a) Die Verschiedenheit des Bischofs und Mythographen
Mit dem wissenschaftlichen Nachlaß des Fulgentius ist ein in der neueren Zeit wieder debattiertes Problem verbunden. Unter dem Namen des Fulgentius, der nach dem Zeugnis seines Biographen der Sohn des Claudius und Enkel des Gordianus war, vermitteln uns die ältesten Manuskripte Werke verschiedensten Inhaltes. So wird uns ausdrücklich unter dem Namen des Bischofs Fulgentius ein kleiner grammatischer Kommentar des Titels: „Super Thebaiden" mit allegorischen Erklärungen überliefert, der sich an das bekannte Epos „Thebais" des römischen Dichters P. Papinius Statius anschließt, in dem der Kampf der Sieben gegen Theben besungen wird. Dieser Kommentar ist uns in einer einzigen Handschrift aus dem 13. Jahrhundert (Paris, lat. 3012) erhalten.
Ferner kennen wir den Namen eines Schriftstellers Fa-bius Planciades Fulgentius als des Verfassers der Mitologiarum libri tres, der Expositio Virgilianae continen-tiae secundum philosophos moralis und der Expositio sermonum antiquorum ad grammaticum Calcidium, Die S. 14 Mythologiae enthalten eine stoisch-neuplatonische Ausdeutung der Göttermythen, die Expositio Virgilianae continentiae bietet eine allegorische Erklärung der Aeneis, die Expositio sermonum antiquorum eine Erklärung von 62 seltenen lateinischen Worten mit Angabe der Fundstellen.
Schließlich ist uns durch die handschriftliche Überlieferung noch ein Autor Fabius Claudius Gordianus Fulgentius bekannt, der eine Weltchronik unter dem Titel: „Liber absque litteris de aetatibus mundi et hominis" verfaßt hat; von den 23 Abteilungen des Werkes, in deren jeder ein Buchstabe des Alphabetes fehlen mußte, sind nur 14 auf uns gekommen.1
Mit bemerkenswerter Gründlichkeit hat sich Lapeyre in der Einleitung seines Werkes „St. Fulgence de Ruspe“ mit der Frage befaßt, ob Fulgentius von Ruspe als Verfasser des angeführten Schriftencorpus zu gelten hat oder nicht. Aus seinem geschichtlichen Überblick über dieses interessante literarische Problem geht hervor, daß im 9. Jahrhundert Sigebert von Gembloux in seinem bekannten Werk: „De scriptoribus ecclesiasticis" tatsächlich den Bischof von Ruspe für den Verfasser auch dieser fünf Werke hielt, während Prudentius von Troyes in einem Brief an Johannes Scotus Erigena im Jahre 850 von den profanen Werken des Bischofs Fulgentius nur die Mythologiae und Vergiliana continentia, der gelehrte Abt J. Trithemius nur die expositio sermonum antiquorum kennt.
Die Ansicht Sigeberts hat in neuerer Zeit einen lebhaften Verteidiger gefunden in Rudolf Helm, der dieser Frage vier Abhandlungen gewidmet hat.2 Er kommt, hauptsächlich gestützt auf einen Vergleich zwischen den Lebensschicksalen des Bischofs und denen des Mythographen, zu dem Ergebnis, daß die angeführten Schriften S. 15 mythologischen, grammatischen und historischen Inhaltes unbedenklich dem Bischof von Ruspe zuzuweisen sind. Zu demselben Resultat gelangte von einer anderen Seite her, nämlich einem Vergleich zwischen der Sprache des Bischofs und der des Mythographen, der berühmte Linguist Skutsch.3 Die Behauptung von Skutsch hat Otto Friebel in der Abhandlung: „Fulgentius, der Mythograph und Bischof"4 durch einen eingehenden Vergleich der Syntax, des Stiles und Wortschatzes der beiden gleichnamigen Schriftsteller zu erhärten gesucht.
