17. Kap. Der Bericht Philos über die ägyptischen Asketen.
Dies dürfte nicht unwahrscheinlich sein. Denn die Schrift, von welcher wir sprechen und welche Philo später nach Jahren verfaßt hat, enthält offenbar kirchliche Vorschriften, welche noch heute bei uns beobachtet werden. Da er das Leben unserer Asketen so deutlich wie möglich beschreibt, so dürfte es auch klar sein, daß er die zu seiner Zeit lebenden apostolischen Männer, welche, wie es scheint, aus dem Judentum stammten und daher noch in echt jüdischer Weise die meisten der alten Bräuche beobachteten, nicht nur kannte, sondern auch voll Bewunderung anerkannte. In der Schrift, welche er betitelte „Das beschauliche Leben oder die Flehenden“,1 verwahrt er sich zunächst dagegen, daß er seiner S. 80 Darstellung über die Tatsachen hinaus noch etwas aus eigenen Bräuchen und eigenem Geiste beifügte.2 Er berichtet sodann, daß man jene Männer Therapeuten und die gemeinsam mit ihnen lebenden Frauen Therapeutriden nenne. Diese Bezeichnung begründet er entweder damit, daß diese Leute gleich Ärzten die Seelen derer, die zu ihnen kommen, von der Sünde der Leidenschaften befreien, um sie zu heilen und gesunden zu lassen, oder damit, daß sie Gott in reinem, lauterem Dienste verehren.3 Ob Philo selbst ihnen diese Bezeichnung beilegt, d. h. sie ganz ihrer Lebensweise entsprechend so benennt, oder ob schon von Anfang an, als der Name „Christen“ noch nicht überall verbreitet war, die Stifter selbst tatsächlich diesen Namen gebrauchten, ist wohl nicht zu erörtern. Philo bezeugt vor allem von ihnen, daß sie auf Besitz verzichteten.4 Er erzählt, daß sie, sobald sie anfingen, sich ihrer Philosophie zu widmen, ihr Vermögen an ihre Verwandten abtraten. Nachdem sie alle Sorgen um das Leben abgeworfen hatten, verließen sie die Mauern (ihrer Städte) und nahmen ihre Wohnungen an einsamen Orten und in Gärten, da sie wohl wußten, daß der Verkehr mit Andersgesinnten unnütz und schädlich ist.5 Im mutigen, glühenden Glauben lebten sie das Prophetenleben derer nach, welche wohl schon dereinst in gleicher Weise als Asketen gelebt hatten. In der als S. 81 echt anerkannten Apostelgeschichte ist nämlich berichtet, daß alle Schüler der Apostel ihr Hab und Gut verkauften, um es an alle unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des einzelnen zu verteilen, so daß es unter ihnen keine Armen gab.6 Die Schrift sagt:7 „Alle nun, welche Grundbesitz oder Häuser hatten, verkauften dieselben und brachten den Erlös und legten ihn zu den Füßen der Apostel, so daß jedem gegeben werden konnte, was er brauchte.“ Nachdem Philo ähnliches berichtet hatte, fährt er wörtlich fort:8 „Das Geschlecht (der Therapeuten) findet sich an vielen Orten auf dem Erdkreise. Sowohl die griechischen als die barbarischen Länder sollten an dem vollkommenen Gute teilhaben. Stark vertreten ist es in Ägypten, und zwar in jedem der sog. Distrikte (νομοί), vor allem in der Umgebung von Alexandrien. Von allen Seiten her ziehen die edelsten Menschen in die Heimat der Therapeuten, um sich anzusiedeln; sie begeben sich an einen sehr günstigen Ort, der jenseits des Mareiasees auf einer etwas sanften Anhöhe infolge seiner Sicherheit und der Reinheit der Luft sehr glücklich gelegen ist.“ Nachdem Philo sodann die Beschaffenheit ihrer Wohnungen beschrieben hat, sagt er von den überall im Lande zerstreuten Versammlungsräumen:9 „In jedem Hause ist ein heiliges Gemach, welches Heiligtum (σεμνεῖον) und Einsamkeit (μοναστήριον) genannt wird. Hier vollbringen sie in Abgeschlossenheit die Geheimnisse ihres würdigen Lebens. Nichts, weder Trank noch Speise, noch sonst etwas, was für den Unterhalt des Leibes notwendig ist, nehmen sie mit sich hinein, sondern Gesetze, von Gott eingegebene Worte der Propheten, Gesänge und anderes, wodurch Weisheit und Frömmigkeit gefördert und vervollkommnet werden.“ Später fährt er also fort:10 „Ihre ganze Zeit zwischen Morgen und Abend gehört der Askese. Sie treiben Philosophie nach Art ihrer Väter, indem sie die S. 82 heiligen Schriften lesen und allegorisch erklären. Sie halten nämlich die Worte für Sinnbilder einer verborgenen Wahrheit, die sich in Allegorien offenbare. Sie besitzen auch Schriften alter Männer, welche Urheber ihrer Richtung waren und zahlreiche Denkmäler ihrer in Allegorien verborgenen Lehre hinterlassen haben. Sie benützen diese als Muster, um ihre geistige Art nachzuahmen.