III. Beweis, daß die Quästionen des Philosophen Fragmente aus einer Streitschrift sind. Die Anlage dieser Streitschrift.
S. 961) Ein Hauptargument, daß diese Quaestiones nicht von Macarius componiert worden sind, sondern einer Streitschrift entstammen, ist von fast allen Gelehrten, die sich mit dem Werke beschäftigt haben, geltend gemacht worden — die Sprache. So schreibt Duchesne (a. a. O. S. 21): »Ethnicus inducitur sermone utens levi et expedito nec sine aliquo sale et acumine, ab eo genere mirum est quantum differat Macarii facundia gravis et ornata, repetitionibus abundans, oratorio plane modo se efferens etc. Ea autem stili disparitas et, ut ita dicam, diversa pugnandi ratio innuere videtur ficticium illud esse certamen, neque contra praesentem adversarium contendisse Macarium, sed per otium et quietem et objectiones produxisse et responsiones arte composuisse, immo si perpenderis, qua vi et quo acumine moveat difficultates ethnicus, ita ut nihil ex earum pondere detractum videatur, nihil ex felle malitiaque deminutum, facile mihi concedes, eius verba ex ipso libro descripta et parum immutata in medium prolata fuisse.« Dazu Wagemann (a. a. O. S. 285): »Sicher ist jedenfalls, daß die von dem heidnischen Philosophen wider das Christentum vorgebrachten Einwürfe nicht von Macarius herrübren, sondern der Schrift eines heidnischen Schriftstellers entlehnt sind. Das zeigt der ganze Inhalt und Ton dieser Angriffe; dafür spricht insbesondere die totale Verschiedenheit der Sprach- und Redeweise, die zwischen den Quaestiones des heidnischen Gegners und den Solutiones des christlichen Apologeten stattfindet: der Heide spricht kurz, scharf, schneidig, der christliche Apologet breit, schwülstig, in rednerischem Pathos, oft in ermüdenden Wiederholungen. In der Tat läßt sich ein größerer Unterschied in der Sprache und Stilisierung kaum denken als der zwischen dem Heiden und dem Christen hier bestehende, so daß allein schon dieses eine Argument die Annahme ausschließt, Macarius habe die Einwürfe selbst componiert oder in seiner Bearbeitung wiedergegeben. In bezug auf die Sprache des Philosophen ist aber noch besonders darauf hinzuweisen, daß sie mit poetischen S. 97und pretiösen Worten und Ausdrücken gleichsam bestickt ist1, während sich Macarius von solchen Zugaben wesentlich frei gehalten hat, in diesem einen Punkt sprachlich also der gschmackvollere ist2.
2) Ein weiteres Argument für die Selbständigkeit der Quaestiones liegt in ihrer höchst feindseligen und grimmigen, vom christlichen Standpunkt blasphemischen Kritik am Neuen Testament. Es ist ganz undenkbar, daß ein Christ selbständig diesen Ton gewählt und getroffen hätte. Wohl konnte er die heidnischen Einwürfe sachlich wiedergeben, aber diese treffsichere Kraft und beißende Ironie vermochte er nicht aufzubringen, um von den Schmähungen Christi ganz zu schweigen. Er hätte sich auch einer schweren Sünde schuldig gemacht, wenn er hier mehr getan hätte, als eine vorhandene Schrift auszuschreiben, um sie zu widerlegen.
3) Ferner ist die Selbständigkeit der Quaestiones dadurch S. 98gewährleistet, daß die Solutiones nur zum Teil die Schwierigkeiten treffen, die in jenen liegen. Sehr häufig geht Macarius an der eigentlichen Schwierigkeit vorbei und spinnt seinen eigenen Faden. Wie könnte er so verfahren sein, wenn er die Quaestiones selbst aus ihm bekannten mündlichen heidnischen Einwürfen und Urteilen gestaltet hätte?
