Text.
1. Wir schulden uns gegenseitig brüderliche Unterredungen, da wir vereint der herrschenden Eintracht gemäß gegen den Teufel, den Feind des Friedens, kämpfen sollen. Wozu (jedoch) diese Vorrede? Julianus nemlich und Florus, Orontius und Fabius, welche behaupten, sie seien abend- S. 401 ländische Bischöfe, haben schon oft den gottseligsten und hochgepriesenen Kaiser um Hilfe angefleht und darüber Klage geführt, daß sie, obgleich sie rechtgläubig wären, doch in rechtgläubigen Zeiten1 Verfolgung erlitten hätten; dieselbe Klage wiederholen sie oft auch bei uns, und obwohl sie oft zurückgewiesen wurden, lassen sie nicht ab davon, sondern drängen sich tagtäglich auf und erfüllen Aller Ohren mit ihrem Jammer. Dieser Redeweise bedienten wir uns, wie es nothwendig war, gegen sie, da wir von ihrer Angelegenheit nichts Zuverlässiges wissen. Weil wir jedoch über dieselben genauere Nachricht haben müssen, damit der gottseligste und christlichste Kaiser nicht immer von ihnen behelligt werde, damit auch wir nicht in Zwiespalt gerathen, wenn wir uns etwa aus Unkenntniß ihrer Angelegenheiten um die Sache annehmen, so wolle uns über sie gütigst unterrichten, damit nicht Einige entweder aus Unkenntniß des wahren Sachverhaltes von unzeitigem Mitleiden ergriffen werden oder das kanonische Strafurtheil deiner Heiligkeit, welches etwa wegen Häresie gegen Jene gefällt wurde, für etwas Anderes halten. 2 Denn die Neuerungssucht der Secten erfordert von den wahren Hirten eine große Wachsamkeit.
2. Auch wir gebrauchen, deßhalb, weil wir eine geringe Verderbniß des wahren Glaubens hier vorfanden, täglich theils Strenge theils Milde gegen die Kranken. Denn es ist keine geringfügige Krankheit, sondern eine mit der Fäulniß des Apollinaris und Arius verwandte. Einige machen aus der Vereinigung der Gottheit mit der S. 402 Menschheit eine Art von Vermischung,3 so daß bei uns selbst einige Kleriker theils aus Unwissenheit theils in lang verhehlter häretischer Tücke, welche auch schon zur Zeit der Apostel sehr viel Unheil stiftete, an Häresie kranken und ganz offen Gott, das dem Vater wesensgleiche Wort, lästern, als ob es seinen Anfang erst aus der Jungfrau, der Christusgebärerin, genommen hätte, mit seinem Tempel4 zugleich aufgebaut und mit dem Fleische zugleich begraben worden wäre; das Fleisch, sagen sie, ist nach der Auferstehung nicht Fleisch geblieben, sondern in die Gottheit übergegangen. Mit einem Worte: sie ziehen die Gottheit des Eingebornen auf den Ursprung des (mit ihm) verbundenen Fleisches herab und tödten sie zugleich mit dem Fleische. Das mit der Gottheit verbundene Fleisch, lästern sie, sei in die Gottheit übergegangen und gebrauchen dabei selbst das Wort „Vergötterung."5 Das aber ist nichts Anderes, als Beides6 verderben.
