Passion der Märtyrer von Acaunum
S. 13 Eucherius an den in Christus heiligen und hochseligen Hern Bischof Salvius.
Ich übersende Eurer Seligkeit eine schriftliche Darstellung der Passion unserer Märtyrer. Es drückt mich nämlich die Besorgnis, die Erinnerung an das Ereignis des ruhmreichen Martyriums möchte im Laufe der Zeit durch Unachtsamkeit aus dem Gedächtnis der Menschen entschwinden. Darum habe ich mich bei zuständigen Gewährsmännern nach dem wirklichen Sachverhalt erkundigt. Es handelt sich dabei um Leute, die beteuerten, den Verlauf der Passion, so wie ich ihn darstelle, vom heiligen Bischof Isaak von Genf vernommen zu haben. Dieser wiederum dürfte ihn nach meiner Meinung seinerzeit vom hochseligen Bischof Theodor, einem Manne der vorausgehenden Generation, erhalten haben.
Während nun andere Leute aus verschiedenen Orten und Provinzen zum Lobe und zur Verehrung des Heiligen Gold- und Silbergeschenke sowie mancherlei Gaben darbringen, opfere ich diese meine Schrift, sofern sie auf Eure Fürbitte hin für würdig erachtet wird. Ich erbitte mir dafür vonseiten meiner Patrone Fürsprache ob aller meiner Verfehlungen sowie ständigen Schutz für die Zukunft.
Heiliger Herr und mit Recht hochseliger Bruder, gedenkt auch Ihr unser im Angesichte des Herrn beim immerwährenden Dienst zu Ehren der Heiligen.
S. 14 Zu angemessener Ehrung des Ereignisses möchte ich schriftlich berichten über die Passion der hl. Märtyrer, die durch ihr glorreiches Blutzeugnis den Ruhm von Acaunum bilden. Es soll mit jener Glaubwürdigkeit geschehen, mit welcher der Verlauf des Martyriums auf uns gelangt ist. Die Erinnerung an dies Geschehnis ist nämlich noch nicht der Vergessenheit anheim gefallen, weil die folgenden Generationen sie jeweils weitergaben. Schon um einzelner Märtyrer willen gelten Orte und Städte, die in ihrem Besitze sind, für ausgezeichnet. Nicht zu Unrecht, opfern doch die Heiligen ihr kostbares Leben für Gott, das höchste Gut. Mit welcher Ehrfurcht erst muß man dann die heilige Stätte von Acaunum umgeben, wo so viele Tausende von Märtyrern für Christus mit dem Schwerte hingerichtet wurden. Doch gehen wir über zum Ereignis des hochseligen Martyriums selbst.
Unter Maximian, der sich mit Diokletian in die kaiserliche Herrschaft über das Römerreich teilte, wurden in den verschiedensten Provinzen ganze Scharen von Märtyrern zerfleischt oder getötet. Maximian war nämlich besessen von Habgier, Wollust, Grausamkeit und andern Lastern und ging darum wie ein Rasender vor. Nicht nur das. Den abscheulichen Gebräuchen der Heiden ergeben und dem Himmelsgotte fremd, machte er sich in seiner Gottlosigkeit auch an die Ausrottung des Christennamens. Wagte sich damals jemand zum Dienst des wahren Gottes zu bekennen, so schickte er überallhin Mannschaften, und die Diener Gottes wurden zu Folter und Tod geführt. Als oh es gegen ein wanderndes Barbarenvolk ginge, so bot er gegen die Religion Waffengewalt auf.
S. 15 Es gab nun damals im Heere eine Legion Soldaten, die man die Thebäer nannte. Unter Legion aber verstand man in jener Zeit einen Verband, der sechstausendsechshundert Mann unter den Waffen hatte. Es waren Männer voll kriegerischer Tüchtigkeit und hervorragender Tapferkeit, noch hervorragender jedoch durch Glaubenstreue. Man hatte sie zur Hilfeleistung an Maximian aus den östlichen Provinzen herangezogen. Sie wetteiferten in Tapferkeit gegenüber dem Kaiser und frommer Hingabe an Christus. Auch im Waffendienst vergaßen sie das Gebot des Evangeliums keineswegs und leisteten darum Gott, was Gottes war, dem Kaiser, was des Kaisers war.
Gleich andern Soldaten erhielten auch sie Auftrag, eine Menge Christen herzuschaffen. Doch sie allein wagten es, diesen grausamen Dienst abzuweisen und verweigerten den Gehorsam derartigen Befehlen gegenüber. Maximian befand sich nicht weit weg; denn, müde vom Marsche, rastete er in der Nähe von Octodurum (Martigny). Boten meldeten ihm, die gegenüber königlichen Befehlen rebellische Legion habe in der Enge von Acaunum Halt gemacht. Da packte ihn Empörung, und er geriet in Wut.
