44.
Ein zweites Gedicht nach derselben Melodie [Tröstet in Verheißungen].
Der Gütige [selbst] schuf den Leib, um den Irrlehrern zu zeigen, wie hervorragend das Werk seiner Hände sei und daß es für die Ewigkeit bestimmt sei. [5] Der Gerechte [selbst] hauchte die Seele ein, um zu lehren, um wieviel erhabener sie ist als die der Tiere, die er nicht einhauchte. Diese, die nicht eingehaucht ist, hat einen schweigenden und stummen Mund, [10] jene, die sein Mund einhauchte, hat einen der Sprache fähigen Mund. – [Kehrvers:] Seele und Leib, o Herr, mögen sich über deine Auferstehung freuen!
Wäge ab den Menschen [15] mit den Tieren auf der Wagschale der Natur und betrachte im Geiste: wie jenes Tier ein Teil des Vergänglichen ist [20] und in jeder Hinsicht ganz und gar vorübergehend, so ist hingegen die menschliche Natur ein Schatz zur Erhaltung, und ganz ist sie durch die Auferstehung ein Teil des Lebens.
[25] Betrachte ferner den Bau der Tiere und sieh, daß er durchaus nicht vollkommen ist; ganz ist es nur darin entsprechend, [30] daß es ohne Hoffnung ist, so daß es die Irrlehrer überführt, die die Natur des Menschen teilen und, obgleich er etwas [in sich]. Gleichartiges ist, annehmen, daß die Hälfte der Hoffnung angehört, [35] die andere ohne Hoffnung ist.
Es bezeugt unsere Belohnung das Zugtier, welches keinen Lohn erhält, denn seine Arbeit ist ohne Hoffnung, sein Lauf ohne Belohnung, [40] sein Schmerz ohne S. 299 Verheißung, und es ist ganz ohne Auferstehung, damit es dem Menschen die Überzeugung beibringe, daß der Lauf beider [Leib und Seele] unter einem Joche eine Belohnung zur Folge habe, [45] ihre Arbeit mit Verheißung, ihre Schmerzen mit Glorie verknüpft sei.
Diese beiden Dinge nämlich sind dem Schwachen vorgelegt, damit er einsehe, [50] daß der Lauf der Tiere ohne Lohn bleibt, und damit er sich überzeuge bezüglich des dem Menschen versprochenen Lohnes, und damit er erkenne, daß unser Schöpfer nicht Unrecht tat, wenn er dem Menschen [55] Paradies und Hölle versprach und den lebenden Wesen reichlich Ruhe gab ohne Strafen.
Betrachte wiederum die Tiere! Keines tötet sich ab [60] und verpflichtet Gott durch irgend etwas, so daß es sagen könnte, es sei um seinen Lohn gekommen. Der Leib aber tötet sich ab, indem er durch sein Fasten sich die Gerechtigkeit verpflichtet, so daß er, wenn es keine Auferstehung gäbe, um seinen Lohn käme, und mehr als das Blut Abels würde sein Schweigen auf der Erde nach dem anvertrauten Gute vor dem Allvergelter schreien.
Töte ein Tier und lerne, [70] daß keiner dich [dafür] töten wird, denn seine Seele geht zugleich mit dem Körper unter, und nichts ist an ihr, das zur Auferstehung gelangt. [75] Dieses Wort macht allem Streit ein Ende: wie bei den Tieren für ihre Seele das gleiche gilt wie für ihren Leib, so wird unser Leib leben wie unsere Seele.
[80] Die Schrift lehrt die Weisen, die Natur die Ungläubigen, daß das Vergängliche nur für eine Zeitlang erhalten bleibt und das Unvergängliche [85] für ewige Erhaltung bestimmt ist, und daß der, der solches tötet, wieder getötet werden soll. Sogar seine Trennung zeigt, daß es für die Ewigkeit bestimmt war; über alles wird die Schlange von jedem verflucht, [90] weil sie betrog und die Trennung verursachte.
Siehe doch, Vögel, Fische und [sonstige] Tiere werden unter Segensspruch geschlachtet und ebenso gegessen; [95] unter Segensspruch wird die Saat geerntet, die Frucht gepflückt, aber nicht verflucht wird der, welcher erntet oder pflückt. Wenn also der Leib des Menschen für die Vergänglichkeit bestimmt wäre, [100] wem S. 300 könnte da die Schlange oder der Mörder fluchwürdig oder verflucht erscheinen?
Das Getreide, welches überständig ist und ausfällt, die Frucht, welche welk und geschmacklos geworden ist, klagen den Landmann an, [105] daß er lässig war und nicht erntete und den Samen nicht drosch noch aus der Spreu aussonderte, – darum wäre nach ihrem1Wort der im Unrecht, der nicht [110] den Greis tötete, dessen Geist stumpf geworden, um so diese Seele von ihrer lästigen Fessel zu befreien.
Eben darum geschieht es, daß man die Greise, die nichts mehr nützen, doch am Leben läßt, [115] damit der Gütige durch sie jenen Lügnern die Wahrheit lehre. Und obgleich das Schwert für den Greis etwas Ruhebringendes wäre, würde doch der junge Mann, der es ergriff, selbst dem Schwerte verfallen. [120] Er vernichtet die Jugend, die das Greisenalter vernichtete, damit er zeige, wie teuer der Leib seinem Schöpfer ist.
Jedermann erwartet den Tod eines Greises, der nach dem Zeugnis aller [125] eine schlimme Last ist, und doch wird ihn keiner töten; obgleich sein Tod erwünscht ist, ist doch noch mehr gefürchtet seine Tötung, [130] um uns zu lehren, wie achtenswert er auch in seinem Elend ist, und wie sehr geehrt im Paradiese, und wie groß seine Glorie, wenn er zum Leben auferstehen wird.
der Irrlehrer ↩
