3.
Hierdurch lehrt er uns, daß wir bei jedem Werke, welches wir verrichten, als Zweck den Willen dessen, der es uns aufgetragen hat, uns vorsetzen und ihm gemäß unser Bestreben einrichten, wie er denn an einer andern Stelle sagt: „Ich bin vom Himmel herabgestiegen, nicht damit ich meinen Willen erfülle, sondern den Willen des Vaters, der mich gesandt hat.“1 Denn wie die zum Leben nothwendigen Künste gewisse ihnen eigenthümliche Zwecke verfolgen und dem entsprechend die einzelnen Arbeiten einrichten; ebenso haben auch unsere Werke nur dieses eine Ziel und diese eine Regel, nämlich die Gebote auf eine Gott wohlgefällige Weise zu erfüllen, und ist es unmöglich, das Werk anders gut auszuführen, als wenn es nach dem Willen dessen, der es aufgegeben hat, vollbracht wird. Bemühen wir uns aber, das Werk genau nach dem Willen Gottes zu erfüllen, so vereinigen wir uns durch diesen beständigen Gedanken mit Gott. Denn wie ein Schmied bei seiner Arbeit, wäre es z. B. eine Axt, an Denjenigen denkt, der sie bei ihm bestellt hat, und bei dem Gedanken an ihn zugleich auf die bezeichnete Form und Größe Bedacht nimmt und die Arbeit nach dem Willen des Auftraggebers ausführt, — denn denkt er nicht daran, so wird er etwas Anderes oder von dem Bestellten Verschiedenes machen, — so S. 65 richtet auch der Christ jede Handlung, sie mag klein oder groß sein, nach dem Willen Gottes und zwar mit der größten Genauigkeit und in beständigem Andenken an den Auftraggeber den Ausspruch erfüllend: „Ich sehe den Herrn allzeit vor meinen Augen, denn er ist mir zur Rechten, daß ich nicht wanke.“2 Auch folgende Vorschrift erfüllt er: „Ihr möget essen oder trinken oder etwas Anderes thun, thuet Alles zur Ehre Gottes.“3 Wer sich aber bei seinem Thun nicht genau nach dem Gebote richtet, der erinnert sich offenbar wenig an Gott. Eingedenk daher der Worte dessen, der da sagt: „Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde?“ spricht der Herr;4 und: „Ich bin ein Gott in der Nähe und ein Gott in der Ferne;“5 und: „Wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“6 — müssen wir jede Handlung so verrichten, als wenn sie vor den Augen Gottes geschähe, und Alles so denken, als wenn es von ihm gesehen würde. Denn so wird uns beständig die Furcht erfüllen, welche, wie geschrieben steht, das Unrecht haßt und die Hoffart und die Wege der Bösen; anderseits werden wir auch die Liebe vollbringen, die in ihrer Fülle den Ausspruch des Herrn enthält: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat,“7 indem die Seele die Überzeugung festhält, daß die guten Handlungen dem Richter und Belohner unsers Lebens wohlgefällig sind, die entgegengesetzten aber von ihm verdammt werden. Ich glaube auch Dieses wird hiedurch bestimmt, daß man die Gebote des Herrn nicht, um Menschen zu gefallen, erfüllen soll. Denn Niemand, der von der Gegenwart des Höheren überzeugt ist, wendet sich an den Niedrigen; sondern scheint Das, was man thut, der angeseheneren Person angenehm und wohlgefällig, der untergeordneten aber unangenehm und tadelnswerth, so legt man der Billigung des Höheren einen S. 66 größeren Werth bei und verachtet den Tadel des Niedrigeren. Geschieht Dieß von gewöhnlichen Menschen, wann wird dann die Seele, die wahrhaft klug und gesund ist, in der vollkommenen Überzeugung von der Gegenwart Gottes jemals unterlassen, Alles zum Wohlgefallen Gottes zu thun, und sich nach den Meinungen der Menschen richten? wann jemals mit Hintansetzung der Gebote der menschlichen Sitte dienen oder sich von dem allgemeinen Vorurtheile beherrschen oder durch Rang und Ansehen einschüchtern lassen? Dieses war die Gesinnung dessen, der sprach: „Die Gottlosen erzählten mir thörichte Fabeln, aber sie sind nicht wie dein Gesetz, o Herr!“8 Und wiederum: „Und ich redete von deinen Zeugnissen vor Königen und schämte mich nicht.“9
