2.
Noch sprechen wir zu euch mit redefertiger Zunge einleitende Worte. Doch vernehmet! Ich höre, daß der große Moses, als er den Israeliten das Zelt bauen ließ, und jener Bezeleel, der die Kenntniß der Baukunst ohne Lehrer durch den „göttlichen Geist“ sich angeeignet hatte,1 zugleich die Freigebigkeit der Reichen und Armen in Anspruch nahmen, indem sie von den Reichen Gold, Purpur und Edelsteine nahmen, von den Armen aber Holz, Häute und Ziegenhaare nicht verschmähten. Aber vielleicht ist die Erinnerung an die geschichtliche Thatsache gut angebracht, denn ich will den Gedanken, der mir in den Sinn gekommen ist, auch öffentlich aussprechen. Bezeleel wurde durch den „göttlichen Geist“ aus einem Ungelehrten ein Weiser, denn so sagt die Geschichte. Das höre also der Pneumatomach! Beschimpft Der, welcher göttlich den heiligen Geist nennt, der durch sein Herabsteigen die Gnade der Weisheit wie S. 388 eine Fußspur in der Seele zurückläßt, durch das Wort „göttlich“ die Würde des Geistes? Oder will er, daß man etwas Geringes und Niedriges über ihn denke? Was von den geschaffenen Dingen wird mit diesem Namen bezeichnet? Glaubt er, daß zum Geiste die Gottheit später hinzu gekommen sei? Stellt er sich eine Zweifachheit und Zusammensetzung im Einfachen und Zusammensetzungslosen vor? Vielleicht läßt er sich zu solchen Annahmen nicht herbei, sondern gibt zu, daß der Geist, welcher göttlich ist, von Natur so sei und genannt werde. Siehst du, wie die Wahrheit sich dir von selbst offenbart? Viele göttliche Naturen kann nämlich die Lehre der Christen nicht annehmen, da man sonst nothwendig auch viele Götter erdichten müßte. Denn man kann sich nicht viele Götter vorstellen, ohne daß der Unterschied in der Natur die Menge der Götter ankündigt. Wenn nun von Allen geglaubt wird, daß die göttliche Natur nur eine sei, der heilige Geist aber von Natur göttlich ist, warum trennst du in der Rede, was in der Natur verbunden ist?
Aber wer wird mir die Kraft jener Rede verleihen, deren Ende die Rettung der Zuhörer war? Eine einzige Ansprache hielt Petrus an die Bewohner Jerusalems, und so viele Tausende von Menschen wurden vom Fischer mit dem Netz der Rede umgarnt und gefangen. Eine so große Zahl solcher Reden wird von den Lehrern bei uns angewendet. Was ist uns für eine Zunahme an Geretteten geworden? „Was hinschwindet, schwindet hin,“ sagt ein Prophet, „was stirbt, stirbt, und was sich verirrt hat, kehrt nicht zurück.“2 Gelöst ist das Band der Liebe, geraubt aus unsern Schatzkammern der Friede. O Unglück! Denn ich lasse mich fortreissen, über unser Leiden in Seufzer auszubrechen. Unser Eigenthum war Liebe. Von den Vätern S. 389 besaßen wir einst dieses Erbe, das der Herr durch seine Jünger uns hinterlegt hatte mit den Worten: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet.“3 Diese Erbschaft aber haben die Späteren nach einander vom Vater überkommen und bis zu unsern Vätern erhalten. Das gegenwärtige verschwenderische Geschlecht aber hat sie nicht bewahrt. Wie ist der Reichthum der Lehre unsern Händen entschlüpft und verloren gegangen? Wir sind arm an Liebe, und Andere brüsten sich mit unsern Gütern. „Ich war eifersüchtig auf die Frevler,“4 so spricht der Psalmist. Ich will aber mit einer kleinen Abweichung die Worte so lesen: „Ich war eifersüchtig auf die Frevler, ich war eifersüchtig, da ich den Frieden der Sünder sah.“ Jene vereinigen sich mit einander, und wir scheiden uns von einander. Jene vereinigen sich zu einer geschlossenen Reihe, und wir lösen unsere Vereinigung auf. Unser Eigenthum stahl der Plünderer unserer Seelen, brachte es den Feinden der Wahrheit und warf es ihnen zu, nicht um diesen eine Wohlthat zu erweisen, das möge Niemand glauben. Denn der Erfinder des Bösen kann kein Wohlthäter sein. Vielmehr war seine Absicht, sie durch die Übereinstimmung im Schlechten schlechter zu machen.
„Doch was geht es mich an, die draussen sind, zu richten?“5 sagt Jener. Und wie werde ich ohne Thränen die Entfremdung meiner Brüder ertragen? Wie ist dieser junge Bruder mit Hinterlassung des väterlichen Vermögens fortgezogen? Jener andere aber, von dem im Evangelium die Rede ist, wie ist er, wenn er auch durch die grauen Haare am Leibe die Jugend der Seele verbirgt, dem Glauben entlaufen und in ein fernes Land gezogen?6 Wie, ist nicht S. 390 auch er fortgezogen und hat das Vermögen des Vaters in zwei Hälften getheilt, indem er die hohen Lehren zu den niedrigen Gedanken der Schweine herabzog und seinen Reichthum mit den Huren der Häresie verpraßte? Denn eine Hure ist die Häresie, die durch die geliebten Wollüste anlockt. Wenn er nun einmal wieder wie Jener in sich ginge, wenn er nun wieder Verlangen trüge nach der väterlichen Nahrung, wenn er nun wieder schnell zum reichen Tische zurückkehrte, an dem es viel tägliches Brod gibt, das die Diener des Herrn nährt, ― im Dienste Gottes stehen aber alle Die, welche in der Hoffnung der Verheissung den Weinberg Gottes bearbeiten, ― wie würde ihm entgegengelaufen werden, nicht von einem einzigen Vater, sondern von so vielen Vätern, die ihm entgegenkommen, ihn umarmen, ihn küssen würden? Es würde ihm das erste Kleid des Glaubens gebracht werden, das die dreihundertachtzehn Seelen7 in schöner Arbeit für die Kirche gewebt haben. Da würde man an der Hand den Fingerring sehen, an dem das Siegel des Glaubens ausgeprägt ist, die Tänze, das Kalb, die Musik, alles Übrige, was im Evangelium aufgezählt ist, ausgenommen die Eifersucht des Bruders.
Exod. 35, 30―34. ↩
Zachar. 11, 9. ↩
Joh. 13, 34. ↩
Ps. 72, 3 [hebr. Ps. 73, 3]. ↩
I. Kor. 5, 12. ↩
Wir müssen hier an einen einzelnen Sektenstifter denken, auf dessen reiferes Alter angespielt wird. Ich vermuthe, die Worte beziehen sich auf Apollinaris, dessen Lehre, nach welcher Christus keine menschliche Seele hatte, 381 in Konstantinopel verurtheilt wurde. ↩
Es sind die 318 Bischöfe auf dem ersten allgemeine Konzil zu Nicäa gemeint. ↩
