III.
22. 23. 24. Weil nämlich die Juden Wunderzeichen verlangen und die Griechen (Heiden) Weltweisheit suchen; wir hingegen verkünden den gekreuzigten Christus, mag er den Juden ein Ärgerniß und den Heiden eine Thorheit sein; aber göttliche Kraft und göttliche Weisheit ist Christus Denen, welche die Einladung annehmen, sie seien Juden oder Heiden.
In diesen Worten liegt große Klugheit. Er will näm- S. 59 lich zeigen, wie Gott seine Absicht durch Mittel erreicht habe, welche derselben entgegen zu sein scheinen, und wie die Predigt des Evangeliums nicht Menschenwerk sei. Seine Worte haben diesen Sinn: Wenn wir zu den Juden sagen: Glaubet! so erwidern sie: Erwecket Todte, heilet Besessene, zeigt uns Wunder! Und was antworten wir ihnen darauf? Der, den wir predigen, ist gekreuzigt worden und gestorben. Das wäre schon genug, nicht nur Diejenigen, welche nicht wollen, (zum Glauben) nicht heranzuziehen, sondern auch die Willigen abzuschrecken. Und dennoch schreckt es sie nicht ab, sondern zieht sie heran, siegt und gewinnt die Oberhand. Und wieder fordern die Griechen von uns Rednerkunst und sophistische Spitzfindigkeit. Wir aber predigen auch diesen das Kreuz, und was den Juden als ein Zeichen der Ohnmacht erscheint, Das kommt den Griechen als Thorheit vor. Wenn wir ihnen nun nicht nur nicht zeigen, was sie verlangen, sondern sogar das Gegentheil davon: — denn das Kreuz scheint, nach der Vernunft betrachtet, nicht nur kein Wunder, sondern eher eine Zernichtung desselben zu sein; es scheint nicht nur kein Beweis von Kraft, sondern vielmehr ein Beweis von Schwäche; nicht nur kein Beweis von Weisheit, sondern eher ein Zeichen der Thorheit zu sein: — wenn also Diejenigen, welche Wunder und Weisheit fordern, Das, was sie verlangen, nicht nur nicht erhalten, sondern das Gegentheil hören von Dem, was sie wünschen, und wenn sie dann durch dieses Gegentheil überzeugt werden: wie? ist da die Kraft Desjenigen, den wir verkünden, nicht unendlich? Es ist, als wenn man einem Menschen, der von den Fluthen umhergetrieben sich nach dem Hafen sehnt, nicht den Hafen, sondern irgend eine andere Stelle des wilder tobenden Meeres zeigte und ihn dazu brächte, willig zu folgen, oder als wenn ein Arzt einem Verwundeten, der ein Heilmittel fordert, verspräche, ihn nicht durch Heilmittel, sondern durch erneutes Brennen herzustellen, und ihn dennoch für sich gewänne; denn Das wäre ein Beweis großer Kraft.
S. 60 So haben auch die Apostel nicht nur durch Zeichen, sondern auch durch Dinge, die den Zeichen entgegengesetzt waren, gesiegt. So hat es auch Christus mit dem Blinden gemacht. Denn als er ihn heilen wollte, hob er die Blindheit durch ein Mittel, welches dieselbe noch vermehrt: er legte ihm Koth auf die Augen. Sowie er nun durch Koth den Blinden heilte, ebenso zog er durch das Kreuz die ganze Erde an sich, was keine Hebung des Ärgernisses, sondern eine Vergrößerung desselben war.
So machte er es auch bei der Schöpfung, indem er Entgegengesetztes durch Entgegengesetztes befestigte: das Meer dämmte er mit Sand und bändigte das Gewaltige durch das Schwache. Die Erde gründete er auf Wasser und machte das Leichte und Flüssige zum Träger des Schweren und Dichten. Ferner ließ er durch den Propheten Eisen an schwachem Holze schwimmen.1 So zog er durch das Kreuz den ganzen Erdkreis an sich: wie das Wasser die Erde trägt, so trägt das Kreuz die ganze Welt. Es ist allo ein Beweis großer Kraft und Weisheit, die Welt durch Entgegengesetztes zu überzeugen. Zwar scheint das Kreuz ein Gegenstand des Anstoßes zu sein, allein es verursacht nicht nur keinen Anstoß, sondern es zieht vielmehr an.
Dieß alles überdenkt nun Paulus und ruft mit Erstaunen aus:
23. Das thörichte Werk Gottes übertrifft die Weisheit der Menschen, und das schwache Werk Gottes vermag mehr als die Menschen.
Er versteht Dieses vom Kreuze und meint damit nicht, daß es wirklick thöricht und schwach, sondern nur scheinbar so sei; denn er redet nach der Ansicht der Gegner. Was nämlich die Philosophen durch die Syllogismen nicht zu S. 61 Stande brachten, Das bewirkte diese scheinbare Thorheit. Wer ist nun weiser, Derjenige, welcher die Menge oder der nur Wenige oder wohl gar Keinen überzeugt? der für die Wichtigsten oder der für unnöthige Dinge die Menschen gewinnt? Wie viele Mühe haben sich Platon und seine Anhänger gegeben in Betreff der Linie, des Winkels, des Punktes, der geraden und ungeraden, der gleichen und ungleichen Zahlen und anderer Dinge der Art, die uns wie Spinnengewebe vorkommen (denn wirklich nützen diese Dinge für das Leben so wenig als Spinnengewebe)! Und er beschloß sein Leben, ohne den geringsten Nutzen damit geschaffen zu haben. Wie sehr strengte er sich an, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen! Und er starb, ohne etwas Einleuchtendes gesagt, ohne auch nur einen seiner Zuhörer überzeugt zu haben. Das Kreuz hingegen überzeugte durch ungelehrte Männer, es überzeugte den ganzen Erdkreis, und Das nicht über gleichgiltige Dinge, sondern über Gott, über die wahre Gottesverehrung, über das evangelische Leben und über das künftige Gericht, — und es machte alle Unwissenden und Ungelehrten zu Philosophen.
Siehe da, wie das thöricht scheinende Werk Gottes die Weisheit der Menschen übertrifft, und wie das schwach scheinende Werk Gottes mehr vermag, als die Menschen. Wie vermag es mehr? Indem es sich auf dem ganzen Erdenrunde verbreitete, mit Kraft Alle gefangen nahm und, ob sich auch Tausende bemühten, den Namen des Gekreuzigten zu vertilgen, dennoch das Gegentheil geschah: denn dieser Name prangte und wurde herrlicher, jene aber vergingen und verdarben: die Lebenden vermochten Nichts gegen den Todten, den sie bekriegten. Wenn mich also der Grieche einen Thoren schilt, so beweist er, daß er ein Thor im höchsten Grade ist, während ich, der ich in seinen Augen für einen Thoren gelte, alle Weisen übertreffe. Nennt er mich sckwach, so beweist er seine eigene Schwäche; denn was mit der Gnade Gottes Zöllner und Fischer ver- S. 62 mochten, Das konnten Redner, Weltweise, Herrscher, kurz die ganze Welt bei aller Anstrengung nicht einmal im Gedanken erreichen. Was hat uns aber das Kreuz nicht alles gebracht? Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, von der Auferstehung der Leiber, von der Geringschätzung der gegenwärtigen und von dem Verlangen nach den zukünftigen Gütern: die Menschen hat es zu Engeln gemacht, alle und überall sprechen sie wie Philosophen und zeigen die größte Seelenstärke.
S. IV. B. der Könige, Kap. 6, 6. ↩
