2.
S. 125 Daher fühlen sie sich sofort am ersten Tage in ihrem Stolze verletzt, da sie sich nicht nach der Regel richten, sondern sich zu Richtern und Beurtheilern der Brüderschaft aufwerfen. Wenn nun eingestandener Maßen in der Absonderung der Wohnungen nichts Gutes, sondern gerade das Gegentheil gefunden wird, so ist die Trennung von einander durchaus schädlich. Wann aber Derartiges bereits geschehen, so muß es schnell geändert werden, zumal man die Nachtheile kennt, die daraus entspringen, und ist das Beharren in der Trennung offenbar Streitsucht. „Wenn aber Jemand streitsüchtig zu sein scheint,“ sagt der Apostel, „so haben wir eine solche Gewohnheit nicht, noch auch die Kirchen Gottes.“1 Denn was für einen Grund werden sie angeben, von der Vereinigung abgehalten zu werden? Vielleicht wegen der Bedürfnisse? Allein diese lassen sich in der gemeinsamen Wohnung viel leichter beschaffen, weil eine Lampe, ein Herd und Alles dergleichen für Alle ausreichen kann. Denn man muß, wenn je auf Etwas, dann auch darauf sehen, daß in diesen Dingen kein Aufwand gemacht und der Besitz des Nothwendigen vermindert werde. Zudem sind bei der Trennung Mehrere nöthig, um der Brüderschaft von aussen die Bedürfnisse herbeizuschaffen, während bei der Zusammenwohnung die Hälfte erforderlich ist. Wie schwer es aber ist, einen Mann zu finden, der dem Namen Christi keine Schande macht, sondern, wenn er auf seinen Reisen mit Mitmenschen zusammenkommt, die Würde seines Standes behauptet, wisset ihr, ehe ich es euch sage. Wie können ferner die in der Trennung Verharrenden die gemeinsam Lebenden erbauen oder zum Frieden antreiben, wenn es nöthig sein sollte, oder zur Erfüllung der übrigen Gebote auffordern, da sie durch ihre Uneinigkeit gegen sich selbst einen bösen Verdacht erregen? Und dazu hören wir, daß der Apostel an die Philipper schreibt: „Machet meine Freude vollkommen, daß ihr Eines seid, gleiche Liebe habet, S. 126 einmüthig und einhellig seid, daß ihr Nichts thuet aus Streitsucht oder Ehrgeiz, sondern daß in Demuth der Eine den Anderen höher achtet als sich selbst, indem Jeder nicht auf das Seinige, sondern auf Das des Anderen sieht.“2
