IV.
„Aber auch bei den Heiden“, heißt es, „gab es Viele, die den Tod verachteten.“ Wer waren denn Diese, sag es mir! Etwa Jener, der den Schirling trank? Aber ich kann dir, wenn du willst, Tausende von Solchen in der Kirche aufweisen. Wäre es Diesen bei hereinbrechender Verfolgung gestattet gewesen, den Tod aus einem Giftbecher zu trinken, so wären sie alle ruhmvoller als Jener gestorben. Übrigens trank Dieser den Giftbecker, da er keine andere Wahl hatte. Er mußte es thun, mochte er wollen oder nicht, und Das war nun nicht Seelenstärke, sondern Zwang. Auch Räuber und Mörder, die von den Richtern verurtheilt wurden, litten noch härtere Strafen. Bei uns aber verhält sich die Sache ganz anders: denn die Märtyrer litten nicht gegen ihren Willen, sondern freiwillig, und ungezwungen zeigten sie mehr als diamantene Stärke der Seele. Es ist also nicht zu verwundern, daß Jener den Giftbecker trank, da er ihn eben trinken mußte und schon sehr alt war; denn er sagte, er sei siebzig Jahre alt, als er das Leben verschmähte, wenn anders Dieses das Leben verschmähen heißt, was weder ich noch wohl sonst Jemand behaupten möchte. Aber zeige mir Einen, der wegen seiner Religion standhaft die Qualen aushielt, wie ich dir deren Unzählige aller Orten zeigen kann. Wer hielt starkmüthig aus, wenn ihm die Nägel ausgerissen, wenn ihm ein Glied nach dem andern abgenommen, wenn er in Stücke gehauen wurde? Wer ließ sich standhaft die Knochen vom Kopfe lostrennen? Wer S. 63 sich anhaltend in einer Pfanne braten, in einem Kessel sieden? Das zeige mir! Denn durch einen Giftbecker sterben, ist ebenso viel als fortschlafen; diese Todesart soll nämlich sanfter sein als der Schlaf. Mögen aber auch Einige unter den Heiden die Qualen muthig ertragen haben, so verdienen sie dennoch kein Lob; denn sie litten wegen schändlicher Dinge: die Einen, weil sie Geheimnisse verrathen, die Andern, weil sie nach der Herrschaft gestrebt; Einige, weil sie über den schändlichsten Dingen ertappt worden; wieder Andere brachten thörichter Weise, ohne Grund und Ursache, sich selber ums Leben. Aber nicht so die Unsrigen; darum schweigt man auch von Jenen, der Ruhm hingegen von Diesen ist glänzend und mehrt sich von Tag zu Tag.
Das hatte Paulus im Sinne, als er sprach: „Das schwache Werk Gottes vermag mehr als alle Menschen.“ Daß aber die Verkündigung des Evangeliums Gotteswerk sei, läßt sich auch hieraus erkennen. Denn woher kam es doch zwölf ungelehrten Männern in den Sinn, so große Dinge zu unternehmen, ihnen, die an Seen, an Flüssen, in Wüsten sich aufhielten und vielleicht nie in eine Stadt oder auf einen öffentlichen Marktplatz gekommen waren? Woher kam ihnen denn der Gedanke, gegen den ganzen Erdkreis den Kampf zu wagen? Denn daß sie furchtsam und kleinmüthig waren, zeigt Derjenige, der über sie schrieb, und der sich nicht beigehen ließ und sich nicht bemühte, ihre Fehler zu verdecken, was eben der stärkste Beweis von Aufrichtigkeit ist. Was sagt nun Dieser von ihnen? Nach der Gefangennehmung Christi seien sie, nachdem sie unzählige Wunder gesehen hatten, geflohen; der Vornehmste aber von Allen, der bei ihm geblieben, habe ihn verleugnet. Nie konnten also Diejenigen, welche bei Lebzeiten Christi den Angriff der Juden nicht aushielten, es mit der ganzen weiten Welt aufnehmen, nachdem Christus gestorben und begraben war und, wie ihr sagt, nicht auferstand, nicht mit ihnen redete, ihnen keinen Muth einsprach? Mußten S. 64 sie nicht unter einander sagen: „Was ist doch Das? Sich selbst konnte er nicht retten, und soll uns beschützen? Sich selber konnte er nicht helfen, da er lebte; und nun er todt ist, soll er uns die Hand reichen? nicht ein einziges Volk hat er in seinem Leben gewonnen, und wir sollen durch die Verkündigung seines Namens die ganze Erde überzeugen? Wie unvernünftig ist es, Das auch nur zu denken, geschweige denn auszuführen?“ Daher ist es offenbar, daß sie, falls sie den Auferstandenen nicht gesehen und nicht den stärksten Beweis seiner Macht empfangen hätten, ein so gefährliches Werk nicht unternommen haben würden. Denn hätten sie auch zahllose Freunde gehabt, würden nicht alle schnell zu Feinden geworden sein, da sie die alten Gewohnheiten angriffen und die heimathlichen Sitten zu stürzen versuchten? Nun aber hatten sie lauter Gegner, ihre Landsleute, wie die Auswärtigen. Und wären sie auch bei den Auswärtigen in jeglicher Rücksicht geachtet gewesen: mußten nicht Alle sie verabscheuen, da sie eine neue Lebensart einführten? Nun aber waren sie von Allen verlassen, und schon von dieser Seite stand ihnen Haß und Verachtung Aller bevor. Wer sollte sich ihrer annehmen? Etwa die Juden? Diese trugen ja einen unsäglichen Haß gegen sie auf Grund dessen, was gegen ihren Meister geschehen war. Die Griechen? Aber auch diese verabscheuten sie nicht minder als die Juden: und Das wissen die Griechen am besten. Platon wollte nämlich eine neue Staatsverfassung oder vielmehr nur einen Zweig derselben einführen; er änderte nicht die Religionsgebräuche, sondern führte statt der üblichen Handlungen andere ein; dafür wurde er aus Sicilien verbannt und kam in Lebensgefahr. Zwar entrann er dem Tode, verlor aber die Freiheit. Und wäre nicht ein Barbar milder gewesen als der Thyrann von Sicilien, so hätte den Philosophen Nichts von lebenslänglicher Sklaverei in einem fremden Lande zu retten vermocht. Und doch ist es nicht einerlei, in Religionssachen und in der Verfassung des Staates Neuerungen zu versuchen; denn Jenes bringt die Menschen vorzugsweise in S. 65 Verwirrung und Aufruhr. Denn Vorschriften über die Eigenschaften der Personen, die sich verheirathen sollen, oder über das Verhalten der Wächter sind nicht der Art, daß sie leicht Aufruhr stiftend und vorzüglich dann, wenn Dieses bloß im Gesetzbuche steht und der Gesetzgeber sich um die Befolgung seiner Vorschriften wenig bekümmert: aber sagen, daß die Götter, welche verehrt werden, keine Götter, sondern Dämonen seien, daß der Gekreuzigte Gott sei, — ihr wißt, welche Wuth Das erregte, welche Strafe es veranlaßte, welchen Krieg es verursachte.