Bevor ich jedoch über die weiteren Geschehnisse berichte, glaube ich der Darstellung etwas einfügen zu müssen über die Lage jenes Ortes. Acaunum ist etwa sechzig Meilen von der Stadt Genf entfernt und etwa vierzehn Meilen vom obern Ende des Genfersees, in den die Rhone mündet. Der Ort liegt noch im Tal boden, aber bereits zwischen den Bergrücken der Alpen. Wer hinkommen will, dem öffnet sich ein rauher, enger Weg und gewährt mühsamen Durchpaß.
S. 16 Die wilde Rhone läßt nämlich für den Reisenden nur einen kaum gangbaren Uferdamm am Fuß von Felswänden übrig. Hat man aber den Engpaß glücklich hinter sich, so tut sich zwischen den Felskämmen unvermutet eine ziemlich weite Ebene auf. Hier hatte die heilige Legion ihr Lager aufgeschlagen.
Auf die Meldung vom Bescheid der Thebäer geriet Maximian, wie gesagt, ob der Mißachtung kaiserlicher Erlasse in Wut. Er gab Befehl, jeden zehnten Mann aus der Legion mit dem Schwerte hinzurichten, um so den übrigen Schrecken einzujagen vor den königlichen Anordnungen und sie so eher zu Furcht und Nachgeben zu bringen. Nach genauer Ausführung seines Erlasses erließ er ein Edikt, wonach die übrigen zur Verfolgung der Christen genötigt werden sollten. Die erneute Aufforderung gelangte an die Thebäer, und sie mußten erfahren, daß ihnen wiederum religionsfeindliche Exekutionen zugemutet wurden. Da geriet das ganze Lager in Aufregung, und allenthalben wurde der Ruf laut, niemals und niemand gegenüber werde man sich zu solch sakrilegischem Dienst hergeben. Stetsfort habe man den Götzendienst verabscheut; dagegen sei man eingeführt in die christlichen Geheimnisse und unterrichtet im Kult der Gottesreligion. Man verehre den einen Gott der Ewigkeit und wolle lieber das Äußerste erdulden, als gegen den christlichen Glauben vorgehen.
Maximian erfuhr davon. Grausamer als jedwede Bestie geriet er nach seiner Art wiederum in Wut und erließ Befehl, nochmals jeden zehnten Mann aus ihnen dem Tode zu überantworten. Die übrigen jedoch sollten trotzdem gezwungen werden, das von ihnen S. 17verabscheute Werk auszufiihren. Wieder gelangte der Befehl ins Lager. Jeder zehnte Mann wurde ausgelost, abgeführt und hingerichtet. Die große Schar der übrigen Soldaten aber sprach sich gegenseitig Mut zu, fest zu bleiben im erhabenen Beginnen.
Wer dabei am meisten zur Treue im Glauben anspornte, war der heilige Mauritius, nach der Tradition damals Oberst der Legion. Gemeinsam mit Exuperius, der nach der Heeressprache Campidoctor (Instruktionsoffizier) war, und dem Militärsenator Candidus feuerte er die einzelnen mit begeisternden Mahnworten an. Nachdrücklich wies er hin auf das Beispiel der treuen Kommilitonen, die nun schon Blutzeugen waren, redete allen zu, sie mochten für den Christus geleisteten Fahneneid und für die göttlichen Gesetze nötigenfalls den Tod auf sich nehmen, und ermahnte sie, es ihren Kameraden und Zeltgefährten gleichzutun, die bereits vorangegangen waren in den Himmel. Solch beispielhaftesVerhalten von Vorgesetzten brachte Mut. Man richtete an Maximian, der noch immer raste vor Wut, eine ebenso gottesfürchtige wie tapfere Eingabe, die folgenden Wortlaut gehabt haben soll: «Kaiser, wir sind zwar Deine Soldaten, aber - wir bekennen es frank und frei - nichtsdestoweniger Knechte Gottes. Dir schulden wir Kriegsdienst, ihm ein schuldloses Leben. Von Dir haben wir Sold erhalten für unsere Strapazen, von ihm den Anfang unseres Lebens. Unsern Gott und Schöpfer zu verleugnen, darin können wir dem Kaiser keinesfalls Folge leisten; unsern Schöpfer, sagen wir, - und auch Deinen Gott und Schöpfer, magst Du wollen oder nicht. So man uns nicht zwingt, ihn durch solche Bluttat zu beleidigen, S. 18 werden wir Dir weiterhin Gehorsam leisten, wie wir bis anhin getan. Andernfalls wollen wir lieber ihm als Dir gehorchen. Wir bieten unsere Hand gegen jedweden Feind; mit dem Blute Unschuldiger sie zu beflecken, geht nach unserer Überzeugung nicht an. Unsere Rechte weiß zu kämpfen gegen Gottlose und gegen Feinde; Fromme und Mitbürger hinzumachen versteht sie nicht. Erinnern wir uns recht, so haben wir für unsere Mitbürger zu den Waffen gegriffen, nicht gegen sie. Stets kämpften wir für die Gerechtigkeit, den Frommsinn und das Leben Unschuldiger. Solches war uns bis anhin der Gefahren Preis. Treue war es, wofür wir stritten. Wie aber sollen wir Dir Treue halten, wenn wir sie unserem Gott nicht leisten? Zu allererst haben wir Gott den Fahneneid geschworen, dann erst auf das Banner des Königs. Du darfst unserem zweiten Eid kein Vertrauen schenken, so wir den ersten gebrochen.