4) u. 5) Da es sich um eine wirkliche Streitunterredung nicht gehandelt hat, so sind die angeführten Argumente nicht nur gegen die Hypothese entscheidend, die Quaestiones gebührten dem Macarius selbst3, sondern sie erweisen auch positiv, daß S. 99eine heidnische Streitschrift hier angenommen werden muß. Diese Annahme wird aber noch vollends bewiesen durch zwei Argumente, nämlich durch den Bibeltext, der in den Quaestiones vorliegt — er ist den abendländischen Texten verwandt, also höchstwahrscheinlich kein kleinasiatischer Text —, und durch die Erkenntnis, daß die Fragmente Teile einer wohldisponierten Schrift darstellen.4
Zunächst der Bibeltext. In den Quaestiones finden sich mehr als 90 Citate aus dem NT und 10 aus dem AT. Der Verfasser zeigt eine ausgezeichnete Bibelkenntnis. Was sein NT von den katholischen Briefen enthielt und ob es den Hebräerbrief und die Apokalypse des Johannes umfaßte, läßt sich leider nicht bzw. nicht direct feststellen. Da es aber die Petrus-Apokalypse enthalten 5, so darf man bestimmt behaupten, daß die S. 100Johannes-Apokalypse in ihm nicht gefehlt hat; denn eine NTliche Samlung mit der Petrus-Apokalypse, aber ohne die andere Apokalypse, ist schlechthin unbezeugt. Von dem Muratorischen Fragmentisten hören wir, daß seine Gemeinde, eine abendländische, »beide Apokalypsen in ihrem Kanon hatte, wenn auch »quidam« die Petrus-Apokalypse bezweifelten. Das Fehlen von Citaten aus dem Hebräerbrief in unseren Quaestiones und die Citate aus der Petrus-Apokalypse, die indirect auch die Johannes-Apokalypse bezeugen, ferner das Fehlen eines Citats aus dem 2. Petrusbrief — ihn anzuführen, war in IV, 6. 7 fast geboten, wenn er überhaupt bekannt war — führen bereits auf die freilich noch unsichere Vermutung, daß der Philosoph ein abendländisches Neues Testament benutzt hat.
Diese Vermutung kann durch die nähere Prüfung seiner Citate zwar nicht zur vollen Evidenz gebracht, aber doch sehr wahrscheinlich gemacht werden.6 Folgende Beobachtungen kommen hier in Betracht:
1) Das Markusev., welches der Philosoph las, enthielt den unechten Markusschluß (III, 16). Dieser war aber in der ältesten Zeit im Abendland viel verbreiteter als im Morgenland.
2) In Mark. 15, 34 las der Philosoph εἰς τί ὠνείδισάς με (II, 12). Ich habe in den Sitzungsberichten der K. Preuß. Akademie, 1901, S. 261 ff gezeigt, daß diese LA — sie ist für die ursprüngliche zu halten — die alte abendländische LA ist, die vom Cod. D, sodann von den drei lateinischen Codd. Colbert., Vindob. und Bobb. bezeugt ist, während sie im Morgenland von Anfang an durch die LA des Matthäus verdrängt worden ist.
3) In Mark. 5, 36 bieten nur unser Codex (II, 12) und D die Lesart (nach Matth.) πλήσας.
S. 101 4) In Joh. 12, 31 las (in II, 15) der Philosoph (1) vῦv κρίσις ἐστὶ τοῦ κόσμου (ohne τούτου) mit D, b, g, l vulg gegen die anderen Zeugen, (2) βληθήσεται mit D, a, c gegen die anderen Zeugen ἐκβληθήσεται).
5) In Matth. 26, 41 (Mark. 14, 38) las der Philosoph (III, 2) gegen alle griechischen Zeugen: ἵνα μὴ παρέλθῃ ἡμᾶς ὁ πειρασμός (cett. ἵνα μὴ ἔλθητε εἰς πειρασμόν), aber altlateinische Codd. bieten die LA: »ut transeat VOS temptatio«.
6) Daß der Philosoph im Text von Mark. 5, 8 ff (in III, 4) mit den Lateinern an mehreren Stellen zusammengeht, zeigt der dort gegebene kritische Apparat.
7) Das εἰς τὴν θάλασσav (III, 17) in Matth. 17, 20 = Luk. 17, 6 bieten mit unsrem Text nur D und die Lateiner (cett.: ἐν τ. θαλάσσῃ).
8) Das καί σοι δώσω in Matth. 16, 19 (nicht καὶ δώσω σοι) bieten mit unsrem Text (III, 19) nur DL7 und die Lateiner.
9) In Act. 12, 18 lassen neben θόρυβος (τάραχος) das οὐκ ὀλίγος mit unsrem Text (III, 22) nur D, Lucifer und 76 fort.
10) In Matth. 16, 18 (III, 22) bietet unser Text κατισχύσειν ἀτοῦ (d. h. also σου, die Worte sind indirect gegeben) mit Tatian.
11) In Gal. 2, 13 (III, 22) bietet unser Text συεκρίθησαν (nicht συνυπερεκρίθησαν) mit Codd. Lat. und Victorin gegen alle Griechen.
12) In Act. 22, 3 (III, 31) bietet unser Text ἐν Τάρςῳ τῆς Κιλικίας γενόμενος und nur D ebenso; alle übrigen Zeugen stellen ἐν T. τ. Κιλ. nach γενόμενος (bzw. γεγεννηημένος).
