1. Der Verfasser unsrer Streitschrift ist Porphyrius; denn
(1) die Religionsphilosophie und die positive Gesamthaltung des Verfassers stimmt mit der des Porphyrius überein;
(2) ebenso die Humanität und die allem Gewalttätigen abholde Gesinnung des Verfassers;
(3) ebenso sein entschiedenes Eintreten für die Ewigkeit des Himmels und der Erde, für die Erhabenheit, Allmacht und S. 138 Unveränderlichkeit des höchsten Gottes, ebenso seine Dämonen lehre usw.;
(4) wie Porphyrius ist unser Verfasser dem jüdischen Gesetz und dem AT relativ günstig gesinnt gegenüber der christlichen Gesetzlosigkeit;1
(5) unser Verfasser schreibt in derselben Zeit, in welcher Porphyrius sein großes Werk gegen die Christen verfaßt hat;2
(6) unser Verfasser ist, wie Porphyrius, ein Grieche, der mit Rom vertraut ist; entweder hat er in Rom geschrieben oder doch vorher lange Zeit dort zugebracht;3 er kennt römisch-kirchliche Localtraditionen;
(7) unser Verfasser benützt, wie Porphyrius,4 einen abendländischen Bibeltext, und auch der Umfang des NT, das unser Verfasser in der Hand hatte, spricht dafür, daß es ein abendländisches war;
(8) die Aufgabe, die sich unser Verfasser gestellt hat, durch Bekämpfung des Neuen Testaments (der Evangelisten und Apostel) die Kirche zu widerlegen, ist die Aufgabe, die sich auch Porphyrius vorgesetzt hat;5
(9) die Methode, die Gelehrsamkeit, der Scharfsinn in der Polemik (im großen und im einzelnen) ist die des Porphyrius;6
(10) eine Fülle von konkreten Einzelheiten in der Polemik (s. meine Bemerkungen zu II, (7). (10). 12 —14. 16; III, 1—6. 15—17. 19. 21. 22. 30. 32; IV, 7. 10. 19—22. 24) zeigt die Identität unsrer Streitschrift mit der des Porphyrius;
S. 139 (11) unser Verfasser scheint einst dem Christentum nahe gestanden und es dann verlassen zu haben; dasselbe wird in bezug auf Porphyrius von Sokrates und Augustin behauptet, und der Zweifel an dieser Nachricht ist nicht berechtigt.7
Eine Reihe von Einwürfen, die man gegen die Identität unseres Verfassers mit Porphyrius erhoben hat, erledigt sich bei näherer Untersuchung:
(a) Man hat gesagt (Geffcken S. 302), die Behauptung unsres Verfassers, die echten Schriften des Moses wären beim Brande des Tempels untergegangen, die vorhandenen aber von Esra und Genossen geschrieben, stimme nicht zu der Art und Weise, wie Porphyrius teils direct, teils indirect das Alter des Moses (d. h. offenbar seiner Schriften) auf Kosten der Griechen erhebe. Allein, abgesehen von der in schweren Widersprüchen sich bewegenden Entwicklung des Porphyrius, die schon den Alten aufgefallen ist8 — ein wirklicher Widerspruch liegt hier gar nicht vor; denn unser Verfasser läßt es offen, daß die Moses-Schriften doch echt sind; lediglich in der Polemik beutet er zunächst die Esra-Legende aus, um sie dann fallen zu lassen (III, 3).
(b) Geffcken behauptet (S. 303), Porphyrius habe Christus selbst nicht angegriffen, da unser Verfasser aber dies tue, könne er nicht mit jenem identisch sein. Allein das Urteil, welches Porphyrius, als er seine Orakelphilosophie niederschrieb, über S. 140 Christus gehegt hat und welches ein sehr günstiges war, ist von ihm in den 15 Büchern gegen die Christen nicht mehr festgehalten worden. Das bezeugt Hieronymus rund, der (adv. Pelag. II, 17, s. o. S. 119) schreibt: »Latrat Porphyrius, inconstantiae ac mutationis Jesum accusat«. Umgekehrt ist aber auch die Polemik unsres Verfassers gegen Christus, wie gezeigt worden ist, keine unbedingte; im Vergleich zu der Polemik gegen die Evangelisten und Apostel ist sie sehr zurückhaltend; augenscheinlich aber schiebt der Verfasser absichtlich sein sehr viel günstigeres Urteil über Christus in den Hintergrund. Was er an Christus tadelt, ist auch »inconstantia ac mutatio«. Also liegt kein Grund vor, die beiden Schriftsteller zu trennen.
(c) Geffcken (S. 302) behauptet, die Behandlung des Kannibalismus (III,13) zeige einen anderen Verfasser als Porphyrius. Allein das, was hier entgegengehalten wird, steht in der Schrift desselben de abstinentia. Diese Schrift ist später als das Werk gegen die Christen. Porphyrius hat seitdem zugelernt, seinen Standpunkt außerordentlich verschärft und über Menschenfresserei bessere Kunde gewonnen als früher. Wie man daher nicht ohne weiteres aus der älteren Schrift, der Orakelphilosophie, argumentieren darf, so auch nicht aus der späteren, de abstinentia.
(d) Auch der Umstand, daß Porphyrius in der Auferstehungsfrage (Auferstehungsleib) in dem Werk gegen die Christen eine feinere Darlegung bietet als unser Verfasser (IV, 24), bildet kein Gegenargument (gegen Geffcken S. 302); denn die Darlegungen schließen sich keineswegs aus, sondern können nebeneinander bestehen, und ebensowenig kann zugestanden werden (gegen Geffcken S. 303), daß Porphyrius’ Anschauung vom Bilderdienst einen tieferen Sinn zeige als die unsres Verfassers (IV, 21). Endlich ist es unerheblich, wenn sich in der Frage der Jungfräulichkeit und Eheschließung ein Widerspruch zwischen unsrer Schrift und dem Brief des Porphyrius an Marcella findet, denn gerade in diesen Fragen hat Porphyrius nachweisbar nicht immer denselben Standpunkt eingenommen.
