3.
Doch was geben wir uns eitlen Träumen hin? Verhärtet sind die Herzen der Brüder, und sie lassen sich nicht gewinnen. Sie berufen sich auf die gemeinsamen Väter und nehmen die von ihnen kommende Erbschaft nicht an, sie machen auf die gemeinsame adelige Abkunft Anspruch und wollen von der Verwandtschaft mit uns Nichts wissen, sie liegen im Kampf mit unsern Feinden und leben in Feindschaft mit uns, als ob sie eine Grenze zwischen uns und S. 391 den Feinden bildeten. Sie sind Beides und Nichts von Beidem. Sie huldigen nicht der richtigen Ansicht und wollen doch nicht Häretiker heissen. Wie sonderbar! Sowohl der Wahrheit als auch der Lüge haben sie in gleicher Weise den Krieg erklärt und neigen wie ein Baum ohne Wurzel bei entgegengesetztem Andrang mit Leichtigkeit dahin und dorthin. Ich vernahm, daß der Evangelist Johannes in der geheimen Offenbarung1 zu Solchen in Gleichnissen sagt, daß man nothwendig im Geiste ganz feurig sein, in der Sünde aber kalt sein müsse. „Wärest du doch“, sagt er, „kalt oder warm!“2 Was aber Nichts von Beidem ist, Beidem aber nahe kommt, ist lau und reizt zum Erbrechen. Was trägt nun die Schuld, daß einst zur Zeit der Jünger durch den Herrn viel Volk für die Kirche gewonnen wurde, jetzt aber die langen und überaus schönen Reden der Lehrer fruchtlos im Sande verlaufen? Vielleicht wird man sagen, daß damals den Aposteln die Bewunderung der Thaten zu Hilfe kam, und daß das Wort durch die Gnadengaben seine Beglaubigung fand. Auch ich glaube, daß die Kraft der Werke viel zur Überredung beitrage; was soll man nun aber von den gegenwärtigen Vorfällen halten? Siehst du nicht die ähnlichen Wunder des Glaubens? Denn ich erachte die Thaten unserer Mitknechte für die eigenen. Sie stehen mit dem nämlichen Geiste in Verbindung in der Kraft der Heilungen. Zeugniß geben für die Wahrheit des Wortes Männer, die aus der Fremde gekommen sind, Landsleute unseres Vaters Abraham, die Mesopotamien verlassen haben, die gleichfalls auszogen aus ihrem Lande und ihrer S. 392 Verwandtschaft und aus der ganzen Welt und ihren Blick nach dem Himmel richteten. Indem sie in gewisser Weise sich aus dem menschlichen Leben verbannten, sich über die natürlichen Leidenschaften erhoben, mit dem gegenwärtigen Leben nur so weit in Verkehr blieben, als sie dazu gezwungen waren, verkehren sie zum größeren Theile mit den unkörperlichen Mächten in der Höhe, Greise in der äusseren Gestalt, ehrwürdig von Aussehen mit blendend weissen Haaren, den Mund zum Schweigen geschlossen. Unbekannt mit Wortgezänke, ohne Kenntniß der Disputirkunst, haben sie eine so große Macht gegen die Geister, daß sie durch den bloßen Willen Wunder wirken, und daß die Dämonen zum Weichen gebracht werden, nicht durch die Kunst logischer Schlüsse, sondern durch die Kraft des Glaubens, nicht dahin gebracht, daß sie nicht widersprechen können, sondern in die äusserste Finsterniß hinausgeworfen. So pflegt der Christ Schlüsse zu machen. Das sind unsere Glaubensthaten. Warum überzeugen wir also nicht, wenn die Gnade der Heilungen sich mehrt, wenn die Lehre des Wortes an Umfang gewinnt? Alles Das wirkt ein und derselbe Geist, „der jedem Einzelnen zutheilt, wie er will.“3 Warum nimmt die Zahl der Geretteten nicht zu?