13) In I Kor. 10, 20 (III, 35) fehlt in unsrem Text καὶ οὐ θεῷ mit m56, Tertullian, Ambrosiaster.
14) In Joh. 3, 27 (IV, 7) bietet unser Text ποιεῖν οὐδέν, alle übrigen Zeugen λαμβάνειν οὐδέν, mit Ausnahme des Cod. Lat. e, welcher »facere« liest.
15) In I Kor. 8, 5 f hat unser Text (IV, 23) πολλοὶ κaὶ κύριοι πολλοί aus dem Folgenden vorweggenommen; ähnlich S. 102bieten nur DEd e Ambrosiaster schon an dieser Stelle θεοὶ καὶ
κύριοι. Cod. E ist bekanntlich nur eine Abschrift von E.
Diese Liste ist groß genug, 8 um das Urteil mit hoher Wahrscheinlichkeit aussprechen zu dürfen: der Philosoph hat ein
abendländisches NT vor sich gehabt.
In den Citaten des Macarius findet sich dergleichen nicht. Eine Prüfung ergibt, daß Macarius, der übrigens aus dem NT nicht viel in seinen »Solutiones« über das vom Philosophen Gebotene hinaus citiert hat, in der Regel einfach den Text seines Gegners hinnimmt und auf Grund desselben argumentiert. Was er sonst noch aus dem NT citiert, scheint aus dem Gedächtnis citiert zu sein; an einigen Stellen ist das gewiß. Recht viele Citate seines Gegners hat er zu wiederholen nicht für nötig gehalten (dies ist leider auch gerade bei wichtigen der Fall). Anders gelesen als sein Gegner hat er I Kor. 6, 11 (s. IV, 19 den Apparat und vgl. IV, 25, S. 206 ff,9 vielleicht auch Joh. 5, 46 [ἔγραψεν, ἔλεγεν]). II Kor. 11, 29 (III, 37 fol. 133) bietet er die ganz singuläre LA: τῷ πόνῳ πυρούμενος. Act. 18, 9f schreibt er (IV, 14): Λάλει, μὴ σιώπα, ὅτι μετὰ σοῦ εἰμι κὰι οὐδεὶς κακώσει σε (aus dem Gedächtnis? s. dagegen den Philosophen [IV, 4]: λάλει, ὅτι μετὰ σοῦ εἰμι κὰι οὐδεὶς ἐπιθήσεταί σοι τοῦ κακώσαί σε). In IV, 16 fol. 190 citiert er ganz singulär (aus dem Gedächtnis?): ἐνοικήσω ἐν ὑμῖν.
Interessant ist endlich Folgendes. Der Philosoph citiert in IV, 23 I Kor. 8, 5; Macarius wiederholt in seiner Erwiderung (IV, 29) die Stelle nicht; aber in der Solutio IV, 26 (gegen IV, 20) hat er von sich aus in einem anderen Zusammenhang die Stelle bereits angeführt und schreibt: καὶ γἀρ εἴπερ εἰσὶ θεοί, S. 103ὥσπερ oὖv εἰσι καὶ κύριοι πολλοί, ἀλλ᾿ ἠμῖν εἷς θεός, ἐξ οὗ τὰ πάντα. Das ist ein anderer Text als der des Philosophen, welcher schreibt: εἴπερ εἰσὶν οἱ λεγόμενοι θεοὶ πολλοὶ καὶ κύριοι πολλοί, εἴτε επὶ γῆς, εἴτε ἐν οὐρανῷ, ἀλλ᾿ ἡμῖν εἷς θεὸς καὶ πατήρ, ἐξ οὗ τὰ πάντα.
Es ist also deutlich, daß der Text des Philosophen gegenüber dem Texte des Macarius selbständig ist und daß er viele Merkmale eines abendländischen Textes trägt. Also stammt er aus einer Schrift und höchstwahrscheinlich aus einer abendländischen Schrift.
