Zehnte Frage Augustins.
Darf ein schwangeres Weib getauft werden, und wie lange Zeit muss, nachdem sie geboren hat, verfließen, bis sie zur Kirche kommen darf? Nach wie viel Tagen darf das neugeborene Kind das hl. Sakrament der Taufe empfangen, damit es nicht zuvor vom Tode ereilt werde? Wie lange Zeit muss dann verfließen, bis der Mann wieder den ehelichen Umgang fortsetzen darf? Darf das Weib zur Zeit S. 622 der monatlichen Reinigung die Kirche betreten und die hl. Kommunion empfangen? Darf der Mann nach dem Gebrauch der Ehe die Kirche betreten oder, sogar zur hl. Kommunion hinzutreten, ehe er sich mit Wasser gereinigt hat? Dies alles ist für das noch rohe Volk der Engländer zu wissen notwendig.
Antwort des hl. Papstes Gregor. Es scheint mir unzweifelhaft, dass Deine Brüderlichkeit über dies schon einmal gefragt habe, und ich meine auch, darauf schon Antwort gegeben zu haben. Ich glaube also, dass Du nur zur Bekräftigung Deiner eigenen Behauptung und Erklärung eine nochmalige Antwort von mir haben willst. Warum sollte ein schwangeres Weib nicht getauft werden dürfen, da die leibliche Fruchtbarkeit vor den Augen des allmächtigen Gottes keine Sünde ist? Denn durch die Sünde im Paradiese verloren unsere Stammelten durch gerechtes Urteil Gottes die Unsterblichkeit, welche ihnen verliehen worden war. Da nun der allmächtige Gott das Menschengeschlecht wegen seiner Sünde nicht ganz vertilgen wollte, so nahm er dem Menschen einerseits wegen der Sünde die Unsterblichkeit, verlieh ihm aber anderseits nach seiner Güte und Erbarmung die Fruchtbarkeit an Kindern. Da nun diese durch G n a d e des allmächtigen Gottes der menschlichen Natur noch übrig geblieben ist, wie sollte sie ein Hindernis sein für die Gnade der hl. Taufe? Es wäre sehr töricht, anzunehmen, dass irgend ein Geschenk der Gnade mit jenem Geheimnis im Widerspruch stehe, welches alle Sünden von Grund aus tilgt.
Wie viele Tage aber nach der Geburt verfließen müssen, bis das Weib die Kirche betreten darf, kannst Du aus der Vorschrift des alten Testamentes ersehen: wegen eines Knaben soll sie sich dreiundzwanzig Tage. wegen eines Mädchens sechsundsechzig Tage des Kirchenbesuches enthalten. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass dies vorbildlich zu nehmen ist. Denn wenn sie auch noch in derselben Stunde, in der sie S. 623 geboren hat, die Kirche betreten würde, um Dank zu sagen, so würde sie sich dadurch mit keiner Sünde belasten. Die Fleischeslust, nicht aber der Geburtsschmerz steht in Beziehung zur Sünde. Fleischeslust aber kommt bei der Empfängnis vor, bei der Geburt des Kindes aber Schmerz und Jammer. Darum ist auch der ersten aller Mütter gesagt worden: „In Schmerzen sollst du gebären.„1 (Stellenangabe korrigiert)Wenn wir also dem Weib, das geboren hat, den Eintritt in die Kirche verwehren, so rechnen wir ihm die Strafe als Schuld an. Auf keine Weise aber ist es verboten, das Weib, welches geboren hat oder ihr Kind unverzüglich, ja wenn Todesgefahr vorhanden ist, dieses wie jenes noch in derselben Stunde, in welcher die Geburt geschah, zu taufen. Obwohl nämlich die Gnade des hl. Sakramentes den zu den Unterscheidungsjahren gelangten Gesunden mit großer Vorsicht zu spenden ist, so muss man sie doch denen, welche sich in Todesgefahr befinden, ohne irgend welche Verzögerung zu Teil werden lassen. Außerdem könnte, während man noch nach der Zeit zur Spendung des Sakramentes der Erlösung fragt, unversehens der Tod ins Mittel treten, und man würde dann den nicht mehr haben, der zu erlösen gewesen wäre.
