Passion der Heiligen Viktor und Ursus
S. 23 Es beginnt die Passion der hochseligen Märtyrer Viktor und Ursus.
Als das wütende Vorgehen des Kaisers Maximian, der sich mit Diokletian in die Herrschaft über das Römerreich teilte, auch auf die gallischen Völkerschaften übergriff, schickte er überallhin Soldaten, um daselbst auf diese Weise den christlichen Namen womöglich völlig auszuloschen. Zur Hinrichtung der zahlreichen Christen bestimmte er neben andern Truppeneinheiten auch die hochselige Thebäische Legion. Man hatte diese aus den östlichen Provinzen herangezogen, und sie diente dem Römischen Reich in Treue. Dabei zeichnete sich die hochheilige Legion wie durch Kriegstüchtigkeit so auch durch Mannhaftigkeit ans, noch mehr aber durch Glaube und Frömmigkeit; denn sie wetteiferte in Tapferkeit gegenüber dem Kaiser und Hingabe gegenüber Christus.
An ihrer Spitze standen Mauritius, Exuperius, Candidus, Viktor, Innozentius und Vitalis. Diese waren im Rang über allen andern. Sie verteilten im Lager die Heeresabteilungen und bestimmten den Aufmarsch der Waffengattungen. Ein zweiter Viktor hatte den Militärdienst schon abgeschlossen. Als Veteran ge hörte er weder zur Legion, noch war er überhaupt Soldat. Doch stieß er auf einer Reise unversehens auf Mannschaften, die überall voller Freude über die den Märtyrern abgenommene Beute sich daran gütlich taten. Als wahrer Christ gab er seiner Abscheu über die Prasser und ihr Gelage Ausdruck. Da stürzten sie S. 24sich auf ihn und töteten ihn. So kam es, daß er wie im Tode so auch in der Verherrlichung den andern Märtyrern beigesellt wurde.
Die hochselige Legion der Thebäer nun hatte den Mut, solcher Grausamkeit den Dienst zu versagen und verweigerte Maximian den Gehorsam gegen die gottfeindlichen Befehle. Als dieser ihren Bescheid erfuhr, entbrannte er vor Zorn oh der Mißachtung seiner Erlasse und gab Befehl, jeden zehnten Mann aus der Legion mit dem Schwerte hinzurichten. Da suchten Viktor und Ursus der Wut des Tyrannen zu entgehen und entwichen nach dem an der Aare gelegenen Kastrum Solothurn. Aus dem gleichen Grunde zog Gereon mit seinen Gefährten nach der Stadt Köln, wo sie später doch noch die Gnade des Martyriums für Christus verdienten.
Viktor und Ursus nun wurden auf Geheiß des gottlosen Maximian vom Gerichtsvollzieher Hirtacus gefoltert. Götzenpriester sprachen ihnen zu, sie möchten doch den Dämonen opfern und den gottlosen Anordnungen Maximians Folge leisten. Sie aber wollten lieber sterben. Darum gaben sie zur Antwort, ihre Pflicht sei es, Gott im Himmel zu gehorchen und seine Gesetze zu erfüllen, nicht aber die Christglaubigen einem gewaltsamen Tod auszuliefern. Ihre Rechte verstünde sich recht wohl darauf, Missetäter niederzumachen, nicht aber ehrbare und unbescholtene Leute; nicht gegen Fromme, sondern gegen Gottlose würden sie zum Schwerte greifen. Ob solcher und ähnlicher Antworten entbrannte Hirtacus vor Ingrimm und gab Befehl, sie grausamen Folterqualen zu unterwerfcn. So wurden sie denn gefoltert, in schwere Fesseln gelegt S. 25und geschlagen. Sie aber priesen den allmächtigen Gott und dankten ihm bei allem, weil sie würdig befun den wurden, für den Namen Christi Schmach zu erleiden. Da erstrahlte über ihnen ein himmlisches Licht, und die Handlanger des Verbrechens stürzten zur Erde. Die Fesseln jener aber sprangen auf, und sie waren frei.