Du befiehlst uns, Christen aufzusuchen und zu bestrafen. Wohlan! Fortan brauchst keine andern mehr zu suchen. Hier hast Du uns! Siehe unser Geständnis: ,Wir glauben an Gott Vater als den Schopfer aller Dinge und an seinen Sohn Jesus Christus als Gott.ʽ Wir mußten zusehen, wie man Gefährten unserer Mühen und Gefahren mit dem Schwerte hinmachte, und wir wurden mit ihrem Blute besprengt. Aber wir haben nicht geweint über den Tod unserer Waffengefährten, nicht getrauert über die Bestattung unserer Brüder. Nein, wir haben sie lobpriesen und ihnen voller Freude das Geleite gegeben; denn sie waren würdig befunden, zu leiden für ihren Herrn und Gott. Jetzt droht uns das Schicksal gleichen Todes. Doch S. 19treibt das uns keineswegs in die Rebellion, und keinerlei Verzweiflung läßt uns zur Waffe greifen, wo doch jene sonst in Gefahr höchste Tapferkeit hervorruft. Sieh, wir stehn in Waffen, doch ohne Widerstand zu leisten; denn lieber wollen wir getötet werden als töten, lieber unschuldig umkommen als schuldig leben. Du magst nun weiteres gegen uns beschließen, weiteres befehlen, weiteres unternehmen, Feuer, Folter, Schwert: Wir·sind bereit, es auf uns zu nehmen. Wir bekennen, daß wir Christen sind; Christen verfolgen können wir nicht.»
Als Maximian solches vernahm und sehen mußte, daß ihre Herzen stark blieben in der Treue zu Christus, gab er die Hoffuung auf, sie abbringen zu können von ihrer ruhmvollen Standhaftigkeit. Er entschloß sich daher, sie alle durch einen gesamthaften Richterspruch töten zu lassen, und gab Befehl, sie mit Truppen zu umstellen und das Urteil zu vollziehen. Die abkommandierten Soldaten kamen zur hochseligen Legion und zogen gegen die Heiligen das ruchlose Schwert. Diese aber hingen nicht am Leben und straubten sich darum nicht, zu sterben. So wurden sie allenthalben mit dem Schwerte niedergemacht. Ohne Widerrede und erst recht ohne Widerstand legten sie die Waffen ab, boten den Verfolgern den Nacken und hielten den Henkern den Hals oder den unbedeckten Leib hin. Weder durch ihre große Zahl noch durch die Stärke ihrer Waffen ließen sie sich hinreißen zum Versuche, die Sache des Rechtes mit dem Schwert zu verfechten. Sie dachten an nichts, als an ihr Bekenntnis zu jenem, der ohne Widerrede zur Schlachtbank geführt wurde. Und wie ein Lamm seinen Mund nicht S. 20auftut, ließen auch sie als Herde des Herrn sich in Stücke reißen, als wie von einbrechenden Wölfen.
So fielen nun daselbst die Leiber der Frommen zur Erde hin und überdeckten sie: Welche Tollwut außer Krieg hat je zu solchem Niedermetzeln von Menschen geführt? Welche Roheit hat je durch ihren Richterspruch so viele selbst wirklich Schuldige umkommen lassen? Nicht die große Menge war schuld daran, daß Gerechte bestraft wurden, denn, was die Menge gefehlt, pflegt ungerächt zu bleiben. Durch das grausame Vorgehen eines furchtbaren Tyrannen wurde so jenes Volk von Heiligen dahingerafft, das gegenwärtige Güter für gering achtete um der Hoffnung auf zukünf tige willen. So wurde ums Leben gebracht jene wahrhaft engelgleiche Legion, von der wir glauben, daß sie, schon jetzt vereint mit jenen Engellegionen, allzeit im Himmel das Lob des Herrn Gott Sabaoth singt.