Der Mann aber soll sich bis zur Entwöhnung des Kindes der ehelichen Beiwohnung enthalten. Es ist aber bei den Verheirateten die üble Sitte Gewohnheit geworden, dass die Frauen ihre Kinder nicht mehr selbst aufziehen wollen sondern sie zu diesem Zwecke andern Frauen übergeben. Die einzige Ursache dieser üblen Sitte scheint die Unenthaltsamkeit zu sein; denn weil sie nicht enthaltsam sein wollen, wollen sie ihren Kindern die Muttermilch vorenthalten. Jene also, welche nach diesem verkehrten Brauch ihre Kinder Ammen übergeben, sollen vor Ablauf ihrer Reinigungszeit mit ihren Männern keinen Umgang pflegen. Es ist ihnen ja dies auch, abgesehen von der Gehurt, verboten, wenn sie die gewöhnliche Monatsreinigung haben, so dass das Gesetz Gottes S. 624 den Mann mit dem Tode bestraft, wenn er während dieser Zeit mit dem Weibe Umgang pflegt. Der Eintritt in die Kirche soll jedoch dem Weibe, das die gewöhnliche Reinigung hat, nicht verboten sein. Denn die Überfülle der Natur kann ihr nicht als Schuld angerechnet werden, und es wäre auch nicht gerecht, ihr den Zutritt zur Kirche wegen einer Sache zu verwehren, für die sie nicht kann. Wir wissen ja, dass ein Weib, welches am Blutflusse litt, demütig hinter dem Herrn einherging, den Saum seines Gewandes berührte und sogleich von ihrer Krankheit geheilt wurde. Wenn also diese Blutflüssige Lob verdiente, als sie das Gewand des Herrn berührte, warum sollte es einer Person, welche die monatliche Reinigung hat, nicht erlaubt sein, die Kirche des Herrn zu betreten ?
Du sagst vielleicht: Diese hat notgedrungen so gehandelt, jene aber, von welchen wir reden, tun es gewohnheitsmäßig. Bedenke aber, liebster Bruder, dass alles, was wir in diesem sterblichen Leibe aus Schwachheit der Natur erleiden, nach Gottes weisem Urteil nicht als Sünde in Betracht kommt. So fühlen wir Hunger, Durst, Hitze, Frost, Müdigkeit aus Schwachheit der Natur. Wenn mir nun gegen den Hunger zur Nahrung, gegen den Durst zum Trank gegen die Hitze zur Kühlung, gegen die Kälte zu Kleidern, gegen die Müdigkeit zur Ruhe unsre Zuflucht nehmen, was tun wir da anderes, als dass wir eine Art Heilmittel gegen Krankheiten ausfindig machen? Für Frauen ist nämlich auch der monatliche Blutfluß eine Krankheit Wenn also jene Kranke, die das Gewand des Herrn berührte, ein löbliches Wagnis unternommen hat, warum sollte, was einer Kranken zusteht, nicht allen Frauen erlaubt sein, welche an dem Fehler ihrer Natur krank sind?
