3. Kap. Sünde ist alles, was Gott verbietet. Es gibt Sünden der Tat und Sünden des Gedankens. Die Sünde wurzelt im Willen.
Die Handlungen zu bezeichnen, wobei die Reue wohlangebracht und pflichtmäßig erscheint, mit andern S. 228Worten, was als Sünde anzusehen sei, fordert zwar von uns das Thema; allein es könnte überflüssig erscheinen. Denn wenn man den Herrn erkannt hat, so erhebt sich der Geist, dem sein Schöpfer das Antlitz gnädig zugewandt hat, von selbst zur Erkenntnis der Wahrheit, und in die Gebote des Herrn eingeweiht, wird er durch diese sofort dessen belehrt; man müsse als Sünde ansehen, was Gott verbietet. Weil nun Gott anerkanntermaßen ein erhabenes Gut ist, so wird ihm als dem Guten natürlich nichts mißfallen, als nur das Böse, nach dem Grundsatze, daß unter konträren Gegensätzen keine Freundschaft besteht. Doch soll es uns nicht verdrießen, kurz anzumerken, daß einige Sünden fleischliche, d. h, körperliche, die anderen Geistessünden sind. Denn da der Mensch aus der Vereinigung dieser beiden Substanzen besteht, so sündigt er auch nicht anders, als durch das, woraus er besteht. Der Unterschied beruht jedoch nicht darauf, daß Leib und Seele zwei Dinge sind, - im Gegenteil, sie sind um so mehr einander gleich, weil sie beide ein Wesen bilden. Man darf daher ihre Sünden ja nicht nach der Verschiedenheit der Substanzen unterscheiden und die einen für leichter, die ändern für schwerer halten. Sowohl Fleisch als Geist sind Gottes Werk, das eine durch Gottes Hand gebildet, das andere durch seinen Hauch zur Vollendung gebracht. Da sie in gleichem Grade dem Herrn gehören, so beleidigt jedes von ihnen, wenn es sündigt, in gleichem Grade den Herrn. Oder wolltest du einen Unterschied zwischen den Akten des Fleisches und denen des Geistes machen, da deren Gemeinschaft und Verbindung doch im Leben, im Tode und in der Auferstehung so innig ist, daß sie in jener Zeit, das eine wie das andere auf gleiche Weise, entweder zum Leben oder zum Gerichte auferweckt werden, weil sie in gleicher Weise entweder gesündigt oder unschuldig gelebt haben?
Wir haben dies in der Absicht vorausgeschickt, damit man einsehe, daß jedem Teile allein, wenn er etwas verbrochen hat, die Notwendigkeit, Buße zu tun, ebenso sehr obliege als beiden. Gemeinsam ist beiden S. 229die Verschuldung und auch ihr Richter ist ein gemeinsamer, nämlich Gott, gemeinsam ist ihnen mithin auch die Buße als Heilmittel. Geistessünden und körperliche werden sie davon genannt, daß jede Sünde entweder getan oder nur gedacht wird, so daß körperlich das ist, was verwirklicht worden ist, weil das Tatsächliche, gleichsam wie ein Körper, fähig ist, gesehen und betrachtet zu werden; Geistessünde aber ist das, was rein innerlich geblieben, weil der Geist weder sichtbar noch greifbar ist1 . Daraus ist ersichtlich, daß man nicht bloß die Tatsünden, sondern auch die Sünden des Willens meiden und sich durch Reue und Buße davon reinigen müsse. Hat die menschliche Schwäche auch bloß über die Sünde der Tat ein Urteil, weil sie den Heimlichkeiten des Willens nicht beikommen kann, so wollen wir darum dessen Vergehungen Gott gegenüber ja nicht gering schätzen! Gottes Kräfte reichen für alles aus. Nichts, worin überhaupt gesündigt wird, ist seinen Blicken entrückt. Weil ihm nichts unbekannt ist, so übersieht er auch nicht, es für das Gericht zu bestimmen. Für sein durchdringendes Auge gibt es keine Verstellung, keine Winkel- und Doppelzüge.
Ferner, der Wille ist der Ursprung der Tat, mag immerhin manches dem Zufall, der Notwendigkeit oder der Unwissenheit zuzuschreiben sein. Werden diese Fälle ausgenommen, so bleiben nur Willenssünden übrig. Da der Wille also der Ursprung der Tat ist, sollte er da nicht um so mehr der Strafe verfallen sein, je näher er der Schuld steht, welche auch dann nicht wegfällt, wenn irgend eine Schwierigkeit die S. 230Ausführung abschneidet? Denn diese selbst wird ihm angerechnet, und er kann nicht entschuldigt werden durch das Mißgeschick im Vollbringen, da er das Seinige getan hat. In welcher Weise endlich kündigt der Herr an, dem Gesetze eine Steigerung hinzufügen zu wollen? Dadurch, daß er auch die Sünden des Willens verbietet, indem er für Ehebrecher nicht bloß die erklärt, die unmittelbar eine fremde Ehe antasten, sondern auch die, welche sie nur durch einen begehrlichen Blick beflecken.
Was zu vollbringen verboten wird, das kann sich die Seele nur mit sehr großer Gefahr vergegenwärtigen; es durch den Willen tatsächlich in Vollzug zu setzen, ist ein Frevel. Da nun die Macht des Willens eine so große ist, daß er, auch ohne seinem Verlangen Genüge geleistet zu haben, schon für die Tat gilt, so wird er auch anstatt der Tat bestraft werden. Es ist also höchst töricht, zu sagen: Ich habe es gewollt, aber nicht getan. Eigentlich mußt du es tun, weil du es willst, oder du darfst es nicht wollen, weil du es doch nicht vollbringst. Dies bekennst du selbst durch das Eingeständnis deines Gewissens. Wenn du nämlich etwas Gutes begehrt hättest, so würdest du es mit Freude ausgeführt haben; folglich hättest du das Böse ebenso wenig begehren dürfen, als du es ausführst. Wohin du dich auch stellst, du verfällst der Anklage, weil du entweder etwas Böses gewollt oder etwas Gutes nicht ausgeführt hast.
Die Terminologie, deren sich Tertullian hier bedient, hat in der Theologie bekanntlich keinen Eingang gefunden. der Grund, warum er gerade auf corporalia für Tatsünden verfallen ist, liegt in der eigentümlichen Bedeutung, welche corpus in seiner philosophischen Sprache hat. Corpus ist ihm alles, was eine „bestimmte Seinsweise“ erlangt hat, also jede Substanz. Die Tat ist ihm nun das feste, greifbare Gewand, welches die an sich unbestimmte Gedankensünde aufgenommen hat. Der Ausdruck corpus peccati entspricht in etwa dem corpus, das er der menschlichen Seele beilegt, z.B. De carne Chr. c. 11, wobei er wiet entfernt ist, eine Materialität der Seele lehren zu wollen. ↩