So stimmt alles zusammen, um das Urteil zu befestigen, daß wir in der Streitschrift einfach das Werk des Porphyrius gegen die Christen zu erkennen haben;9 allein es sind doch ein S. 141 paar wichtige Beobachtungen übrig geblieben, die diesem Urteil entgegentreten, bzw. es zu modificieren zwingen.
Natürlich ist die Schätzung bei beiden nur eine relative, s. Porphyr. bei Euseb., h. e. VI, 19,4: τῆς δὴ μοχθηρίας τῶν Ἰουδαϊκῶν γραφῶν Οὐκ ἀπόστασιν, λύσιν δέ τινες εὑρεῖν προθυμηθέντες κτλ…. αἰνίγματα Γὰρ τὰ φανερῶς παρὰ Μωοεῖ λεγάμενα εἶναι κομπάσαντες καὶ ἐπιθειάσαντες ὡς θεσπίσματα πλήρη κρυφίων μυστηρίων διά τε τοῦ τύφου τὸ κριτικὸν τῆς ψυχῆς καταγοητεύσαντες, ἐπάγ0υσιν ἐξηγήσεις. ↩
Porphyrius schrieb seine 15 Bücher gegen die Christen in Sicilien um d. J. 270. ↩
Geffcken, a. a. O. S. 302, nennt ihn sogar einfach einen Römer. Das geht zu weit. ↩
S. oben S. 112 f. ↩
Eusebius, h. e. VI, 19, 2 de Porphyrio: διὰ συγγραμμάτων τὰς θείας γραφὰς διαβάλλειν πεπειραμένος ↩
Eingestreute Schmähungen bei beiden, s. Euseb. (1. c.) de Porphyrio : μηδὲν μηδαμῶς φαῦλον ἔγκλημα τοῖς δόγμασιν ἐπικαλεῖν δυνηθείς, ἀπορίᾳ λόγων ἐπὶ τὸ λοιδορεῖν τρέπεται. ↩
Socrates III, 23: Ἐκεῖνος μὲν γὰρ πληγὰς ἐv Καισαρείᾳ τῆς Παλαιστίνης ὑπό τινων Χριστιανῶν εἰληφὼς καὶ μὴ ἐνεγκὼν τὴν οργὴν ἐκ μελαγχολίας τὸν μὲν Χριστιανισμὸν ἀπέλειπε. μίσει δὲ τῶν τυπτησάντων αὐτὸν εἰς τὸ βλάσφημα κατὰ τῶν Χριστιανῶν γράφειν ἐξέπεσεν, ὡς αὐτὸν Ευσέβιος ὁ Παμφίλου ἐξέλεγξεν, ἀνασκευάσας τοὺς λόγους αὐτοῦ. Der Pragmatismus mag falsch sein, aber die Tatsache selbst bleibt deshalb doch bestehen, s. Augustin, de civ. dei 10, 28: »Si sapientiam vere ac fideliter amasses, Christum dei virtutem et dei sapientiam cognovisses, nec ab eius saluberrima humilitate, tumore inflatus vanae scientiae, resiluisses«. In welchem Verhältnis Porphyrius einst zur Kirche gestanden hat, bleibt allerdings dunkel; es gab verschiedene Grade der Zugehörigkeit bzw. Annäherung. ↩
S. Eunap., Vita Porphyr. 21: Φαίνεται δὲ ἀφικόμενος εἰς γῆρας βαθύ. πολλὰς γοῦν τοῖς ἤδη προπεπραγματευμένοις βιβλίοις θεωρίας ἐναντίας κατελιπε, περὶ ὧν οὐκ ἔστιν ἕτερόν τι δοξάζειν ἢ ὅτι προϊὼν ἕτερα ἐδόξασεν. ↩
Ursprünglich stand er dem Christentum nicht nur innerlich, sondern irgendwie auch äußerlich nahe. Dann verließ er dasselbe, aber in der Schrift »Philosophie aus den Orakeln« ist er nicht nur ein Bewunderer, sondern noch immer ein Verehrer des göttlichen Christus. Eine gewisse Hochschätzung desselben zeigt er auch in dem großen Werke gegen die Christen; er entlastet ihn, indem er die Evangelisten als Erfinder und Betrüger brandmarkt und die Jünger Jesu des Abfalls zeiht, aber er übt doch auch Kritik an ihm und zeiht ihn der Unbeständigkeit und des Widerspruchs. Von einer Göttlichkeit Jesu will er jedenfalls nichts wissen. In der Schrift über die Enthaltsamkeit beobachtet er ein verächtliches Schweigen in bezug auf die Christen, während er auf die Juden ausführlich eingeht. In dem Brief an Marcella endlich schweigt er zwar auch über Christus und die Christen; aber in die Ermahnungen an seine Gattin fließen leicht umgeprägte christliche Gedanken ein (ganz fehlen solche Wendungen auch in dem Werk über die Enthaltsamkeit nicht, s. z. B. II, 33: ἐγὼ τὰ μὲν κεκρατηκότα παρ᾿ ἑκάστοις νόμιμα λύσων οὐκ 'έρχομαι. I, 31 : χιτὼν δερμάτινος). Sind es Erinnerungen aus der Jugendzeit oder sind sie neu aufgenommen? Zu vergleichen ist besonders c. 24: τέσσαρα στοιχεῖα μάλιστα κεκρατύνθω περὶ θεοῦ· πίστις, ἀλήθεια, ἔρως, ἐλπίς. ↩
