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1. Daher sagt auch die Weisheit: „Ein Hengst zum Beschälen ist der Genußsüchtige und der Ehebrecher“, da er einem unvernünftigen Tier gleich geworden ist; deshalb setzt sie auch hinzu: „Unter jedem beliebigen Reiter wiehert er.“ 1 Der Mensch, meint sie damit, spricht nicht mehr; denn nicht mehr vernünftig ist, wer sich gegen die Vernunft verfehlte, vielmehr ein unvernünftiges Tier, den Begierden preisgegeben, von allen Lüsten geritten.
2. Die sittlich gute, im Gehorsam gegen die S. 296 Vernunft vollbrachte Tat nennen die Söhne der Stoiker geziemend (προσῆκον) und pflichtgemäß (καθῆκον),2 Das Pflichtgemäße ist also geziemend; der Gehorsam aber gründet sich auf die Gebote; diese aber, gleichbedeutend mit den Lehren, haben die Wahrheit zum Zweck und erziehen zu dem äußersten erreichbaren Punkt, den man sich als Ende oder als Ziel denkt. 3 Das Ziel der Frömmigkeit aber ist die ewige Ruhe in Gott; der Ewigkeit Anfang aber ist unser Lebensende.
3. Die Vollendung der Frömmigkeit jedoch vollzieht durch Taten das Pflichtgemäße; somit bezieht sich begreiflicherweise das Pflichtgemäße auf Taten, nicht auf Worte. Und die Tat des Christen ist eine auf Grund richtiger Entscheidung und im Verlangen nach der Wahrheit begonnene und durch den von Natur engverbundenen und mithandelnden Körper ausgeführte Unternehmung einer vernünftigen Seele.
4. Pflichtgemäß ist aber ein einziger, im Leben Gott und Christus gehorsamer Wille, der im ewigen Leben zur Vollendung kommt. Denn auch das Leben der Christen, für das wir jetzt erzogen werden, ist eine Art Vereinigung vernunftgemäßer Handlungen, das ist die von uns Glauben genannte, in keinem Punkte fehlende Ausführung der von dem Logos gegebenen Lehren.4
