2.
Dagegen könnte man einwenden: »Dies ist wohl wahr; aber wo ist eine so gerechte Seele, die durchweg Gott gefällig ist? Und das macht mich zittern.« Die meinige allerdings ist nicht so beschaffen; denn sie ist sehr elend, unnütz und mit tausend Armseligkeiten behaftet; aber Gott verfährt auch nicht mit uns wie die Menschen, da er weiß, welchen Schwachheiten wir unterworfen sind. Die Seele erkennt es, wenn sie Gott in Wahrheit liebt; sie schließt dies aus sehr deutlichen Zeichen, die sie in sich selbst gewahrt. Die Liebe bleibt nämlich bei denen, die zu einem sehr erhabenen Stande gelangt sind, nicht verborgen wie bei den Anfängern, sondern sie offenbart sie durch mächtige Antriebe und durch ein sehnsüchtiges Verlangen, Gott zu schauen, wie ich schon gesagt habe und ferner noch sagen werde. Da ist ihr alles, was nicht mit Gott oder wegen Gott geschieht, zuwider, quälend und peinigend; da findet sie auch in der Ruhe nichts als Ermüdung, weil sie sich von ihrer wahren Ruhe entfernt sieht. Es ist also ganz klar, daß die wahre Liebe, wie gesagt, nicht verborgen bleibt.