“ So spricht offenbar ein Mann, der es mit eigenen Ohren hörte, wie sie die heiligen Schriften auslegten. Die bei ihnen gebräuchlichen Schriften der Alten, von denen Philo spricht, dürften wohl die Evangelien, die Schriften der Apostel und wahrscheinlich Erklärungen der alten Propheten sein, wie sie der Brief an die Hebräer und noch mehrere andere Briefe des Paulus enthalten. Über ihre neuen Psalmen schreibt er sodann also:11 „Sie geben sich also nicht nur der Betrachtung hin, sondern verfassen auch Gesänge und Hymnen auf Gott in verschiedenen Versmaßen und Gesangsweisen; doch bedienen sie sich hierbei, wie notwendig, nur würdiger Maße.“ Zwar noch viel anderes Einschlägige behandelt Philo im gleichen Buche. Doch scheint es mir notwendig, nur das zu erwähnen, was für das kirchliche Leben charakteristisch ist. Wenn aber jemand glauben wollte, die erwähnten Bemerkungen bezögen sich nicht auf das evangelische Leben, sie könnten vielmehr auch auf andere als die Genannten passen, so möge er sich wenigstens durch die weiteren Worte Philos belehren lassen, durch welche er, wenn er klar denkt, ein unbestreitbares Zeugnis hierüber erhält. Philo schreibt:12 „Zunächst pflanzen sie in ihre Seele die Enthaltsamkeit gewissermaßen als Grundlage, um dann die übrigen Tugenden darauf zu bauen. Vor Sonnenuntergang dürfte wohl keiner von ihnen Speise oder Trank zu sich nehmen. Denn zu philosophieren betrachten sie als des Lichtes würdig; als der Finsternis würdig dagegen erklären sie die Befriedigung des Körpers. Jenem widme- S. 83 ten sie daher den ganzen Tag, dieser dagegen nur einen kurzen Teil der Nacht. Einige, in denen ein besonders Verlangen nach Weisheit wohnt, denken erst nach drei Tagen an Nahrung. Wieder andere sind durch die Weisheit, welche reichlich und neidlos ihnen ihre Lehre spendet, so sehr mit Freude und Wonne gesättigt, daß sie noch einmal so lange fasten und kaum alle sechs Tage die notwendige Nahrung zu sich nehmen.“ Unseres Erachtens beziehen sich diese Worte Philos deutlich und unwidersprechlich auf unsere Religion. Wenn aber jemand trotzdem noch hartnäckig widersprechen sollte dann möge er sich bekehren und überzeugen lassen durch noch auffälligere Merkmale, welche nirgends als nur in der christlichen, evangelischen Religion zu finden sind. Wie nämlich Philo erzählt, befinden sich in den erwähnten Kreisen auch weibliche Personen. Die meisten von ihnen waren bejahrte Jungfrauen, welche aber nicht wie manche heidnische Priesterinnen13 aus Zwang die Jungfräulichkeit bewahrten, sondern vielmehr in freiwilligem Entschluß aus eifrigem Verlangen nach Weisheit. Da sie mit der Weisheit zusammenzu- S. 84 leben strebten, verachteten sie die fleischlichen Freuden und verlangten nicht nach sterblichen, sondern nach unsterblichen Nachkommen, welche nur eine gottliebende Seele aus sich zu gebären vermag. Etwas später schreibt Philo noch deutlicher:14 „Die heiligen Schriften werden von ihnen bildlich durch Allegorien erklärt. Nach Meinung dieser Leute gleicht die ganze Gesetzgebung einem lebenden Wesen, dessen Körper der Wortlaut des Gesetzes, dessen Seele aber der in den Worten verborgene geheime Sinn ist. Diese Stätte begann vor allem in diesen Sinn einzudringen; sie schaute wie in einem Spiegel die sich offenbarende, alle Worte übertreffende Schönheit der Ideen.“ Soll ich außerdem noch ihre gemeinschaftlichen Zusammenkünfte, ihre einheitliche, aber von Männern und Frauen getrennt ausgeführte Beschäftigung15 erwähnen und ihre religiösen Übungen, welche noch bis auf den heutigen Tag bei uns in Brauch sind und welche sich bei uns besonders am Feste des Erlöserleidens16 in Fasten, nächtlichen Wachen und Betrachtungen des göttlichen Wortes zu äußern pflegen? Diese Übungen beschreibt der erwähnte Schriftsteller genau so, wie sie einzig und allein bei uns noch heute beobachtet werden, in seiner Schrift. Er erwähnt die Nachtwachen mit den frommen Übungen am großen Feste17 und die bei uns üblichen Hymnen und berichtet, daß, während ein einziger nach dem Takte würdevoll vorsingt, die übrigen still zuhören und nur am Schlüsse der Gesänge miteinstimmen,18 daß sie an den genannten Tagen auf Stroh am Boden liegen, sich, wie er ausdrücklich schreibt, vollständig des Weines, aber auch jeglicher Fleischspeise enthalten und nur Wasser und dazu Brot mit Salz und Ysop genießen.19 Ferner beschreibt er die Art und Weise, in welcher diejenigen, welche zu genos- S. 85 senschaftlichen Verrichtungen und Diensten (διακονίαι) und zu der allerhöchsten Würde der Oberaufsicht (ἐπισκοπή) erwählt worden sind, ihres Amtes walten.20 Wer hierüber noch genauere Aufschlüsse wünscht, kann sie aus dem erwähnten Berichte Philos erhalten. Jedem dürfte aber klar sein, daß Philo, als er hierüber schrieb an die ersten Verkündiger der evangelischen Lehre und an die ursprünglichen, von den Aposteln überlieferten Bräuche dachte.21
