sie ist viel mehr Princip, also Anfang, um gut zu wirken. Und sonach war es zukömmlich, zugleich mit der Natur die Gnade zu verleihen.
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