Auch darf es ihnen nicht verboten werden, zu dieser Zeit das Geheimnis der hl. Kommunion zu empfangen. Wagt eine aus großer Ehrfurcht den Empfang nicht, so ist sie zu loben, im andern Fall aber wegen des Empfanges nicht zu verurteilen. Frommen Seelen ist es ja eigen, auch da noch auf irgend eine Art eine Schuld an sich zu finden, wo S. 625 in Wirklichkeit keine ist, weil oft etwas von der Sünde herkommt, obgleich es ohne Sünde geschieht. So essen wir auch, wenn uns hungert, ohne dadurch eine Sünde zu begehen; doch kommt der Hunger selbst von der Sünde des ersten Menschen. So ist auch die monatliche Reinigung für die Frauen keine Sünde, weil sie eine Folge der natürlichen Beschaffenheit ist; dass jedoch die Natur selbst ein solches Gebrechen hat, durch welches sie selbst gegen Absicht und Willen als befleckt erscheint, — das ist eine Folge der Sünde, damit die menschliche Natur erkenne, was durch Gottes Urteil aus ihr geworden sei, und der Mensch, der freiwillig gesündigt hat, unfreiwillig die Folge der Sünde trage. Wenn deshalb Frauen aus Rücksicht auf ihre monatliche Reinigung es nicht wagen, sich dem Sakrament des Leibes und Blutes unsers Herrn zu nähern, so sind sie wegen ihrer richtigen Erwägung zu loben. Wenn sie aber nach frommer Gewohnheit sich angetrieben fühlen, dieses hl. Geheimnis doch zu empfangen, so darf man sie, wir gesagt, nicht abhalten. Im alten Bunde wurde allerdings auf die äußern Werke gesehen; im neuen Bunde aber richtet sich das Augenmerk nicht so fast auf die äußern Werke, als vielmehr auf die innern Gedanken, um diese nach strengem Urteilsspruch zu bestrafen. Während z. B. das Gesetz den Genuss vieler Speisen als unrein verbot, sagt der Herr im Evangelium: „Nicht was zum Mund eingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was aus dem Herzen kommt, das verunreinigt den Menschen.“2 Bald darauf fügt er erklärend hinzu: „Aus dem Herzen kommen böse Gedanken.„3 Daraus sieht man zur Genüge, dass vor dem allmächtigen Gott an einem Werke das befleckt ist, was von befleckten Gedanken seinen Ursprung genommen hat. Darum sagt auch der Apostel Paulus: „Den Reinen ist alles rein; den Befleckten und Ungläubigen aber ist nichts rein.“4 Sogleich gibt er aber auch die Ursache dieser Befleckung an, indem er beifügt: „Befleckt S. 626 ist ihr Sinn und Gewissen.„ Wenn also keine Speise für den unrein ist, dessen Herz nicht unrein ist, warum sollte es einem Weib als Unreinigkeit angerechnet werden, was es mit reinem Herzen auf natürliche Weise erleidet?
Der Mann aber soll nach Gebrauch der Ehe nur gewaschen zur Kirche kommen, und selbst wenn er sich gewaschen hat, soll er nicht unmittelbar darauf die Kirche betreten. Das Gesetz des alten Bundes hat dem Volke befohlen, dass der Mann nach dem Gebrauch der Ehe sich mit Wasser reinigen und vor Sonnenuntergang die Synagoge nicht betreten solle. Dies ist im geistigen Sinne zu verstehen: Der Mann pflegt nämlich Umgang mit seinem Weibe, wenn die Seele sich mit Wohlgefallen in Gedanken unerlaubter Begierlichkeit aufhält. Bevor nicht das Feuer der Begierlichkeit in der Seele verglüht ist, soll er sich der Gemeinschaft der Brüder für unwürdig halten, da er mit der Sünde der bösen Lust behaftet ist. Obwohl nun die Ansichten hierüber bei den verschiedenen Völkern auf Erden verschieden sind und die einen sich an dies, die andern an jenes halten, so war es doch von alten Zeiten her römische Sitte, nach dem Gebrauch der Ehe sich zu waschen und aus Ehrfurcht eine Weile der Kirche fern zu bleiben.