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Die Echtheit dieser Schrift war lange Zeit sehr umstritten. P. E. Lucius, „Die Therapeuten und ihre Stellung in der Geschichte der Askese. Eine kritische Untersuchung der Schrift „De vita contemplativa“ (Straßburg 1879/80) sieht in ihr eine christliche Fälschung aus dem Ende des 3. oder Anfang des 4. Jahrh. zur Verherrlichung des Mönchtums. Ihm stimmte u. a. auch Schürer, „Die Geschichte des jüdischen Volkes“ III4 (Leipzig 1909) S, 689 f. zu. Dagegen trat für die Echtheit ein P. Wendland, „Die Therapeuten und die philonische Schrift vom beschaulichen Leben“, in Jahrb. f. klass. Philologie, 22. Suppl.-Bd. (Leipzig 1896) S. 693—772. Bzgl. des Inhaltes der Schrift vgl. H. Strathmann, „Geschichte der frühchristlichen Askese“ (Leipzig 1914) S. 148—157; Bousset-Greßmann, „Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter“ 3 (Tübingen 1926) S. 465—468. ↩
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Philo S. 471, 6 u. 7 (Ausgabe von Cohn-Wendland-Reiter). ↩
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471, 15—472. ↩
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473, 18—22. ↩
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474, 17—34. ↩
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Apg. 2, 45; 4, 34. ↩
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Ebd. 4, 34f. ↩
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A. a. O. 474, 35-44. ↩
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475, 14—22. ↩
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475, 34—476, 2. ↩
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476, 2—5. ↩
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476, 36—49. ↩
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In der römischen Religion wurde von den Vestalinnen verlangt, daß sie dreißig Jahre in Jungfräulichkeit lebten. Vgl. H. Nissen, „Der Tempel der Vesta“ (Berlin 1886) S, 40 bis 85; E. Fehrle, „Die kultische Keuschheit im Altertum“ (Gießen 1910) S. 206—221. Auch im Kult der Junoschlange in der heiligen Grotte von Lanuvium, wovon Properz und Älian berichten, wurde von den opfernden Mädchen Keuschheit gefordert. Vgl. Fehrle a. a. O. S. 125. In der griechischen Religion waren zur Jungfräulichkeit verpflichtet die Priesterinnen des Dionysus in Magnesia am Mäander, des Triton in Triteia, der Artemis in Paträ, der Leukippiden Hilaeira und Phoibe bei Sparta, der Eileithyia im elischen Olympia (wo der Dienst ein Jahr dauerte), der Artemis Knagiam Sparta; lebenslängliche Enthaltsamkeit war auferlegt der Herkulespriesterin im thespischen Heiligtum, der Priesterin der Artemis Hymnia in Orchomenos und wohl auch den Priesterinnen im Artemision von Ephesus. Vgl. Fehrle, a. a. O. S. 79. 93 ff.; Strathmann, „Geschichte der frühchristl. Askese S. 209 f. ↩
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A. a. O. 483, 42—484, 1. ↩
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476, 23—34. ↩
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Eusebius bezeichnet den Tag der Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu als einen Festtag (ἑορτή). ↩
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A. a. O. 484, 33 f. ↩
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484,10—21. ↩
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482,18—21; 483,4—10. ↩
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481, 32—34; 481, 42—482, 3. 24. 25; 483, 17; 484, 6. — Unter der von Philo erwähnten διακονία und ἐπισκοπή sind nicht, wie Eusebius meint, Ämter im kirchlichen Sinne zu verstehen. ↩
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Mit Unrecht sieht Eusebius in den Therapeuten eine christliche Bewegung. Seine apologetischen Absichten führten ihn zu einer falschen Auffassung der philonischen Schrift „De vita contemplativa“. Eine asketische Bewegung gab es auch schon im Judentum und Heidentum; hier sind ihre ältesten Wurzeln. In der Einschätzung der Schrift „De vita contemplativa“ Philos folgt dem Eusebius Hieronymus; ja dieser zählt wegen der genannten Schrift Philo sogar zu den christlichen Schriftstellern (de viris ill. 11). ↩