3.
Ich muß auch bemerken, daß meiner Seele von jeder Vision oder Offenbarung, womit der Herr mich begnadigte, ein großer Gewinn verblieb, der bei einigen Visionen ein gar Vielfacher war. Von dem Anblicke Christi blieb mir der Eindruck seiner überaus großen Schönheit bis auf den heutigen Tag. Dazu hätte es schon genügt, ihn auch nur ein einziges Mal geschaut zu haben; um wieviel mehr mußte ich diese Wirkung in mir erfahren, nachdem der Herr mir diese Gnade so oft erwiesen. Ein überaus großer Nutzen erwuchs mir aus folgendem. Ich hatte nämlich den sehr großen und für mich sehr nachteiligen Fehler, zu Personen, die mir wohlgesinnt waren und mir gefielen, eine solche Zuneigung zu fassen, daß mein Gedächtnis mir das Andenken an sie mit großer Gewalt aufnötigte. Dabei hatte ich freilich nicht die Absicht, Gott zu beleidigen; ich freute mich nur, solche Personen zu sehen, sowie ihrer und ihrer guten Eigenschaften mich zu erinnern. Dies brachte meiner Seele nicht geringen Schaden. Nachdem ich aber die große Schönheit des Herrn geschaut, sah ich niemand mehr, der mir im Vergleiche mit ihm wohlgefallen oder mich nur eingenommen hätte; ein kurzer Blick auf das meiner Seele eingeprägte Bild reichte hin, um wieder ganz frei zu sein. Seitdem scheint mir vielmehr alles, was ich sehe, im Vergleiche mit der Vortrefflichkeit und Anmut, die ich an diesem Herrn geschaut, nur Ekel zu erregen. Es gibt auch kein Wissen und keine Art von Trost, worauf ich irgendeinen Wert legte, wenn ich damit die Freude beim Anhören eines einzigen Wortes aus dem göttlichen Mund vergleiche, um so weniger, wenn ich so viele Worte vernahm. Solange der Herr mir wegen meiner Sünden diese Erinnerung nicht hinwegnimmt, halte ich es für unmöglich, daß jemand anderer mein Gedächtnis so einnehmen könnte, daß es nicht durch einen kurzen Blick auf den Herrn gleich wieder frei würde.
