Fünfter Artikel. Ein verdienstvoller Akt genügte für den Engel zur Erreichung der Seligkeit.
a) Der Gegenbehauptung stehen folgende Gründe zur Seite: I. Schwerer ist es für den Menschen gut zu handeln, wie für den Engel. Der Mensch aber wird nicht gleich belohnt nach einem einzigen guten Akte. II. Gleich im Beginne seiner Erschaffung und im Augenblicke konnte der Engel einen Akt haben; da ja auch die Körper im Bereiche der Natur gleich im ersten Augenblicke ihrer Erschaffung in Bewegung zu sein anfangen. Und könnte eine körperliche Bewegung in einem Augenblicke vollzogen sein, wie das bei der Thätigkeit der Vernunft und des Willens der Fall ist, so hätten sie eine volle Bewegung im ersten Augenblicke ihres Erzeugtseins. Verdiente also der Engel in einem einzigen Willensakte seine Seligkeit, so war er im ersten Augenblicke seiner Erschaffung selig. III. Der Zustand der Seligkeit in den Engeln ist sehr weit entfernt vom Zustande ihrer Natur. Wo aber zwei Grenzpunkte sehr weit von einander entfernt sind, da giebt es viele Zwischenpunkte. Solche Zwischenpunkte nun können im vorliegenden Falle nur Verdienste sein. Also mußte der Engel durch viele Verdienste hindurch zur Seligkeit gelangen. Auf der anderen Seite ist die Beziehung der Seele und des Engels zur Seligkeit ungefähr die nämliche, so zwar, daß den Heiligen versprochen wird, sie würden den Engeln gleich sein. Die Seele aber, welche den Körper verläßt, erhält sogleich den Lohn der ewigen Seligkeit, wenn sie das Verdienst dazu hat und sonst kein Hindernis dafür besteht. Also gilt dies auch vom Engel. Derselbe hatte nun gleich im ersten Liebesakte das Verdienst für die Seligkeit. Also, da in ihm kein Hindernis besteht, wurde sie ihm sogleich zu teil.
b) Ich antworte, daß der Engel sogleich nach dem ersten Liebesakte, mit dem er die Seligkeit verdiente, selig wurde. Der Grund davon ist, daß die Gnade nach der Eigenheit der betreffenden Natur diese vollendet; wie ja jedes Wesen gemäß seiner Seinseschaffenheit eine Vollendung in sich aufnimmt. Nun ist dies der Engelnatur eigen, daß sie die ihrer Natur gebührende und von derselben geforderte Vollendung nicht nach und nach, durch Schließen von einem auf das andere, erlangt, sondern mit ihrer Natur selber deren natürliche Vollendung hat. (Kap. 58, Art. 3 und 4.) Im selben Maße also wie kraft seiner Natur der Engel Beziehung hat zur natürlichen Vollendung, so hat er kraft des Verdienstes Beziehung zur übernatürlichen Vollendung, zur Herrlichkeit. Und somit hat der Engel gleich nach dem ersten Verdienste die Herrlichkeit erhalten. Das Verdienst aber kann auch im Menschen in einem einzigen Akte bestehen; denn durch jeden Liebesakt verdient der Mensch die Seligkeit. Also folgt, daß der Engel sogleich nach einem Akte übernatürlicher Liebe die Seligkeit erlangt hat.
c) I. Gemäß seiner Natur ist der Mensch nicht dazu gemacht, sogleich die letzte Vollendung zu erhalten wie der Engel; und danach hat der Mensch einen längeren Weg dazu nötig. II. Der Engel ist über die Zeit des Körperlichen erhaben. Also verschiedene Augenblicke werden beim Engel nur gezählt gemäß der Aufeinanderfolge in den Akten selber. Zugleich aber konnte nicht sein der verdienstvolle Akt und der Seligkeits-Akt; da für den einen eine unvollkommene Gnade, für den anderen die abschließende Gnade erforderlich ist. Also sind es zwei Augenblicke; im ersten verdiente er die Seligkeit, im anderen war er selig. III. Der Natur des Engels kommt es zu, daß er gleich seine Vollendung erhält, zu welcher er Beziehung hat; und deshalb wird nur ein verdienstvoller Akt erfordert, der in der Weise als Zwischenpunkt aufgefaßt werden kann, weil gemäß ihm der Engel zur Seligkeit hingeordnet wird.