Daß es sich um eine Schrift oder um Auszüge aus einer solchen handelt, wird vollends evident, wenn sich nachweisen läßt, daß die Quaestionen nicht, wie es nach Macarius erscheinen kann, ein zusammenhangsloser Haufen von Einwendungen sind, sondern eine feste Struktur haben. Dies läßt sich erweisen. Man hat von III, 36 und IV, 1 auszugehen. In III, 36 schließt der Philosoph eine Reihe von schweren Angriffen auf Paulus mit den Worten: Ἀλλ᾿ ἠμεῖς ἕτι λέγειν κατὰ τοῦ Παύλου παυσόμεθα. Aber in IV, 1 (d. h. gleich darauf, am nächsten Tage der Disputation) scheint er das ganz vergessen zu haben; denn er beginnt mit den Worten: Πῶς παράγειν ὁ Παύλος λέγει τὸ σχῆμα τοῦ κόσμου κτλ.; das Rätsel löst sich, sobald man auf den Zusatz zu den Worten: ἔτι λέγειν κατὰ τοῦ Παύλου παυσόμεθα, und auf das Proömium zu Buch IV achtet. Dort heißt es: γνόντες αυτὸν [den Paulus] καθ᾿ ἑαυτοῦ τοιαύτην γιγαντομαχίαν λόγων καθοπλίσαντα, und hier: Συναχθέντων αὖθις οὐκ ολίγων .... ὥσπερ ἐξ ὑποθέσεώς τινος διατρέπειν ὑπ᾿ όψιν, ἱκανῶν ἡμᾶς ἐπιτηδεύσας προσώπων καὶ τὴν ἀποστολικὴν μετὰ γέλωτος πολλοῦν διεσπάραττε δόξαν λέγων. Wenn man mit Wagenmann übersetzt: »Er begann... den Ruhm der Apostel zu zerfleischen«, so verbaut man sich das Verständnis vollständig. Δόξα ist hier, wie so oft in der Schrift,10 »die Lehre«; Macarius teilt uns also mit, daß nunmehr die apostolische Lehre an die Reihe kommt. Das wirft ein helles Licht rückwärts auf III (Schluß) und vorwärts auf Buch IV und V. In der zweiten kleineren Hälfte des 3. Buchs hat der Philosoph gegen Petrus und Paulus gekämpft, S. 104aber nicht gegen ihre Lehre, sondern er hat die Personen in ihrer Schwäche, ihrer Unsittlichkeit und ihren inneren Widersprüchen zur Zielscheibe seines Angriffs gemacht. Nunmehr geht er im 4. Buch zur Bekämpfung der apostolischen Lehre über. Er schöpft diese Lehre aber nicht nur aus Paulus (Qu. 1. 2. 19), der Apostelgeschichte (4) und der Petrus-Apokalypse (6. 7), sondern setzt ihren Inhalt auch in einigen Quästionen einfach voraus, sich dabei an das AT anlehnend (20—24), oder entnimmt sie dem Evangelium (3. 5. 8. 9. 10). Man darf mit Sicherheit annehmen, daß sich dieser Angriff in Buch V fortgesetzt hat, in welchem, wie wir wissen (s. o. S. 21), u. a. Rom. 4, 3 behandelt war. Also waren Buch IV u. V der apostolischen Lehre gewidmet, für welche der Philosoph aber auch Stellen aus dem Evangelium herbeizog.
Nun ist aber ferner darauf zu achten, daß zwischen III, 20 und III, 21 (bzw. III, 27 und III, 28) ein Haupteinschnitt liegt (s. o. S. 8 n. 2). Er wird im Index durch die Überschrift hervorgehobeu: Ἑτέρας ὑποθέσεως ἀρχὴ ἐκ τῶν Πράξεων καὶ τοῦ Ἀποστόλου, und nun folgen die persönlichen Angriffe auf Petrus und Paulus (9 an der Zahl) ausschließlich aus der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen.
Endlich ist zu constatieren, daß sich III, 1—27 ebenso ausschließlich die Quaestiones auf Worte Jesu beziehen (13 Qu.), und dasselbe ist in den 10 Quaestiones des II. Buchs der Fall. Von dem I. Buch besitzen wir leider ja nur ein Fragment. Dasselbe bezieht sich auf ein Wunder Jesu (das blutflüssige Weib). Die Vermutung liegt nahe, daß das I. Buch die Wunder Jesu zerpflückt hat. Doch müssen wir das dahingestellt sein lassen. Auch so ist die Composition der Quaestiones straff und deutlich:
I. Teil. Buch I—III, 27: Angriffe auf das Evangelium, und zwar vielleicht (a) Buch I die absurden Wunder, die Jesus in den Evangelien zugeschrieben sind, (b) Buch II, 1—III, 27 die törichten, widerspruchsvollen, schwächlichen und empörenden Worte bzw. Lehren, die ihm ebendort beigelegt werden.
II. Teil. Buch III, 28—V fin. Angriffe auf die Apostelgeschichte und den Apostolos, und zwar (a) BuchIII, 28—43 die widerspruchsvolle, schwächliche und unsittliche Haltung des Petrus und Paulus, (b) Buch IV, 1 ff die absurde und unsittliche apostolische Lehre.