3. Sie wagten es aber auch, die jungfräuliche Christusgebärerin in gewissem Sinne Gottesgebärerin zu nennen; sie scheuen sich nemlich nicht, sie Gottesgebärerin zu nennen, da doch jene heiligen und über alles Lob erhabenen Männer in Nicäa über die heilige Jungfrau sonst Nichts gesagt hatten, als daß unser Herr Jesus Christus Mensch geworden sei aus dem heiligen Geiste und aus Maria der Jungfrau. Ich schweige von der heiligen Schrift, welche überall sowohl durch die Engel als durch die Apostel die Jungfrau S. 403 als Mutter Christi, nicht als die Mutter Gottes, des Wortes verkündigte. Welche Kämpfe ich deßhalb bestanden, glaube ich, wird deine Heiligkeit schon gerüchtweise vernommen haben, welche auch das bemerken wolle, daß wir nicht vergeblich gekämpft haben, sondern daß sich Viele von denen, welche sich verkehrter Weise von uns abwandten, nunmehr besserten. Weil aber eine Mutter das Kind, welchem sie das Leben gab, nur (sich) wesensgleich gebären kann, so ist jenes aus der Jungfrau durch den heiligen Geist geborene ein Geschöpf, wenngleich die Menschheit des Herrn mit Gott verbunden ist. 7 Wenn aber Jemand diesen Namen Gottesgebärerin wegen der geborenen Menschheit, welche mit Gott, dem Worte, vereinigt ist, nicht aber wegen der Gebärerin vorschlagen würde, so sagen wir zwar, daß dieses Wort auf die, welche geboren hat, nicht passe; denn eine wahre Mutter muß mit ihrem Kinde dieselbe Wesenheit haben. Man kann es aber hinnehmen in der Erwägung, daß man diese Bezeichnung von der Jungfrau nur deßhalb gebraucht, weil der von Gott dem Worte unzertrennliche Tempel von ihr ist, nicht aber, weil sie die Mutter des Wortes Gottes ist; denn keine (Mutter) gebärt ein älteres Wesen, als sie selbst ist.
4. Das glaube ich, wird (dir) das Gerücht schon früher S. 404 mitgetheilt haben; doch erklären wir auch das Geschehene. Wir zeigen in der That, daß wir in brüderlicher Gesinnung die Angelegenheit der Obengenannten kennen zu lernen wunschen, nicht aus unzeitiger Neugierde; da auch wir unsere Angelegenheiten als Brüder den Brüdern kundgeben und uns gegenseitig von der wirklichen Lehre der Secten verständigen, damit sich der Anfang meines Schreibens volIständig bewähre. Denn ich sagte am Anfange dieses Schreibens, daß wir uns gegenseitig brüderliche Unterredungen schulden. Alle deine Brüder in Christus grüße ich und die Meinigen.
D. h. in Zeiten, wo keine Häresie zu verfolgen war, also auch keine Häretiker. ↩
Ein verdeckter Vorwurf des Nestorius, der Papst könne jene Bischöfe auch aus einem anderen Grunde als der Häresie wegen abgesetzt haben. ↩
Dominicam enim in homine unionem ad cujusdam temperationis confusionem passim commiscent. ↩
Tempel (der Gottheit) nennt Nestorius die menschliche Natur in Christus. ↩
Deificatio; daraus ist zu ersehen, mit welchen Ubertreibungen und Verdrehungen Nestorius die Lehre seiner Gegner darstellte. ↩
Gottheit und Menschheit in Christus. ↩
Die stelle lautet: Quia propria est parienti homousios nativitas, cui vivere commissa est, illa in homine unnione creatura est humanitatis dominicae Deoconjunctae es Virgine per Spiritum; sie mag als Beispiel der Unklarheit und Unverständlichkeit dienen, an denen alle Uebersetzungen der zwischen Rom und Constantinopel gewechselten Briefe leiden, die um so bedauerlicher ist, wenn das Original verloren gegangen, wie bei diesem Briefe; über den Mangel an tüchtigen Uebersetzern in Constantinopel klagt Papst Gregor d. Gr. in 1. VII. ep. 30an Narses, indem er sagt, die Uebersetzer achten nicht auf den Sinn, sondern entstellen ihn, weil sie ängstlich am Buchstaben hängen.— Nestorius aber will hier sagen: da Maria nur ein sich wesensgleiches Kind, also nur einen Menschen nicht Gott gebären konnte, kann sie auch nicht Gottesgebärerin genannt werden. ↩