Hirtacus schrieb dies alles zauberischen Künsten zu und ließ gegen die heiligen Märtyrer Viktor und Ursus Feuer anwenden. Diese aber sangen Gott dem Vater und seinem Sohne Jesus Christus sowie dem Heiligen Geiste Danklieder. Voller Abscheu über die Tyrannei des Kaisers und seine Erlasse stiegen sie standhaft in das Feuer. Aber die von den Händen der Gottlosen eifrigst entfachte Glut wurde durch eine göttliche Erscheinung plötzlich erstickt. Es strömte nämlich ein heftiger Regen nieder und brachte den brennenden Scheiterhaufen zum Erlöschen. So konnten die Heiligen Gottes vor aller Augen völlig unversehrt weggehen. Ob solchem Anblick wurden die Umstehenden von Staunen ergriffen und verehrten die Spuren der Märtyrer.
Als Hirtacus das sah, wurde er durch göttliche Zulassung noch mehr verhärtet und verurteilte sie zur Hinrichtung durch das Schwert. Die heiligen Blutzeugen Gottes Viktor und Ursus vemahmen dies Urteil. Sie kämpften ihren guten Kampf und vollendeten voller Freude die Laufbahn ihres leiblichen Lebens. Treu im Glauben, beugten sie ihren Nacken und harrten des Scharfrichters. In Gebet empfahlen sie die Seelen ihrem Herrn und Gott, für dessen Namen sie das Leben dahingaben, und, vom Schwerte getroffen, gingen sie ein in das Himmelreich. Die Leiber der hochseligen Märtyrer S. 26 jedoch erstrahlten in lichtem Glanze. Sie wurden von den Christen ehrerbietig erhoben und unweit von genanntem Kastrum beigesetzt.
Der heilige Viktor wurde später in die Stadt Genf übertragen, und zwar aus folgendem Grund: Als beim Burgundervolk Godegisil regierte, ließ die berühmte Konigin Theutsinde aus Verehrung für den hochseligen Märtyrer unweit der Stadt Genf in prächtiger Lage eine Basilika gründen und errichten. Bischof dieser Stadt war damals der heilige Domitian. Zu seinem Sprengel gehörten nicht bloß die Dörfer und Kastren an beiden Ufern des Sees, sondern auch das an der Aare gelegene Kastrum Solothurn. Als der Bau vollendet und feierlich eingeweiht war, bat die Konigin den heiligen Bischof Domitian um die Erlaubnis, nach dem Willen des Herrn den Leib des heiligen Viktor aus der ursprünglichen Begräbnisstatte in die von ihr erbaute Kirche übertragen zu dürfen. Der Heilige gab sein Einverständnis.
Da versammelten sich von überall her ganze Scharen von Volk mit ihren Priestern. Umringt von Gruppen Gläubiger gelangte sie schließlich in die Stadt, welche den heiligen Leib des Märtyrers barg. Von allen Seiten ertönte Psalmengesang, und zahlreiche Lichter wurden angezündet. Nach drei Tagen des Fastens und Wachens öffnete man das Grab. Da erbebte der ganze Ort, wo der Märtyrer lag, so daß ob eines solchen Wunderzeichens alle von Angst und Bangen befallen wurden. Darum brachten sie auch diesen Tag und die S. 27folgende Nacht noch mit feierlichem Fasten und Beten zu. Erst jetzt erhoben sie die ehrwürdigen Überreste und legten sie in einen Schrein. Scharen von Volk gingen voran und folgten. Mit heiliger Feierlichkeit hielt man so Einzug in die Stadt Genf, und unter dem Klang der zum Himmel steigenden Lobgesänge von Klerus und Volk gelangte man zur Kirche, darin die Überreste beigesetzt werden sollten. Bischöfe und Priester stellten eine Marmorplatte bereit, und der heilige Leib wurde mit geziemenden Ehren verschlossen. Eine Zeitlang blieb er so aufbewahrt. Dann wurde er zum Ruhme der Völkerschaften den Blicken entzogen.
Als spater Theuderich über Franken und Burgunder herrschte, war Genf eine seiner Residenzstädte, wie dies bei den Burgunderkönigen immer üblich gewesen. Als nun der König sich einmal dort aufhielt, geschah es, daß heilige Bischöfe in dieser Königsstadt sich einfanden. Es waren Hiconius von Maurienne, ein ehemaliger Schüler des seligen Cadoold, Bischofs von Vienne, und die vom genannten Bischof Maurienne geweihten Rusticus und Patricius; dazu gleichzeitig andere Priester und vornehme Männer von überall her. Die letztgenannten Bischöfe waren der eine von Martigny, der andere von Tarantaise. In Genf soll damals der heilige Papolus Bischof gewesen sein, ein Mann von wundersamer Heiligkeit, doch von der Last der Jahre bereits gebeugt.
