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Das Rebenblatt mag uns sodann über die Schönheit der Natur und über die inneren Geheimnisse der göttlichen Weisheit aufklären. Wir sehen es nämlich so gespaltet und geteilt, daß es eine dreiblätterige Form aufzuweisen scheint. So tief ist das Mittelstück eingeschnitten, daß es, würde es nicht mit dem unteren Teile noch zusammenhängen, dem Beschauer wie abgetrennt erschiene. Das aber ist sichtlich die natürliche Zweckbestimmung, die damit gewahrt ist: einerseits der Sonne leichteren Zutritt zu verschaffen, andrerseits schützenden Schatten zu gewähren. Sodann ist das Mittelstück etwas länglich gestreckt und verjüngt sich oben an der Spitze, so daß es mehr den Eindruck eines Zierstückes als Deckblattes macht. Es scheint nämlich der Form nach einen Siegespreis darzustellen, sinnbildend, daß der Traube unter allen Hängefrüchten der Vorrang gebührt. Durch einen stillen Schiedsspruch der Natur, der sich aber deutlich verrät, trägt sie von Haus aus das Bild und Merkmal des Sieges an sich. So führt sie denn ihren Siegespreis (das Blatt) mit sich: er gewährt ihr einerseits gleicherweise Schutz gegen die Unbilden der Luft wie gegen heftigen Regen, setzt ihr andrerseits kein Hindernis für die Aufnahme von Sonnenwärme, aus deren milden Strahl sie Nahrung, Farbe und Wachstum zieht.
Fast genau so wie das Rebenblatt ist auch das Feigenblatt vierteilig eingeschnitten, was umso deutlicher in die Augen springt, je größer das Blatt ist. Freilich weist weder der ganze Rand noch die Spitze die zierliche Form des Rebenblattes auf. Wie nämlich das Feigenblatt durch kräftigere Dicke sich auszeichnet, so das Rebenblatt durch elegantere Form. Die S. 122 Dickblätterigkeit dient dazu, Witterungsunbill abzuwehren, der Blatteinschnitt dem Fruchtsegen Wärme zu fächeln. So ist denn diese Obstart nicht leicht Hagelschauer ausgesetzt, leicht doch der Reife zuführbar; denn sie ist ungünstigen Einflüssen ebenso verschlossen, wie sie günstigen offen steht.