S. 105Daß der Hauptabschnitt in den Angriffen des Philosophen zwischen III, 20 und III, 21 (bzw. III, 27 und III, 28)
liegt, ist in der Gegenschrift des Macarius — durch die
Bucheinteilung und sonst — halb verwischt und verdeckt; eben dadurch aber ist erst recht deutlich, daß wir es mit einer wohl disponierten heidnischen Streitschrift, und nicht mit einem ungeordneten Haufen von Entwürfen zu tun haben.11
Läßt sich nun ein Zusammenhang bzw. eine Disposition auch
im einzelnen nach weisen?
Hier ergibt sich, wenn man das Verhältnis von je zwei
aufeinanderfolgenden Quaestiones untersucht, folgende Beobachtung :
1) In einer kleinen Anzahl von Fällen fehlt jeder Zusammenhang; so ist es bei II, 15 (im Verhältnis zu II, 14); III, 1; III, 3; III, 4; III, 15; III, 16; IV, 8. 9 (sie hängen unter sich zusammen); IV, 20.
2) In einer viel größeren Anzahl von Fällen ist der Anschluß vortrefflich und wird auch manchmal in der Rede hervorgehoben; so bei II, 13; II, 16; III, 17 (ὅμοιον τούτῳ, scil. Ill, 16); III, 18; III, 19 (es handelt sich in den letzten drei Quaestiones um Selbstwidersprüche Jesu); III, 20; III, 21; III, 22; III, 30; III, 31; III, 32; III, 33; III, 34; III, 35; III, 36, und fast überall in Buch IV.
3) In einigen Fällen — sie sind für unsern Zweck die wichtigsten — ist noch nachweisbar, daß zwischen zwei Quaestiones etwas ausgefallen ist. In II, 14 beginnt der Philosoph mit den Worten: Ἔστι κὰ ἕτερος λόγος δυνάμενος σάθραν ταύτην ἐλέγξαι τὴν δόξαν ὁ περὶ τῆς ἀναστάσεως. Dieses ταύτην τὴν δόξαν schwebt völlig in der Luft, schließt auch nicht an einen Gedanken an, der in II, 13 steht, so daß notwendig zwischen II, 13 und 14 S. 106etwas ausgefallen sein muß. — III, 2 beginnt: Οὐ μὴν ἀλλὰ κἀκεῖνο μεστὸν ἀσαφείας . . . τὸ ῥῆμα, aber in III, 1 ist gar kein Wort Jesu behandelt, sondern sein Schweigen vor seinen Richtern getadelt; also ist etwas ausgefallen. — III, 5 kann unmöglich auf III, 4 gefolgt sein; denn der Spruch vom Nadelöhr kann nicht nach der Geschichte von den Dämonen und den Schweinen gestanden haben, da er eingeführt ist mit den Worten: Ἄλλην δὲ τούτων ἀσαφεστέραν λέξιν ἐξετάσωμεν, ἔνθα φηοίν. Jene Perikope ist keine λέξις, sondern eine ἱστορία. — Auch III, 6 (Stillung des Sturms) kann nicht ursprünglich hinter III, 5 gestanden haben; denn das κἀκείνην ῥῆσιν, womit III, 6 beginnt, kann sich unmöglich auf das Wort vom Nadelöhr beziehen, vielmehr muß eine ἱστορία vorangegangen sein; denn der vorletzte Satz in III, 6 lautet: Ἐκ τούτων παιδικῶν ἱστοριῶν ἐγνώκαμεν σκηνὴν σεσοφισμένην εἶναι τὸ Εὐαγγέλιον. Also ist auch hier etwas ausgefallen, wenn man nicht III, 5 u. III, 6 umstellen will. — III, 7 kann nicht auf III, 6 gefolgt sein. Denn der Schlußsatz von III, 6 lautet: Ἐξ ὧν ἕκαστα ζητοῦμεν λεπτότερον, und der Anfangssatz von III, 7: Αὐτίκα γοῦν ἕτερον λεξείδιον εὑρόντες ἀνακόλουθον ὑπὸ τοῦ Χριοτοῦ τοῖς μαθηταῖς εἰρημένον κτλ. Aber in III, 6 ist überhaupt kein Wort Jesu enthalten und in III, 7 ff keine ζήτησις λεπτότερα im Vergleich mit den früheren. — IV, 8 endlich ist es nicht glaublich, daß das als »ἄλλο μυθωδέστερον« eingeführte »δόγμα« vom Reich Gottes als Senfkorn, Sauerteig usw. ursprünglich an die christliche Lehre vom Weltuntergang (IV, 6. 7) angeschlossen war. Also scheint auch hier etwas ausgefallen zu sein.
