3.
Doch hat die Trennung sie nicht unvorbereitet getroffen, da sie bei den Kämpfen des Streiters im Voraus sich gewöhnte, die Vereinsamung zu ertragen. Ihr erinnert euch gewiß, wie euch die vorhergehende Rede die Kämpfe des Mannes darlegte, daß er, wie er in Allem die heilige Dreiheit ehrte, auch in der Zahl der Kämpfe die Ehre bewahrte, indem er gegen drei Angriffe der Versuchungen kämpfte.1 Ihr vernahmt die Reihenfolge seiner Leiden, welches das erste, welches das mittlere, welches das letzte war. Ich halte es für überflüssig, die trefflichen Worte zu wiederholen. Aber so viel zu sagen dürfte nicht unpassend sein. Als jene wohlgesittete Kirche den Mann zum ersten S. 564 Male sah, sah sie ein Antlitz, wahrhaft nach dem Bilde Gottes gestaltet, sah eine Liebe, die wie eine Quelle sprudelte, sah Anmuth um seine Lippen ausgegossen, den höchsten Grad der Demuth, über dem sich kein höherer mehr denken läßt, eine Sanftmuth wie bei David, eine Einsicht wie bei Salomo,2 eine Güte wie bei Moses, eine Vollkommenheit wie bei Samuel, eine Keuschheit wie bei Joseph, eine Weisheit wie bei Daniel,3 sah ihn im Eifer des Glaubens beschaffen wie den großen Elias, in der Unversehrtheit des Körpers wie den erhabenen Johannes,4 in der unübertrefflichen Liebe wie Paulus, sah die Vereinigung so vieler Güter in einer einzigen Seele. Sie wurde von seliger Liebe verwundet und liebte mit reinem und gutem Wohlwollen ihren Bräutigam. Aber bevor sie ihres Verlangens theilhaftig wurde, bevor sie ihre Sehnsucht stillte, da sie noch von Begierde brannte, wurde sie allein gelassen, indem die Versuchungen den Streiter zu den Kämpfen riefen. Und er bestand die heissen Kämpfe für die Frömmigkeit, sie aber bewahrte fortwährend die keusche Ehe. Lange Zeit verfloß inzwischen, und Einer griff in ehebrecherischer Gesinnung das unbefleckte Ehebett an, aber die Braut blieb ohne Makel. Und es erfolgte wieder Rückkehr und wieder Verbannung, und in gleicher Weise zum dritten Male, bis der Herr das Dunkel der Häresie zerstreute und den Lichtstrahl des Friedens entsendend einige Erholung von den langen Mühseligkeiten hoffen ließ. Aber als sie sich gegenseitig wieder sahen und der wohlgesittete Verkehr und die geistigen Freuden sich wieder erneuerten und die Sehnsucht wieder entbrannte, da verhindert den Genuß diese letzte Reise. Er kam, um euch für den Brautstand zu schmücken, S. 565 und verfehlte seinen Zweck nicht. Er setzte der schönen Verbindung die Kränze des Segens auf. Er ahmte den Herrn nach. Wie zu Kana in Galiläa der Herr, so machte es auch hier der Nachahmer Christi. Denn die jüdischen Wasserkrüge, die mit häretischem Wasser gefüllt waren, füllte er mit ungemischtem Weine, indem er in der Kraft des Glaubens die Natur umwandelte. Er stellte oft in euere Mitte einen nüchternen Becher, indem er mit seiner süßen Stimme in reichlichem Maße die Gnade hineingoß. Oft setzte er euch das gemeinsame Gastmahl des Wortes vor. Er machte segnend den Anfang, diese seine trefflichen Schüler aber dienten der Menge, indem sie das Wort bis in die kleinsten Theile erklärten. Auch wir freuten uns, weil wir den Ruhm eueres Geschlechtes zu dem unsrigen machten.
