V. Kapitel
Doch laßt uns die Rede wieder auf die Beispiele der vorbildlichen Handlungen zurückbringen! Jemand schlug dem Sokrates, des Sophroniskus Sohn, rücksichtslos direkt ins Gesicht. Dieser wehrte ihm nicht, sondern ließ dem Zorntrunkenen freie Hand, so daß sein Antlitz unter den Schlägen bereits aufgeschwollen und von Beulen unterlaufen war. Als dann jener zu schlagen aufhörte, soll Sokrates lediglich den Namen des Täters auf seine Stirn wie auf eine Bildsäule geschrieben und so sich gerächt haben1 .
S. 457 Da diese Handlungen mit unseren Lehren fast übereinstimmen, so bezeichne ich solche Männer als sehr nachahmenswert. Das Verhalten des Sokrates entspricht doch jenem Gebote: Dem, der uns auf die rechte Wange schlägt, soll man auch die andere darbieten und entfernt sich nicht rächen2 . Das Beispiel des Perikles und Euklid entspricht jenem Gebote, gegen die Verfolger geduldig zu sein und ihren Zorn gelassen zu ertragen, den Feinden Gutes zu wünschen und ihnen nicht zu fluchen3 . Wer nun hierin vorgebildet ist4 , der wird jene Gebote nicht mehr als undurchführbar verwerfen. — Auch an das Verhalten des Alexander will ich erinnern, der die gefangenen Töchter des Darius, denen man eine ganz wunderbare Schönheit nachrühmte, nicht einmal zu sehen verlangte; er hielt es für schmählich, von Frauen sich besiegen zu lassen, nachdem er Männer zu Gefangenen gemacht hatte5 . Dies Verhalten entspricht doch ganz genau dem Worte: Wer ein Weib ansieht mit Begierde nach ihr, ist nicht frei von Schuld6 , auch wenn er keinen tatsächlichen Ehebruch begangen, sondern nur die Begierde in sein Herz eingelassen hat. — Das Verhalten des Klinias aber, eines der Schüler des Pythagoras, ist unseres Erachtens schwerlich bloß ein zufälliges Zusammenstimmen mit unseren Lehren, sondern deren geflissentliche Beobachtung. Was tat er denn? Er hätte mit einem Eide einer Verurteilung zu drei Talenten entgehen können, bezahlte aber lieber, als daß er schwur, obschon er gut hätte schwören können7 . S. 458 Er scheint mir aber vom Gebote gehört zu haben, das uns den Eidesschwur verbietet8 .
Doch wir wollen wieder zu dem zurückkehren, was ich anfangs sagte, daß wir nämlich nicht alles ausnahmslos, sondern nur das Nützliche uns aneignen sollen. Es wäre ja erbärmlich, wenn wir wohl die schädliche Kost von uns wiesen, aber von den Lehren, die unsere Seele nähren, gar keine Notiz nähmen, wenn wir einem Gießbache gleich alles, was uns in den Weg kommt, mitfortrissen und in uns aufnähmen. Der Steuermann überläßt seinen Kahn nicht blindlings den Winden, sondern steuert ihn den Häfen zu; der Schütze schießt auf ein Ziel; der Schmied oder Zimmermann verfolgt bei seiner Kunst einen Zweck. Wäre es da vernünftig, wenn wir hinter diesen Handwerksleuten zurückblieben und uns unfähig zeigten, unseren Vorteil wahrzunehmen? Es hat doch wahrlich nicht etwa das Handwerk nur sein Ziel, das menschliche Leben aber keinen Zweck; und auf einen solchen muß ein jeder all sein Tun und Reden einstellen, wenn er nicht der ganz vernunftlosen Kreatur gleichen will. Oder wären wir nicht so recht Schiffe ohne Ballast, wenn unser Verstand nicht am Steuerruder