Einleitung und Inhalt.
Mit diesem ersten Schreiben des Nestorius an den Papst betreten wir den Boden des großen christologischen Kampfes. Nestorius, zu Germanicia in Syrien geboren, kam Studien halber frühzeitig nach Antiochien, wo er sich bald durch seine Rednergabe auszeichnete und Diakon, später Priester an der Cathedrale wurde. Wegen seines Rednertalentes, wegen seiner asketischen Strenge, seines großen Eifers für die Orthodoxie wurde er im Anfange des J. 427 auf den bischöflichen Stuhl von Constantinopel berufen, und man hoffte in ihm einen zweiten Chrysostomus von Antiochien erhalten zu haben. Während er die Arianer, Novatianer, Macedonianer und alle übrigen Häretiker durch Predigten bekämpfte und mit Hilfe des Kaisers Theodosius zu vernichten suchte, nahm er allein die Pelagianer beim Papste wie beim Kaiser in Schutz,1 begann aber auch zugleich, theils in eigener Person, theils durch den Bischof Proclus von Cyzikus, der, weil ihn die Bewohner dieser Stadt nicht annahmen, in Constantinopel weilte, seine eigene Irrlehre, angeblich zur Widerlegung des Arianismus und Apollinarismus, zu ver- S. 400 künden, die wir im Verlaufe der folgenden Briefe näher werden kennen lernen. Bald aber fand er in Bischos CyrilIus von Alexandrien, dessen Mönche er besonders an sich zu ziehen suchte, einen gewaltigen Gegner; er fürchtete im Kampfe zu unterliegen und benützte sobald als möglich eine Veranlassung, um den Papst Cölestinus für sich und seine Lehre zu gewinnen. Er erkundigte sich nemlich, wie er es mit den abendländischen Bischöfen Julianus, Florus, Orontius und Fabius halten solIe, die beim Kaiser und ihm sich beschwert hätten, daß sie, obwohl orthodox, verfolgt würden.2 Hierauf geht er ganz entschieden und offen auf seinen Irrthum, und zwar specielI auf die Verwerfung des Ansdrucks θεοτόκος , 3 Gottesgebärerin über, welcher weder im Nicänum noch in der heil. Schrift enthalten und daher zu bekämpfen sei. Das Datum dieses Briefes aber ergiebt sich annäherungsweise daraus, daß die obengenannten pelagianischen Bischöfe im J. 429 zu Constantinopel ihr Unwesen trieben.
Er scheint ihre Lehre von der Zulänglichkeit des freien Willens zur Vollziehung des Guten, nich aber ihre Ansicht über die Erbsünde als richtig erachtet zu haben. ↩
Diese Bischöfe, mit dem famosen Julianus von Eclanum an der Spitze, suchten, nachdem sie im Abendlande allenthalben vertrieben worden, Schutz und Anhänger in Constantinopel; gegen sie verfaßte der abendländische Laie Marius Mercator, der damals auch in Connstantinopel war, sein Commonitorium, in welchem er den Kaiser Theodosius von dem wahren Sachverhalte in Kenntniß setzte. ↩
Dieser Ausdruck gerade wurde ebenso das Schlagwort gegen die Nestorianer, wie das „ὁμοούσιος“ gegen die Arianer. ↩