Also nur in wenigen Fällen fehlt jeder Zusammenhang zwischen aufeinanderfolgenden Quaestionen, in den meisten Fällen ist er vorhanden und in sechs Fällen muß er nachweisbar ursprünglich bestanden haben und ist erst nachträglich zerrissen.
Dieser Tatbestand läßt keine andere Deutung zu, als daß die Quästionen aus einer im ganzen wie im einzelnen wohl disponierten Schrift excerpiert sind,12 die einen bedeutenden S. 107Umfang hatte; denn wenn an 15 Stellen jetzt der Zusammenhang durchbrochen ist innerhalb der 43 Quästionen, die wir besitzen, wir aber nur die (etwas größere) Hälfte des Buchs kennen, so folgt, daß das ganze Werk, welches noch im Excerpt des Macarius etwa 80 Quästionen umfaßt haben muß, über 100 Quästionen enthielt. Daß es aber ein selbständiges schriftliches Werk gewesen ist, ist nunmehr erwiesen.
Als Worte, die teils ausschließlich, teils vorzüglich poetisch sind (entlehnt von Homer, Hesiod und den Tragikern) möchte ich z. B. αἰσίως, ἀκήρατος, ἀμαλδύνειν, βοῦς ἀροτὴρ καὶ καματηρός, βρέτας, ἑτερόφωνος, ἵστωρ, κερτομεῖν, κομπάζειν, κραδαίνεσθαι, λυπρός, μακρηγορεῖν, ουρανομήκης, πάταγος, πολύτροπος, σέλας in Anspruch nehmen. Der Verfasser hat sich sonst als Schriftsteller an Plato, Plutarch, Diodor gebildet; aber sein Stil ist ziemlich buntscheckig. Er liebt Bildungen wie ἀδίκημα, ἀνοσιούργημα, ἀτόπημα, κατόρθωμα, μηχάνημα, μύθευμα, τραγώδημα (diese Bildungen sind auch bei Porphyrius häufiger). Als jüngere Worte seien ἀλληγορικῶς, ἀλληνάλλως, γεγωνότερον, ἐξηχία, κενοφωνία, κωμητικός, κωμύδριον, παραπαίγνιον, τυμβωρυχία, ἡ ὑφήλιος verzeichnet, als seltnere ἀκλόνητος, ἀκρωτηριάζεσθαι, ἀποσκορακίζειν, ἀρίδηλος, βδελυρία, διαβρέχεσθαι, διϊππεύειν, καθυπείκειν, καταλεπτύνειν, μεληδόν, μυθάριον, μυστικώτερον, καταυλεῖσθαι (= irrideri), ὀθνεῖος, ὀνειρόπληξ, πολύοπτος, σινονῦν (= σίνεσθαι), σύναρσις, ὑπόπυρος, φέναξ. Sechs Worte, die er braucht, finden sich in Passows Lexikon nicht, nämlich ἀκαιροφωνία (III,7), ἀπακονᾶν (III, 34), ἀπομηρυκᾶσθαι (III, 35), ἐμφορίζειν (III, 15 ἐνεφορίσθη), ἐπισκήνιος (II, 16 λέξις), κλειδάρχης (III, 19). ↩
Sonst ist die Beweisführung des Griechen nach Inhalt und Form trefflich, ja in dieser wie in jener Hinsicht in zahlreichen Abschnitten das Musterbild einer präcisen und knappen Polemik. In einigen Ausführungen freilich hat sich der Verfasser dazu fortreißen lassen, in seinem Eifer zu viele und ungehörige Worte zu machen. Im allgemeinen aber herrscht in den Quaestiones gezügelte Kraft und ein eigener charaktervoller Stil. Aber auch Macarius hat nicht nur seinen eigenen Stil, sondern auch seltene Worte, die sich bei seinem Gegner nicht finden. ↩
Da man sich mit einem gewissen Scheine auf einige Stellen in den Quaestiones für die Ansicht berufen kann, sie seien von einem Christen, also von Macarius selbst, so seien diese hier kurz beleuchtet: In II, 14 und IV, 4 deutet der Verfasser mit hinreichender Klarheit an, daß ihn ein menschliches und sittliches Rühren überkommt angesichts der zahlreichen christlichen Märtyrer. Aber so waren nachweisbar auch viele andere Heiden gesinnt. Unser Verfasser bekundet freilich seine Antipathie gegen ungerechtes Blutvergießen, gegen alle Gewalttätigkeit und seinen zarten Gerechtigkeitssin besonders deutlich (II, 15; III, 22 und sonst), aber daß diese Tugenden bei ihm nicht christlich motiviert sind, zeigt allein schon die Beobachtung, daß er den Christengott für das ungerecht vergossene Blut der Märtyrer verantwortlich macht (a. a. O.). — Wenn wir III, 1 die Worte lesen: »Gebot aber auch die göttliche Vorschrift dem Christus das Leiden, so mußte er