Der Märtyrer Viktor nun gehörte nicht zu jener Legion, noch war er überhaupt Soldat. Er hatte vielmehr seine Dienstzeit schon hinter sich und war Veteran. Auf einer Reise stieß er unversehens auf Leute, die hier und dort sich belustigten und gütlich taten an der den Märtyrern abgenommenen Beute. Man lud ihn ein, mitzuhalten und erzählte frohlockend, wie alles gekommen sei. Wie er solches hören mußte, erfaßte ihn Abscheu vor den Gastgebern, Abscheu vor dem Gastmahl, und er machte sich auf. Da stellte man ihm die Frage, oh er etwa auch Christ sei. Er gab zur Antwort, er sei Christ und werde es immer bleiben. Da stürzten sie sich auf ihn und töteten ihn. Vom Tode hingerafft auf der gleichen Stätte wie die übrigen Märtyrer, teilte er mit ihnen auch die Ehrung.
S. 21 Dem Namen nach sind uns aus der Zahl dieser Märtyrer nur bekannt: der hochselige Mauritius, Exuperius, Candidus und Viktor. Die andern bleiben uns zwar unbekannt, sind aber aufgeschrieben im Buch des Lebens. Doch sollen der gleichen Legion auch jene beiden Blutzeugen Ursus und Viktor angehört haben, die nach bestimmter Überlieferung bei Solothurn gelitten haben, einem Kastrum am Aarefluß, unweit vom Rhein.
Erwähnenswert bleibt noch der Ausgang, welcher dem grausamen Tyrannen Maximian beschieden war. Als er einen Hinterhalt bereitete, um seinen Schwiegersohn Konstantin, der damals die Kaiserherrschaft innehatte, in den Tod zu locken, kam man seinen Ranken auf die Spur. Bei Marseille wurde er gefangen genommen und endete nicht lange nachher durch den Strick. So fand ein gottloses Leben ein verdientes Ende durch den abscheulichsten Tod.
Die Leiber der hochseligen Märtyrer von Acaunum aber sollen viele Jahre nach ihrem Leiden dem heiligen Theodor, Bischof jenes Ortes, geoffenbart worden sein. Man erbaute zu ihren Ehren eine Basilika, die jetzt an eine weite Felswand anstößt und mit einer Seite daran sich anlehnt. Daßei ereigneten sich Wunder, die ich nicht übergehen möchte.
So geschah folgendes: Unter andern Handwerkern, die sich auf einen Aufruf hin zu jenem Unternehmen einfanden, befand sich auch ein Zimmermann, von dem man wußte, daß er noch Heide war. Am Tag des Herrn nun entfernten sich die übrigen und warteten auf die Festfeier dieses Tages. Er blieb allein in der Bauhütte zurück. In dieser Abgeschiedenheit zeigten sich ihm S. 22auf einmal unsere Heiligen in strahlendem Lichte. Der Zimmermann wurde gepackt und ausgespannt wie zur Bestrafung oder Folterung. Während er so die Schar der Märtyrer sichtbar schaute, bekam er Schläge und wurde zurechtgewiesen, daß er am Tag des Herrn als einziger in der Kirche fehle und es überhaupt wage, als Heide an diesem heiligen Bauunternehmen sich zu beteiligen. Wie sich herausstellte, war dies ein Erweis der Barmherzigkeit vonseiten der Heiligen; denn der Zimmermann rief den heilbringenden Namen aus und wurde alsogleich Christ.
Unter den von den Heiligen gewirkten Wundern möchte ich auch ein anderes nicht übergehen, das ebenso berühmt und allbekannt ist. Die Gattin des Quintus, eines hervorragenden und angesehenen Mannes, war von einer solchen Lähmung befallen, daß auch ihre Füße den Dienst versagten. Sie äußerte ihrem Manne gegenüber den Wunsch, nach Acaunum getragen zu werden, wohin es recht weit war. Daselbst angekommen, wurde sie von den Bedienten auf den Hän den in die Basilika hineingetragen, konnte jedoch zu Fuß in die Herberge zurückkehren. Die zuvor abgestorbenen Glieder waren wieder gesund, und heute trägt sie die Kunde von ihrem Wunder selbst unter die Leute.
Diese beiden Wunderzeichen der Passion einzufügen, dünkt mich genug. Daneben wirkt die Kraft des Herrn durch seine Heiligen daselbst tagtäglich noch viele andere Werke, sei es Befreiung von bösen Geistern oder andere Heilungen.
So weit die Passion, die am 22. September begangen wird.