VII.
Hätten die Apostel auch nur eine Gewohnheit von zehn Jahren, geschweige von so langer Zeit her, und hätten sie nur wenige Menschen und nicht die ganze Welt gegen sich gehabt: so war die Umwandlung dennoch gar schwierig. Nun aber waren Sophisten und Redner, Väter, Großväter und Urahnen von undenklichen Zeiten her, Land und Meer, Berge und Thäler und alle Geschlechter der Barbaren und alle Stämme der Griechen, Weise und Ungelehrte, Herrscher und Unterthanen, Männer und Weiber, Jünglinge und Greise, Herren und Sklaven, Bauern und Handwerker, Städtebewohner und Landleute — Alle waren in diesem Irrthum befangen. Man hätte denken sollen, die Katechumenen würden zu den Aposteln gesagt haben: „Was ist doch Das? Sind denn die Bewohner der ganzen Wett betrogen? Sophisten und Rhetoren, Philosophen und Geschichtschreiber dieser und der verflossenen Zeit — ein Pythagoras, ein Platon, Feldherren, Konsuln und Könige, Bewohner und Gründer uralter Städte, Barbaren und Griechen? Und sind denn diese zwölf Fischer, Zeltmacher und Zöllner weiser als Diese alle? Wer sollte denn Dieses ertragen?“ Und doch sprachen und dachten sie nicht so, sondern hörten den Unterricht an und erkannten, daß die Apostel weiser seien als Alle: darum siegten sie auch über sie. Und damit du einsehest, wie groß die Macht der Gewohnheit sei, so bedenke, daß sie oft über die Befehle S. 121 Gottes, ja was sage ich über die Befehle, ja sogar über seine Wohlthaten die Oberhand behauptet. Denn als die Juden Manna hatten, verlangten sie Knoblauch, und als sie der Freiheit genoßen, gedachten sie der Sklaverei und sehnten sich, ob der Gewohnheit, immer wieder nach Ägypten: so tyrannisch ist die Gewohnheit. Willst du ihre Macht auch bei den Heiden kennen lernen, so höre, was man von Platon erzählt: obgleich er wohl wußte, daß die Götterlehre Irrthum sei, so ließ er sich doch zu den Festen und zu allem Übrigen herbei, weil er die Gewohnheit nicht zu bekämpfen vermochte und Dieß durch die Erfahrung an seinem Lehrer erprobt hatte. Denn als dieser wegen einer ähnlichen Neuerung in Verdacht gekommen war, so verlor er das Leben, obgleich er sich durch eine Schutzrede zu vertheidigen suchte: weit gefehlt, daß ihm sein Unternehmen gelang. Wie viele Menschen sehen wir auch jetzt noch durch Vorurtheil im Heidenthume zurückgehalten, und die, wenn man sie darüber zur Rede stellt, keinen vernünftigen Grund anführen können, sondern sich nur auf ihre Väter und Großväter berufen! Darum haben auch Einige aus den heidnischen Schriftstellern die Gewohnheit eine zweite Natur genannt. Betrifft aber die Gewohnheit die Religion, so ist sie um so stärker; denn Alles läßt sich leichter umstoßen als Religionsgebräuche. Nebst der Gewohnheit war aber auch noch die Scham ein großes Hinderniß und der Schein, daß man in seinem Alter und sogar von Unwissenden sich eines Bessern müsse belehren lassen. Und was Wunder, wenn Dieses in Betreff des Geistes geschah, da die Gewohnheit sogar auf den Körper einen mächtigen Einfluß ausübt!
Zur Zeit der Apostel gesellte sich noch ein anderes mächtiges Hinderniß dazu, daß sie nämlich nicht nur eine uralte Gewohnheit umstürzten, sondern daß dieser Umsturz auch mit Gefahren verknüpft war. Denn sie zogen die Zuhörer nicht von einer Gewohnheit zu einer andern, sondern von einer mit Sicherheit verbundenen Gewohnheit zu Dingen, S. 122 welche Gefahren drohten. Denn wer da glaubte, mußte alsbald Einziehung der Güter, Verfolgung Verbannung aus dem Vaterlande erwarten, das Schrecklichste ertragen, von Allen gehaßt, von Angehörigen und Fremden als gemeinsamer Feind angesehen werden. Hätten sie die Menschen vom Neuen zur alten Gewohnheit gerufen, so wäre Das schon eine schwierige Sache gewesen; da sie nun aber dieselben von dem Gewohnten zum Neuen beriefen und dieses Schreckliche noch dazu kam, so kannst du dir denken, wie groß dieses Hinderniß war. Zu dem Gesagten trat aber noch ein anderer ebenso wichtiger Umstand, wodurch die Veränderung erschwert wurde. Nebst der Macht der Gewohnheit und nebst den Gefahren waren auch die Forderungen, die sie an die Menschen stellten, strenger, hingegen die Satzungen der Religion, von der sie dieselben abzogen, einfach und leicht. Denn sie riefen dieselben von der Unzucht zur Keuschheit, von der Trunksucht zur Nüchternheit, vom Lachen zu Thränen und zur Buße, von der Habsucht zur Armuth, von der Lebenslust zum Tode, von der Sicherheit zu den Gefahren, und sie forderten in Allem die größte Lebensstrenge; denn Paulus spricht: „Schamloses und thörichtes Gerede und Possen sollen nicht aus eurem Munde kommen.“1 Und Das sprach der Apostel zu Denen, die nichts Anderes kannten, als sich zu berauschen und zu schmausen, und welche Feste feierten, die in nichts Anderem bestanden als in unanständigen Dingen, in Gelächter und allerlei Possen. Es war also die Lehre, die da vorgetragen wurde, nicht allein darum schwer, weil sie strenge war, sondern auch, weil sie Leuten geprediget wurde, die von Jugend auf an Ungebundenheit, an Schamlosigkeit, an Zoten, Gelächter und Possen gewohnt waren. Wer von Denen, die ein solches Leben führten, mußte nicht zurückgeschreckt werden, wenn er hörte: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt S. 123 und mir nachfolgt. Der ist meiner nicht werth;“2 und: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, und den Sohn mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter zu entzweien?“3