Diese nun beteten einen Hymnus zum Herrn und begaben sich alsdann nächtlicherweile in aller Heimlichkeit zur Stelle, von der es allgemein hieß, daß daselbst der heilige Märtyrer beigesetzt worden sei. Damit S. 28sich späterhin kein Zweifel über den Leib des Heiligen erheben könne, entfernten sie mit ihren geweihten Händen den Stein, der das ehrwürdige Grab bedeckte. So fanden sie den Leib des heiligen Märtyrers, höchst ehrenvoll beigesetzt in einem herrlich silberverzierten Holzschrein, ganz wie man ihn seinerzeit gefertigt hatte. Ihre Zweifel waren nun der Sicherheit gewichen. Sie küßten das hochheilige Unterpfand, schmückten die Stätte geziemend und brachten sie wieder in Ordnung. Alsdann zogen sie sich wieder zurück, den Herrn lobpreisend.
Von altersher waren zum Gedenken an den heiligen Märtyrer zahlreiche Wunder geschehen. So auch jetzt wieder. Es strömten daher aus vielen Orten ganze Scharen von Volk daselbst zusammen. Einmal kam es vor, daß eine zu Ehren des heiligen Märtyrers gestiftete Kerze von einer Frauensperson diebischerweise weggenommen wurde. Sie blieb jedoch so fest in deren hohler Hand haften, daß niemand sie daraus entfernen konnte. Dadurch verwirrt, kehrte sie schließlich um, ging zum Grab des Märtyrers zurück und bekannte ihr Vergehen. Da wurde die Hand wieder gut, und sie gab das Diebsgut zurück.
Ein andermal geschah es, daß zwei Kaufleute wegen eines Darlehens in Streit gerieten. Der eine forderte sein Gut zurück, während der andere hartnäckig behauptete, er habe nichts zurückzugeben. Schließlich einigten sie sich dahin, derjenige, welcher die Schuld bestritt, sollte dies über dem Grabe des Märtyrers S. 29beschwören. So ging er denn hin, und die Wahrheit kam an den Tag. Wie er nämlich die Hand aufstreckte, um seine Lüge noch größer zu machen durch einen Eid, fiel er auf der Stelle rücklings zu Boden und konnte die Schlechtigkeit, die er sich vorgenommen hatte, nicht vollführen. Der heilige Märtyrer bekundete damit, welch tiefen Fall in den Augen des allmächtigen Gottes jene tun, die nicht davor zurückschrecken, sich zur Verheimlichung ihrer Sünden noch schuldbarer zu machen. So kommt es dann, daß sie mit den Verworfenen in den Abgrund des Verderbens stürzen, ohne ihn vorauszusehen.
Weiterhin wurde daselbst auch ein Mädchen durch die Macht des Märtyrers von einem Damon befreit. Der in ihr verborgene böse Geist wurde ausgetrieben und verließ sie durch das Ohr in Form einer Eidechse, eine Gestalt, würdig dessen, dem die Würde eines Engels zu gering war und dem ein Platz gehört bei jenen, die, den Kriechtieren ähnlich, in ihrer verkehrten Gesinnung durch fleischlichen Wandel gleichsam mit dem Bauch ihres Herzens ständig auf der Erde kriechen und ihr Haupt nie zum Himmel emporheben, sondern mit den Händen ihrer Werke sozusagen nach der Erde langen.
Es würde jedoch zu weit führen, zu wiederholen, wieviele Männer und Frauen geheilt und wieder gesund wurden, zumal uns Gott die Gnade verleiht, daß daselbst tagtäglich zum Ruhme des Märtyrers ungezählte Wunder geschehen. So kann niemand daran zweifeln, daß keiner wiederkehrt, ohne Gnade erlangt zu haben, sofern er gläubigen Herzens dort um eine Wohltat fleht.
S. 30Die Passion erlitten die heiligen Märtyrer Viktor und Ursus am 30. September unter Kaiser Maximian und unter der Herrschaft unseres Herrn Jesus Christus, der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebt und als König herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