Trotz des von Friebel aufgewendeten Fleißes muß seinen Aufstellungen die Beweiskraft abgesprochen werden. Manche der von ihm angeführten Parallelen sind geradezu an den Haaren herbeigezogen; unannehmbar ist vor allem sein Versuch, seine sprachliche Argumentation auf die überlieferten 80 Predigten des Fulgentius aufzubauen, die allgemein als unecht gelten. Ebensowenig vermag die subjektive Beweisführung Helms zu überzeugen, auf die an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann. Gegen die Identität des Bischofs und Mythographen spricht das schwere Bedenken, daß die Mythologiae unmöglich von einem jungen Mann verfaßt sein können. Fulgentius aber wandte sich nach dem Zeugnis der Vita schon in sehr jungen Jahren — wir finden ihn ja als 23jährigen Mönch beim Einzug Theodorichs in Rom — dem Ordensstand zu. Daß Fulgentius, dessen Sittenstrenge und ernste Lebensauffassung nach seiner conversio fast aus jeder Seite seiner Vita spricht, solche Frivolitäten wie die in den Mythologiae oder solche alberne Spielereien wie den liber absque litteris de aetatibus mundi et hominis geschrieben haben soll, ist psychologisch schwer zu verstehen. Allerdings darf m. E. dem Argument, das sich auf den teilweise obszönen Inhalt der Mythologiae stützt, keine zu große Bedeutung bei- S. 16 gemessen werden, da es sich ja nur um eine referierende Angabe der in den Göttermythen enthaltenen Unsauberkeiten handelt. Ein weiterer Grund gegen die Identität des Bischofs mit dem Verfasser der Mythologiae ist der Umstand, daß dem vielbeschäftigten Mann, dem Leiter und Organisator der zahlreichen von ihm gegründeten Klöster, dem Sekretär der verbannten Bischöfe auf Sardinien, dem theologischen Vorkämpfer und Orakel seiner Zeit, die notwendige Muse fehlte, neben seiner reichen theologischen Schriftstellerei sich auch noch mit historischen, grammatischen und mythologischen Themen zu befassen, wie andererseits es auch rein zeitlich unmöglich ist, die Abfassung eines immerhin so beträchtlichen Schriftencorpus in der Zeit vor der conversio des Fulgentius unterzubringen. Wenn die einzige uns erhaltene Handschrift der Abhandlung Super Thebaiden ausdrücklich den Bischof Fulgentius als Verfasser bezeichnet, so hat dies nach Lapeyre nicht viel zu bedeuten, da sonst auch andere Schriftsteller fälschlich als Bischöfe bezeichnet werden. Recht mag Helm haben mit der Ansicht, daß das Werkchen Super Thebaiden von demselben Verfasser stammt wie die Mythologiae und das Werk de aetatibus mundi et hominis, daß ferner die Namen Fabius Planciades Fulgentius und Fabius Claudius Gordianus Fulgentius nur einen Schriftsteller mit dem in Afrika nicht seltenen Namen Fulgentius 5 bedeuten, so daß die fünf zitierten Werke von einem Schriftsteller herrühren, nämlich dem seiner Persönlichkeit nach uns gänzlich unbekannten Mythographen, der vom Bischof Fulgentius zu unterscheiden ist. Dieser Meinung, die von den Gelehrten und Herausgebern vom 17. bis 19. Jahrhundert fast allgemein angenommen wurde, schließen wir uns nach dem Beispiel Bardenhewers, Lapeyres und G. Krügers6 ebenfalls an.
Eine Durchsicht der von Helm unter dem Namen des Fabianus Planciades Fulgentius veröffentlichten Werke ergibt die Tatsache, daß der Verfasser der Religion nach S. 17 ein Christ ist, der sich mit einem Heiden unterhält,7 der Heimat nach ein Libyer;8 er hat ein ausgesprochen philologisches, antiquarisches und auch naturwissenschaftliches Interesse, wie u. a. die sehr stattliche Liste der von ihm zitierten Werke griechischer und lateinischer Schriftsteller und die Abfassung des vor der „Virgiliana continentia" veröffentlichten: „liber fisiologus de medi-cinalibus causis"9 beweist. Auch dieser Umstand weist in eine ganz andere Geistesrichtung als die, welche wir vom Bischof von Ruspe kennen. Schließlich weist auch die besonders in den Mythologiae besonders stark hervortretende Manie für die Verwendung seltener und ungebräuchlicher Worte und Redensarten keine Berührungspunkte mit dem Stil des hl. Fulgentius auf.
Nach diesen Vorbemerkungen können wir uns dem Schrifttum des Bischofs von Ruspe zuwenden. Es umfaßt eine größere Anzahl dogmatischer Werke, Briefe und Predigten.
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Diese fünf Werke sind von R. Helm herausgegeben worden unter dem Titel: „Fabii Planciadis Fulgentii opera". Leipzig 1898, Biblioth. Teubner. ↩
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Rhein. Museum 52, S. 177 ff.; Philologus 56, S. 253ff.; Arch. f. lat. Lexikogr. u. Gramm. 11, S. 71 ff.; Rhein. Mus. 54, S. 111 ff. unter dem Titel: „Der Bischof Fulgentius und der Mythograph". ↩
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Pauly-Wissowa, Real-Enz. VII, 1 S. 225: „Die Identität der beiden darf als Faktum der römischen Literaturgeschichte gelten." ↩
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Erschienen in: „Studien z. Gesch. u. Kult. d. Altert." 5. Bd., Paderborn 1911. Derselben Ansicht ist auch H. Liebeschütz in: Fulgentius Metaforalis, Studien in der Bibliothek Warburg. Leipzig 1926. ↩
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So führt Lapeyre a. a. O. 21 einen Bischof Fulgentius von Vagada in Numidien an, der dem Religionsgespräch in Karthago am 1. Februar 484 beiwohnte. ↩
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Harnack-Ehrung S. 226 ff. ↩
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Fabii Planciadis Fulgentii opera S. 96. ↩
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Ib. S. 130—132. ↩
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Ib. S. 92. ↩