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1. Wir müssen aber die Knaben unseren Söhnen gleich achten und auf die fremden Frauen wie auf unsere eigenen Töchter schauen; und über die Lüste zu herrschen und über den Bauch und über das, was unter dem Bauch ist, Herr zu sein, das ist das Zeichen der größten Herrschermacht.
2. Denn wenn die Vernunft, wie die Stoiker lehren, dem Weisen nicht einmal gestattet, den Finger beliebig zu bewegen,1 wie müßten da die nach Weisheit Strebenden nicht noch viel mehr die Herrschaft über das Zeugungsglied behaupten? Deshalb scheint es mir auch Schamglied benannt zu sein, weil man dieses Glied des Körpers mehr als alle anderen mit Schamgefühl verwenden muß.2
3. Denn die Natur hat uns wie bei den Speisen so auch bei den gesetzlichen Ehen alles, was angemessen und nützlich und geziemend ist, gestattet; und sie hat uns auch gestattet, nach der Erzeugung von Kindern zu verlangen.
4. Alle aber, die nach dem Übermaß streben, verfehlen sich gegen das Naturgemäße, wobei sie sich selbst durch die gesetzwidrigen Vereinigungen schädigen. Denn mehr als alles S. a98 ist die Forderung berechtigt, daß man sich nicht mit Jünglingen in Liebesgemeinschaft wie mit Weibern verbinden soll.3 Darum sagt auch der Philosoph in Anlehnung an Moses, „man solle nicht auf Felsen und Steine säen, weil der Same hier nie Wurzeln schlagen und so seine natürliche Kraft entfalten könne“.4
