30.
Einer und derselbe also ist sowohl Eingeborener als auch Erstgeborener. Eingeborener ist er als Gott, Erstgeborener, nämlich unter uns, vermöge der Einigung der Menschwerdung, und einer unter vielen Brüdern ist er als Mensch. In ihm und durch ihn sollten auch wir Söhne Gottes sein, der Natur nach und aus Gnade, der Natur nach er und er allein, der Teilnahme nach und aus Gnade wir [alle] durch ihn in der Kraft des Geistes. Wie also der Menschheit das Eingeborensein Christi zu S. 59 eigen geworden, weil sie kraft der Menschwerdung dem Worte geeint wurde, so ist es dem Worte eigen geworden, einer unter vielen Brüdern und Erstgeborener zu sein, weil es dem Fleische geeint wurde. Im festen Besitze der Gottheit nun und über allem Wandel erhaben, ist er stets geblieben, was er war, auch als er Mensch wurde, mit der Oberherrschaft über alle Dinge und der höchsten Herrlichkeit gekrönt. Deshalb ist zugleich mit uns auch der heiligen und allseligen Schar der himmlischen Geister das Gebot gegeben worden, ihn anzubeten. Es wäre ja jedenfalls durchaus begreiflich gewesen, wenn diese Geister beim Anblick der Armseligkeit der Menschheit eine Anbetung verweigert und überhaupt jede Ehrenbezeigung abgelehnt und gegen die Verherrlichung dessen, der um unsertwillen einer wie wir geworden war, sich gesträubt hätten, ohne damit auch nur im entferntesten sich einer Verirrung schuldig zu machen. Denn auch für sie war das über Christus liegende Geheimnis noch undurchdringlich, und es bedurfte einer Offenbarung von seiten des Geistes, um sie, die in der Heiligkeit befestigt waren, vor einer Gottlosigkeit zu bewahren. Darum sagt der göttliche Paulus: „Wenn er aber den Erstgeborenen in die Welt einführt, spricht er: Und anbeten sollen ihn alle Engel Gottes."1Denn der, der durch seine natürliche Eigenart über die ganze Welt erhaben ist und als Gott außer ihr existiert, ist als Mensch in sie eingegangen und ein Teil der Welt geworden, hat aber deswegen die göttliche Herrlichkeit nicht eingebüßt. Angebetet wird er ja als Eingeborener, wenngleich er auch Erstgeborener genannt wird, wie denn der letztere Name der Menschheit wegen besonders angemessen erscheint.
Hebr. 1, 6. ↩