Niemand lasse sich jedoch in den Sinn kommen, die gegenwärtige Gnade für gering zu halten. Ich sehe den Weinstock üppig prangen mit üppigen Reben und reichlicher Frucht; ich sehe das Land, wie es wogt von der Menge der Ähren. Groß ist das Erntefeld, üppig die Garbe, reichlich die Saat. Doch was soll aus mir werden? Unersättlich ist meine Natur in diesen Dingen, und ich habe mit der Leidenschaft der Habsüchtigen zu kämpfen. Kein Überfluß setzt meiner Begierde ein Ziel. Es erfreut mich, was ich sehe. Ergötzen bereitet mir, was sich mir darbietet, S. 393 Schmerz, was ich vermisse. In einem seltsamen Zustand, in einer Mischung von Gegensätzen bestehend, befindet sich meine Seele, Lust ist in ihr mit Schmerz vermengt. Schaue ich zu euch empor, so stille ich an euch meine Sehnsucht; denke ich aber an Das, was mangelt, so kann ich über das Mißgeschick nicht genug seufzen. Denn die Menschen verzichten auf die Lust im Herrn und auf die Freude über den Frieden der Kirche. Sie klügeln gewisse Substanzen aus und messen Quantitäten, indem sie den Sohn neben dem Vater messen und mehr als das Maß dem Vater zutheilen.4 Man kann ihnen sagen: Das Quantitätlose wird nicht gemessen, das Unsichtbare nicht geprüft, das Unkörperliche nicht gewogen, das Unbegrenzte nicht verglichen; was nicht begriffen wird, kennt kein Mehr und Weniger. Denn aus der gegenseitigen Zusammenstellung der Dinge erkennen wir das Mehr. Was aber kein erfaßbares Ende hat, an dem läßt sich auch kein Mehr vorstellen. Ich hörte einen Psalmvers, den wir, als wir eintraten, gemeinsam sangen: „Groß ist der Herr und groß seine Kraft, und seiner Weisheit ist kein Maß.“5 Was ist nun Das? Messe die ausgesprochenen Worte, und du erkennst das Geheimniß. Groß ist der Herr. Er sagte nicht, wie viel die Größe beträgt. Denn es war auch nicht möglich, die Größe auszusprechen. Vielmehr lenkt er durch das Unbestimmte der Bezeichnung die Gedanken auf das Unermeßliche. In ähnlicher Weise sagt er: Groß ist seine Kraft. Hörst du von der Kraft so verstehe darunter die Macht! Christus aber ist Gottes Macht und Gottes Weisheit: „Und seiner Weisheit ist kein Maß.“ Den Sinn erklärt Isaias deutlich mit den Worten: „Der Geist der Weisheit und des S. 394 Verstandes.“6 Ich hörte in den Seligpreisungen Die selig preisen, welche nach dem Herrn dürsten. Vielleicht ist nun meine folgende Erwägung nicht am unrechten Orte angebracht. Vernehmt daher meine Worte, wenn sie auch mit unserm Gegenstand keinen Zusammenhang zu haben scheinen. Wenn Jemand zur Mittagszeit reist, da die Sonne mit heissen Strahlen auf sein Haupt herabsengt und alle Feuchtigkeit im Leibe mit ihrem Feuer austrocknet, ― mit seiner Fußbekleidung aber habe er einen rauhen, schwierigen ausgebrannten Boden zu betreten, ― und wenn nun so Einer eine Quelle fände, deren Wasser schön und klar wäre und sanft abkühlte und reichlich hervorsprudelte, wird er sich am Wasser niedersetzen und über dessen Natur Betrachtung anstellen, indem er das Woher und Wie und Wodurch und Ähnliches erforscht, was die eitlen Schwätzer zu erörtern pflegen, daß eine gewisse Feuchtigkeit, die in die Tiefe der Erde eingesogen worden ist und durchdringt und zusammengedrückt wird, sich zu Wasser gestaltet, oder daß Adern, die in unterirdischen Höhlungen sich ergossen haben, wenn sie sich wieder öffnen, das Wasser hervorströmen, oder wird er Das alles ruhen lassen, sich zum Wasser niederbeugen, es mit den Lippen berühren, den Durst löschen, die Zunge abkühlen, seine Sehnsucht befriedigen und Dem Dank sagen, welcher ihm die Wohlthat gespendet hat? Ahme also auch du den Durstigen nach! Sage, es sei gesagt, wie es gesagt ist: „Selig sind, die dürsten,“7 und weißt du, welche und wie viele Güter vom heiligen Geist ausströmen, so befolge die Worte des Propheten: „Öffne deinen Mund und ziehe den Geist an dich,8 thue weit auf deinen Mund und fülle ihn an!“9 da du die Macht der Gnadengaben hast.
Willst du wissen, wie viele Güter aus der Quelle des S. 395 Geistes hervorströmen: Unsterblichkeit der Seele, Ewigkeit des Lebens, das Himmelreich, unaufhörliches Ergötzen, unendliche Freude. Wenn ich nämlich auf Das schaue was mir zu Gebote steht, so achte ich für einen geringen Verlust, was mir mangelt. Angefüllt ist mir mit Gütern das Haus. Voll sind mir die Schatzkammern von dem Golde Arabiens. Es werden wohl bald auch Gesandte aus Ägypten kommen und werden mit ihrer Hand Gott zuvorkommen,10 und die Reiche der Erde werden mit uns den Siegesgesang Dem singen, welcher Alle zu seinem Reiche beruft, dem der Ruhm und die Macht sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.Dritte Abtheilung: Lob- und Trauerreden I. Rede auf seinen Bruder, den großen Basilius.
Ἐν ἀποκρύφοις [En apokryphois]. Da der Redner hier sagt, daß Johannes die aus der geheimen Offenbarung angeführten Worte geschrieben habe, so kann man diese Stelle nicht so verstehen, als ob die Offenbarung nicht von Johannes verfaßt worden wäre, sondern höchstens so, daß diese Schrift nicht unter die canonischen Bücher aufgenommen war. ↩
Offenb. 3, 15. ↩
I. Kor. 12, 11. ↩
Diese Beschuldigungen beziehen sich auf die Arianer und werden von unserem Kirchenvater im ersten Buch gegen Eunomius umständlicher erörtert. ↩
Ps. 146, 5 [hebr. Ps. 147, 5]. ↩
Is. 11, 2. ↩
Matth. 5, 6. ↩
Ps. 118, 131 [hebr. Ps. 119, 131]. ↩
Ebd. [Ps.] 80, 11 [hebr. Ps. 81, 11]. ↩
Ps. 67, 32 [hebr. Ps. 68, 32]. ↩