Wie gut läßt sich bisher erzählen! Welches Glück wäre es, wenn man hiemit die Rede beschließen könnte! Aber was folgt weiter? Ruft die Klagefrauen, spricht Jeremias.5 Denn nicht anders kann das brennende Herz beschwichtigt werden, wenn es von Schmerz überströmt, ausser daß es sich durch Seufzer und Thränen erleichtert. Damals tröstete uns wegen der Trennung die Hoffnung der Rückkehr. Jetzt ist er durch die letzte Trennung von uns geschieden. Eine große Kluft hat sich zwischen ihm und der Kirche gebildet. Er ruht im Schooß Abrahams, und Niemand ist, der den Tropfen Wasser brächte, um die Zunge der Gepeinigten abzukühlen. Entschwunden ist jene Schönheit, verstummt die Stimme, verschlossen sind die Lippen, entflohen ist die Anmuth, das Glück gehört der Geschichte an. Es versetzte einst auch Elias das israelitische Volk in Trauer, als er von der Erde zu Gott auffuhr. Aber es tröstete sie wegen der Trennung Elisäus, der sich mit dem Schaffell des Lehrers schmückte. Jetzt aber gibt es für die S. 566 Wunde keine Heilung, weil sowohl Elias hinweggerafft ist, als auch kein Elisäus zurückgelassen wurde. Ich vernahm von Jeremias einige wehmüthige und klagende Töne, in denen er darüber weint, daß die Stadt der Jerusalemiten verödet sei, indem er manches Andere mit großem Schmerze anführt und auch Dieses sagt: „Die Straßen Sions trauern.“6 Das ist damals gesagt worden und jetzt in Erfüllung gegangen. Denn wenn die Nachricht vom Trauerfall einmal die Runde gemacht hat, dann werden die Straßen mit Leidtragenden sich füllen. Und Die, welchen er Weide gab, werden sich ausgießen und im Unglück in die Rufe der Niniviten einstimmen oder vielmehr noch heftigeren Schmerz als jene zeigen. Denn jene befreite die Wehklage von der Furcht, Diese aber finden in ihren Wehklagen keine Hoffnung, von ihren Leiden befreit zu werden. Ich kenne auch ein anderes Wort des Jeremias, welches in die Bücher der Psalmen aufgenommen ist, das er über die Gefangenschaft Israels aussprach. Es lautet das Wort: „An den Weidebäumen hingen wir unsere Instrumente auf“7 und legten uns selbst und den Instrumenten Schweigen auf. Ich mache von diesem Gesange für mich Gebrauch. Denn wenn ich die Verwirrung der Häresie sehe, ― Babylon aber ist die Verwirrung, ― und wenn ich die Versuchungen sehe, welche durch die Verwirrung fließen, so erkläre ich das für jene babylonischen Flüsse, an denen wir sitzen und weinen, weil wir Niemand haben, der uns durch dieselben führte. Und wenn du die Weidenbäume nennst und die Instrumente daran, so paßt auch das als Gleichniß für mich. Denn wir leben in Wahrheit unter Weidebäumen. Denn der Weidebaum hat keine Frucht. Von unserm Leben aber ist die süße Frucht abgefallen. Wir sind also unfruchtbare Weidebäume geworden und haben die müssigen und ruhenden Instrumente der Liebe am Holze aufgehängt. „Wenn ich dich vergesse, Jerusalem,“ sagt er, „so soll meine Rechte S. 567 vergessen werden.“8 Gestattet mir, an Dem, was geschrieben steht, eine kleine Änderung vorzunehmen; nämlich nicht wir haben die Rechte, sondern die Rechte hat uns vergessen,9 und die Zunge, am Schlunde festgehalten, hat der Stimme den Durchgang versperrt, daß wir jene süße Stimme fernerhin nicht mehr vernehmen.
Doch trocknet meine Thränen! Denn ich merke, daß ich über den Trauerfall mehr als billig in weibische Klagen ausbreche. Nicht entrissen ist uns der Bräutigam, mitten unter uns steht er, wenn wir ihn auch nicht sehen. Im innersten Heiligthum ist der Priester. Innerhalb des Vorhanges, wo Christus als Vorläufer für uns eingetreten ist, hat er die Hülle des Fleisches abgelegt. Nicht mehr betet er das Zeichen und den Schatten des Himmlischen an, sondern schaut das Bild der Dinge selbst, nicht mehr im Spiegel und Gleichniß,10 sondern indem er ihn selbst schaut, fleht er Gott an für uns und die Verirrungen des Volkes. Abgelegt hat er die Kleider von Fellen. Denn nicht mehr bedürfen, die im Paradiese leben, solche Kleider. Dafür trägt er die Kleider, die er durch die Reinheit seines Lebens sich gewebt und als Schmuck angezogen hat. Kostbar ist vor dem Herrn der Tod eines solchen Mannes.11 Aber es ist vielmehr nicht ein Tod, sondern ein Zersprengen der Fesseln.12 „Denn du hast,“ heißt es, „meine Fesseln gesprengt.“13 Entlassen wurde Simeon, befreit von den Fesseln des Körpers.14 Die Schlinge wurde zerrissen,15 der Sperling flog davon. Er verließ Ägypten, das materielle Leben. Er ging nicht über das rothe Meer, sondern über jenes schwarze und finstere Meer des Lebens. Er ging S. 568 in das Land der Verheissung. Auf dem Berge läßt er sich mit Gott in Betrachtungen ein. Er zog den Schuh seiner Seele aus,16 um mit dem reinen Tritte des Herzens das heilige Land zu betreten, in welchem Gott geschaut wird.