Wenn wir dies erklären, so halten wir deshalb die Ehe nicht für Sünde. Aber weil sogar der erlaubte Gebrauch der Ehe ohne Fleischeslust nicht stattfinden kann, so soll man sich das Betreten eines hl. Ortes versagen; denn die Fleischeslust kann durchaus nicht ohne Sünde sein. Nicht in Ehebruch oder Unzucht sondern in rechtmäßiger Ehe war derjenige erzeugt, welcher sprach: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich meine Mutter geboren.“5 Da er wusste, dass er in Ungerechtigkeit empfangen sei, so klagt er, auch in Sünden geboren zu sein. Denn der Baum hat auch in den Zweigen den schädlichen Saft, den er aus der Wurzel gezogen hat. In diesen Worten nennt S. 627 er jedoch nicht den Ehegebrauch selbst eine Sünde, sondern die mit demselben verbundene Fleischeslust. Manches ist erlaubt und recht, und doch werden wir in irgend einer Beziehung schuldbar, so bald wir es tun. So ziehen wir beim Zürnen uns oft Sünden zu und verlieren die Ruhe des Herzens. Wenn dann auch ganz in der Ordnung war, was geschehen ist, so ist es doch nicht lobenswerte dass die Seele dabei in Aufregung gerät. So zürnte den Sündern, der da sprach: „Mein Auge hat sich vor Zorn verfinstert.„6 Da man nämlich nur mit ruhiger Seele dem Licht der Betrachtung sich hingeben kann, so tat es ihm leid, dass durch den Zorn sein Auge verfinstert sei. Während er auf Erden das Böse bekämpft, sieht er sich gezwungen, beschämt und verwirrt die Betrachtung der himmlischen Dinge aufzugeben. Zwar ist es löblich, gegen das Laster zu zürnen, aber es ist zugleich auch mit einer Beschwerde verbunden; denn wegen seiner geistigen Verfinsterung glaubte er eine Schuld sich zugezogen zu haben. Der erlaubte Ehegebrauch muss also wegen der Nachkommenschaft, nicht wegen der Fleischeslust geschehen; um Kinder zu erzeugen, nicht um der Sünde zu fröhnen. Wenn also jemand nicht aus wollüstiger Begierlichkeit, sondern nur wegen der Kindererzeugung mit seiner Gattin Umgang pflegt, so darf man den Eintritt in die Kirche oder den Empfang des Geheimnisses des Leibes und Blutes unsers Herrn seinem eigenen Urteil anheimstellen. Wir dürfen den vom Empfang nicht abhalten, der die Kunst versteht, mitten im Feuer nicht zu brennen. Wenn aber nicht die Liebe zu den Kindern, die erzeugt werden sollen, sondern die Fleischeslust beim Ehegebrauch herrschend ist, so haben die Ehegatten einen Grund zur Reue wegen ihres Ehegebrauches. Und doch gestattet ihnen denselben die hl. Schrift, jedoch nicht ohne zugleich Furcht hinsichtlich dieser Erlaubnis einzuflößen. Der hl. Apostel Paulus sagt nämlich: „Wer nicht enthaltsam sein kann, der habe sein Eheweib S. 528 7Jedoch fügt er sogleich bei: „Dies sage ich aus Nachsicht, nicht als Gebot.“ Denn was ohnehin erlaubt und gerecht ist, das braucht nicht nachgesehen zu werden. Er bezeichnet darum als Sünde, wovon er erklärt, dass es der Nachsicht bedarf.
Mit aufmerksamer Seele muss man auch bedenken, dass der Herr, als er auf dem Berge Sinai zum Volke reden wollte, zuvor befahl, dass es sich vom Umgang mit Frauen fern halte. Wenn nun damals, wo der Herr durch ein ihm untergeordnetes Geschöpf zu den Menschen redete, mit solcher Strenge die leibliche Reinheit gefordert wurde, dass nur diejenigen Gottes Wort hören durften, welche sich vom Umgang mit Frauen fern gehalten hatten, wir viel mehr müssen dann diejenigen die leibliche Reinheit an sich bewahren, welche den Leib des allmächtigen Herrn empfangen, um nicht von der Größe dieses unschätzbaren Geheimnisses erdrückt zu werden? Darum sprach auch der Priester zu David, dass seine Leute nur dann die Schaubrote genießen dürften, wenn sie rein seien vom Umgang mit Weibern. Hätte nicht David sie in dieser Hinsicht für rein erklärt, so hätte der Priester ihnen die Schaubrote nicht gegeben. Wenn aber der Mann nach dem Ehegebrauch sich mit Wasser gewaschen hat, so darf er auch das Geheimnis der Kommunion empfangen, da er auch, wir ich erklärt habe, die Kirche betreten darf.