der Seele säße, blindlings im Leben hin- und hergeworfen? Nein, wir müssen es machen, wie man es hält bei gymnastischen Kämpfen, oder, wenn du willst, bei einem Preissingen, wo die Wett- und Preisbewerber auf den Wettkampf sich einüben, wo dann keiner, der im Ringen oder sonstigen Kämpfen sich übt, um Zither oder Flöte sich kümmert. Polydamas wenigstens hat es nicht getan, vielmehr hemmte er vor den olympischen Spielen den Lauf der Wagen und stärkte dadurch seine Kraft9 . Auch jener Milo ließ sich von seinem geölten Schilde nicht herabstoßen, sondern hielt allen Stößen stand wie S. 459 mit Blei befestigte Statuen10 . Kurz, solche Übungen waren die Vorbereitung zu ihrem Kampfe. Hätten sie aber neugierig auf die Töne des Marsyas oder des phrygischen Olympus11 gehorcht und Staub und Kampfplatz verlassen, hätten sie dann wohl Siegeskränze und Ruhm erlangt? Wären sie nicht vielmehr mit ihrem Körper dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen? Anderseits setzte Timotheus12 mit der Musik nicht aus, um auf den Kampfplätzen sich herumzutummeln. Denn sonst hätte er nicht alle andern so weit in der Musik übertroffen, er, der eine solche Virtuosität hatte, daß er mit wuchtigen und ernsten Harmonien das Gemüt in Wallung brachte und es doch wieder, sobald er wollte, mit lieblichen Akkorden besänftigte und beruhigte. In dieser Virtuosität soll er einmal den Alexander, dem er die phrygische Tonart vorspielte, veranlaßt haben, mitten im Mahle aufzustehen und zu den Waffen zu greifen; durch den Übergang zur weicheren Tonart soll er ihn wieder zu den Gästen zurückgeführt haben. Eine so große Macht auf dem Gebiete der Musik sowohl wie in den gymnastischen Kämpfen verleiht die Übung und läßt so das Ziel erreichen.
Plutarch, de liberis educandis VI, 38. Im griechischen Texte heißt es „Ὁ δεῖντα ἐποίει.“ Mit dieser Formel pflegten die antiken Künstler und Handwerker ihre Arbeiten zu signieren. ↩
Vgl. Matth. 5,39. ↩
Vgl. ebd. 5,40-44. ↩
In den Tugend-Beispielen des Altertums. ↩
Vgl. Plutarch, de curiosit. VIII, 71 u. Arrian, Anab. IV, 19. Basilius erzählt auch hier ungenau. Was an den zitierten Stellen von der Frau des Darius erzählt wird, überträgt Basilius auf die Töchter. Die älteste der Dariustöchter, Aisinoe, heiratete Alexander [nach Arrian VII, 4]. ↩
Vgl. Matth. 5,28. ↩
Vgl. Diogenes Laertius VIII, 22. — Den Pythagoreern war der Schwur nur gestattet, wenn sie dadurch Angehörige aus großer Gefahr retten konnten. ↩
Vgl. Matth. 6,34 ff. — Basilius sieht also den Eid als etwas durchaus Verbotenes an. Die Äußerung und Vermutung, Klinias könnte von diesem christlichen Verbot gehört haben, befremdet. ↩
Dieselbe Geschichte erzählt nebst anderen Proben von dessen Stärke Pausanias in seiner „Beschreibung Griechenlands“ [Buch VI, o.B]. ↩
Milon, ein berühmter Athlet aus Kroton. Vgl. Pausanias 1. c. VI, 14; Plinius, hist. nat. VII, 20.— Basilius nennt diese zwei Beispiele auch in seinem Briefwechsel mit Libanius [Ep. 339]. ↩
Vgl. Plutarch, de musicis p. 654. ↩
Berühmter Flötenspieler aus Theben. Plutarch erzählt die folgende Geschichte von einem gewissen Antigenides [Plutarch, de virtute Alexandri or. II, 4]. ↩