zwar die Strafe auf sich nehmen, jedoch das Leiden nicht ohne eine freimütige Rede erdulden«, so ist der Vordersatz, auch wenn er, wie ich glaube, nicht rein hypothetisch zu verstehen ist, keineswegs im Munde eines griechischen Philosophen unmöglich, vielmehr ganz am Platze. Der Philosoph dachte an Sokrates. — Die Reflexion in III, 4, daß, wenn nicht alle gerettet werden, der Nicht-Gerettete zum Ankläger des Geretteten wird, hat mit Christentum gar nichts zu tun, so fein das sittliche Gefühl ist, das hier zum Ausdruck kommt. — In III, 5 heißt es: »Daher scheinen mir diese Worte nicht von Christus herzurühren, wenn anders er die Richtschnur der Wahrheit überliefert hat«. Mit diesem Bedingungssatz fällt der Heide nicht etwa aus der Rolle; er sucht nur die Christen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Daß er selbst glaubt, Christus habe die Richtschnur der Wahrheit überliefert, folgt aus den Worten nicht sicher; aber er läßt die Möglichkeit doch offen. — Wenn der Grieche IV, 7 sagt: »Denn daß Gott der Vater des Himmels und der Erde ist, das wird vom Sohne (selbst) in den Worten bekannt: Vater, Herr Himmels und der Erde«, so zeigt der Context, in dem diese Worte stehen, deutlich, daß ein grimmiger Christenfeind spricht. Wenn er trotzdem Christus »den Sohn« nennt und voraussetzt, daß er der Schöpfer des Himmels sei, so ist das natürlich vom Standpunkt der Christen geredet, den er hier deshalb einnimmt, weil er ex concessis argumentieren will. Ebendeshalb beruft er sich auch im folgenden auf ATliche Stellen. Das konnte er, auch wenn er das AT ganz und gar verworfen hätte; aber es ist gewiß, daß er einiges Prophetische in ihm anerkannte, wie das nachweisbar auch andere heidnische Religionsphilosophen in jener Zeit getan haben. — In IV, 10 wird zugestanden, daß »unsre« d. h. die griechischen Vorfahren krank waren und schwer an den Sünden darniederlagen; aber das braucht kein christliches Bekenntnis zu sein; man vergleiche nur Seneca und manche andere spätere Philosophen. — Noch weniger ist natürlich die Beziehung auf eine Stelle bei Matthäus und im Exodus in IV, 21 ein Fallen aus der Rolle; denn es paßte ihm wirklich, was dort von den Engeln und vom Finger Gottes zu lesen stand. Auch kann der Ausdruck, daß der Mensch das schönste der Lebewesen und Gottes Ebenbild sei, keineswegs für specifisch christlich gelten, was eines Nachweises nicht bedarf. — Die zahlreichen Berufungen endlich in IV, 23 auf ATliche Stellen, um aus ihnen das Recht des Polytheismus zu beweisen, wird wohl niemand für Berufungen eines verkappten Christen halten wollen. Damit aber ist alles erschöpft, worauf man sich im Interesse der These, der Heide falle aus der Rolle, etwa berufen könnte. ↩
Durch diese Erkenntnis ist auch die an sich mögliche Annahme aufgehoben, die Quaestiones seien aus mehreren heidnischen Streitschriften excerpiert. Diese Annahme scheitert freilich schon an der durchgehenden sprachlichen, stilistischen und sachlichen Einheit der Quaestiones und an den nicht ganz seltenen Gedankenwiederholungen in denselben, man vgl. z. B. II, 14 mit III, 22 und IV, 4 etc. Übrigens, wer nicht spürt, daß in diesen Quaestiones ein energischer und geschlossener Geist in ehrlichem Kampfesmut und aus schwerer Sorge heraus das Wort genommen hat, dem ist nicht zu helfen. ↩
Durch nichts ist angedeutet, daß sie in dem NT, das der Grieche las, nicht volles kanonisches Ansehen hatte; denn die Worte: περιουσίας δ᾿ ἕνεκεν λελέχθω, mit denen er das erste Citat aus ihr einführt, dürfen nicht so verstanden werden, daß sie das Ansehen des Buchs als unsicher bezeichnen wollen. Wohl aber ist aus der Antwort des Macarius (IV, 16) deutlich, daß er das Buch den anderen heiligen Schriften nicht gleichstellt — wieder ein Beweis, daß die Quaestiones nicht von ihm componiert sind. ↩