Da ihr also diesen Trost habt, Brüder, so vernehmet, die ihr die Gebeine Josephs in das Land des Segens bringet, die Ermahnung des Paulus: „Seid nicht bestürzt wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben.“17 Saget es jenem Volke, erzählet ihm die trefflichen Erzählungen. Theilt ihm mit das unglaubliche Wunder, wie das unzählige Volk, gleich einem Meere zusammengedrängt, insgesammt einen einzigen zusammenhängenden Leib bildete, wie ein Gewässer die Pracht des Gezeltes umfluthend, wie der treffliche David vielfältig und mannigfaltig in unzählige Reihen sich theilend unter Menschen fremder und gleicher Sprache um die Bundeslade tanzte,18 wie auf beiden Seiten die Feuerströme in einer Reihe von Fackeln in ununterbrochenem Zuge hinfloßen und sich ausdehnten, so weit das Auge zu folgen vermochte. Erzählet die Anhänglichkeit des ganzen Volkes, das Zusammenwohnen der Apostel,19 wie die Schweißtücher seines Angesichtes zum Schutze der Gläubigen zerrissen wurden. Man füge in der Erzählung einen Kaiser hinzu, welcher bei dem Todesfall von Trauer ergriffen wird und vom Throne aufspringt, und eine ganze Stadt, die sich dem Trauerzuge des Heiligen anschließt, und tröstet euch gegenseitig mit diesen Worten!20 In treffender Weise heilt Salomo den Schmerz. Denn er befiehlt den Trauernden Wein zu geben, indem er Dieß zu uns sagt, den Arbeitern im Weinberge: Gebet also eueren Wein S. 569 den Betrübten,21 nicht den, welcher die Trunkenheit bewirkt und dem Verstande nachstellt und den Körper zu Grunde richtet, sondern den, welcher das Herz erfreut, welchen der Prophet uns bezeichnete mit den Worten: „Der Wein erfreut des Menschen Herz.“22 In reicherer Mischung und in volleren Bechern der geistigen Rede begrüßet sie, daß unser Schmerz sich wieder in Freude und Jubel verwandle durch die Gnade des Eingebornen Sohnes Gottes, durch welchen die Herrlichkeit Gott und dem Vater von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.IX. Rede auf Pulcheria.
Es sind die drei Verbannungen des heiligen Meletius gemeint, von denen eine im Jahre 361, eine andere im Jahre 371 oder 372 unter Kaiser Valens geschah. Eine dritte wird muthmaßlich ins Jahr 363 unter Kaiser Julian gesetzt. ↩
III. Kön. 3, 28 [I. Kön. nach neuerer Lesart]. ↩
Dan. 13, 45―58. ↩
Es ist wohl der Evangelist gemeint, dem wegen seiner bekannten Ehelosigkeit ein unversehrter Körper zuerkannt wird. Das hat Rupp nicht begriffen. Siehe: Rupp, Gregor’s von Nyssa Leben etc. S. 73 Anm. ↩
Jer. 9, 17. ↩
Jerem. Klagel. 1, 4. ↩
Ps. 136, 2 [hebr. Ps. 137, 2]. ↩
Ps. 136, 5 [hebr. Ps. 137, 5]. ↩
Diese Auffassung gestattet der griechische Text: Ἐπιλησθείν ἡ δεξία μου [Epilēsthein hē dexia mou]. ↩
I. Kor. 13, 12. ↩
Ps. 115, 6 [hebr. Ps. 116, 15]. ↩
Nach der Lesart δεσμῶν [desmōn] statt μελῶν [melōn]. ↩
Ps. 115, 7 [hebr. Ps. 116, 16]. ↩
Luk. 2, 29. ↩
Ps. 123, 7 [hebr. Ps. 124, 7]. ↩
Es liegt hierin wohl ein Anspielung auf Exod. 3, 5. ↩
I. Thess. 4, 12. ↩
II. Kön. 6, 14 [II. Sam. nach neuerer Lesart]. ↩
Der auf dem Konzil in Konstantinopel anwesenden Bischöfe. ↩
I. Thess. 4, 17. ↩
Sprichw. 31, 6. ↩
Ps. 103, 15 [hebr. Ps. 104, 15]. ↩