Die Behauptung Crafers, die Citate seien sämtlich aus dem Gedächtnis geflossen und die Eigenheiten derselben somit willkürliche, bestätigt sich nicht. Kaum für einen einzelnen Fall trifft sie zu; in der größten Mehrzahl der Fälle zeigt die Vergleichung der Texte mit den Varianten des Tischendorfschen Apparats, daß hier schriftliche Überlieferung vorliegt. ↩
Mit dem Cod. L (Paris, saec. VIII) geht unser Text häufig zusammen; (in I Kor. 8, 4 lassen nur sie beide das zweite ὅτι aus); L aber ist im Abendland geschrieben, »a scriba, qui Graece fortasse nesciebat«, s. Gregory-Tischendorf, Nov. Test. Vol. Ill8 p. 381. ↩
Weggelassen sind alle die Fälle — auch eine ganz stattliche Zahl —, in denen der Philosoph auch mit D bzw. den Lateinern geht, wo aber morgenländische Codd. dieselbe LA bezeugen. Z. B. Matth. 10, 28 (III, 2) : φοβηθήτε (nicht φοβεῖσθε mit DS gegen alle übrigen Majuskeln. — Matth. 26, 10 (III, 7): γὰρ nach ἔργον fehlt mit ca a c ff1 g1·2 am fu for ing. — I Tim. 4, 1: πλάνης mit P vulg., Justin, Clemens Alex., Ambrosius, Augustin (> πλάνοι). — 1 Kor. 6, 11 (IV, 19): fehlt ἡμῶν nach κυρίου mit Add Iren., Tertull. — Matth. 22, 30 (IV, 21): fehlt θεοῦ nach ἄγγελοι mit BD a b c e f ff2 h q Ambr. ↩
Auf die Differenz zwischen den beiden Texten in Mark. 5, 9 (III, 4. 11) ist kein Gewicht zu legen, da der Text in III, 4 schwerlich in Ordnung ist (s. den Apparat). ↩
S. Z. B. II, 14. ↩
Die beiden Teile (Angriffe auf das Evangelium [Jesus] ; Angriffe auf Apostolos [die Personen der Apostel, die Lehre] scheinen auch ziemlich gleich lang gewesen zu sein. Der erste Teil umfaßte X + 10 + 13 Quaestiones, der zweite Teil 9 + 16 + X Quaestiones. Bemerkenswert ist aber noch, daß der erste Teil (Quaestiones aus dem Evangelium) mit solchen Capiteln schließt, die dem Verfasser geeignet erschienen, den Petrus bloßzustellen. Der zweite Teil aber beginnt mit solchen, indem er zur Apostelgeschichte und dem Apostolos übergeht. So bildete ihm die Figur des Petrus einen trefflichen Übergang aus dem ersten zum zweiten Teil. ↩
Die Disposition des Teils der Streitschrift, die im 4. Buch widerlegt ist, ist noch fast ebenso durchsichtig wie III, 21—36. I a) Die christliche Lehre vom Weltuntergang, die den Hellenen besonders anstößig war (IV, 1); b) der specielle Punkt der Entrückung der Lebenden (IV, 2); c) noch speciellere Punkte der christlichen Eschatologie, die bereits durch die Tatsachen widerlegt sind (IV, 3 — dieses Capitel wird ausdrücklich als Excurs [ἐν παραβύστῳ] bezeichnet —. 4. 5); d) Rückkehr zum Hauptpunkt: der angebliche Untergang nicht nur der Welt, sondern auch des Himmels (IV, 6. 7). Nun ist wohl eine Lücke anzunehmen (zwar ist IV, 7 u. 8 durch die Stichworte »Himmel« und »Himmelreich« miteinander verbunden; aber diese Verbindung ist schwerlich für ursprünglich zu halten). 11a) Die Ausdrücke : »Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, Sauerteig usw.« sind ganz mythisch; sie sind dem Unverständigen, für die doch das Evangelium geschrieben ist, unverständlich (IV, 8); b) Fortsetzung: aber die Bestimmung des Evangeliums für Kinder und Unverständige ist anstößig (IV, 9) : c) noch anstößiger ist seine Bestimmung für Unreine und Sünder (IV, 10.19). III. Die christliche Gotteslehre, Verbot des Polytheismus, der Bilder usw. (IV, 20—23). IV. Rückkehr zur Lehre von der Totenauferstehung (IV, 24). ↩
