Text.
Dem heiligsten und von Gott überaus geliebten Vater Cölestinus (sendet) Cyrillus Gruß im Herrn.
1. Wenn es erlaubt wäre, zu schweigen und deiner Frömmigkeit über alle Gefahren1 nicht zu berichten, ohne sich einem Tadel und bösen Scheine auszusetzen, besonders in so wichtigen und drängenden Angelegenheiten, wo auch der rechte Glaube von Einigen erschüttert wird, so würde ich bei mir selbst sagen: Gut und gefahrlos ist das Schweigen, und besser ist es, zurückgezogen zu leben, als sich beunruhigen zu lassen. Weil jedoch Gott von uns Wachsamkeit in diesen Dingen fordert und die seit Langem hergebrachten Gewohnheiten der Kirchen zur Mittheilung an deine Heiligkeit bewegen, so schreibe ich förmlich gedrungen und zeige an, daß der Satan auch jetzt Alles verwirrt und gegen die Kirchen Gottes wüthet und die im wahren Glauben wandelnden Völker allenthalben in Unordnung zu bringen sucht; denn nie ruht jenes verruchte und zügellose Thier in seiner Gottlosigkeit. Bis jetzt schwieg ich zwar und schrieb gar Nichts über den,2 welcher jetzt die Kirche von Constantinopel leitet, weder an deine Frömmigkeit noch an einen Andern der Mitbischöfe, weil ich glaubte, daß ein vorschnelles Handeln in solchen Dingen nicht ohne Tadel geschehe. Nachdem wir aber nahezu auf den Höhepunct des Übels gekommen, hielt ich es für durchaus nothwendig, den Mund zu öffnen und alles Geschehene zu sagen.
2. Der Erwähnte nemlich, sobald er ordinirt war und sowohl die eigene Gemeinde als auch die dahin kommenden S. 410 Fremden durch Ermahnungen zum Guten hätte anleiten sollen, — es sind aber deren sehr Viele, sozusagen aus jeder Stadt und jeder Gegend, — verlegte sich mit allem Eifer darauf, Unsinniges zu reden, was der Vernunft widerspricht und dem apostolischen und evangelischen Glauben, welchen die Väter stets festgehalten und uns wie einen kostbaren Edelstein überliefert haben. Die Homilien,3 welche er in der Kirche und zwar häufig hielt und zu halten nicht abläßt, schickte ich deiner Frömmigkeit, damit du sie genau kennen lernest. Ich aber gestehe, daß ich Willens war, ihm durch ein Synodalschreiben kundzugeben, daß wir mit Einem, der so redet und denkt, keine Gemeinschaft halten können; doch das habe ich nicht gethan. Weil ich aber erwägte, man müsse den Gefallenen die Hand reichen und sie wie Brüder aufrichten, so ermahnte ich ihn brieflich, daß er von solche schlechter Lehre abstehen solle. Allein es nützte Nichts. Vielmehr, nachdem er erfahren, daß wir nicht nur sehr weit entfernt sind, Gleiches mit ihm zu denken, daß wir ihn vielmehr von seinen eigenen Erfindungen, denn Lehren kann ich es nicht nennen, abmahnen, versuchte er alle Arten von Nachstellungen und läßt auch jetzt davon nicht ab. Während wir aber abwarteten, daß er sich bessere und der gegen Christus gerichteten Lehren sich entschlage, erkannten wir, daß wir uns in unserer Hoffnung getäuscht hatten, da sich Folgendes ereignete.
3. In Constantinopel war ein Bischof, Namens Dorotheus,4 ebenso gesinnt, wie er, ein Mann, der aus Gewinnsucht schmeichelt, und ein gewaltiger Schwätzer,5 wie ge- S. 411 schrieben steht. Dieser erhob sich in der öffentlichen Versammlung, da der hochwürdigste Nestorius auf dem Throne der Kirche von Constantinopel saß, und wagte mit lauter Stimme zu sagen: Wenn Jemand Maria Gottesgebärerin nennt, der sei im Banne. Da entstand ein großes Geschrei von allem Volke und ein Hinauslaufen. Denn es wollte Keiner Gemeinschaft mehr mit so Gesinnten haben, so daß auch jetzt die Gemeinde von Constantinopel sich größtentheils von der Communion fernhält mit Ausnahme Weniger, welche leichtfertiger sind und ihm schmeicheln. Aber auch fast alle Klöster und deren Archimandriten und Viele vom Senate halten sich ferne, weil sie fürchten, sie könnten im Glauben irre geführt werden, da sowohl er als auch alle die Seinigen, welche er aus Antiochien mit sich brachte, 6 Verkehrtes reden.
4. Nachdem ich aber erfahren, daß durch seine nach Ägypten gebrachten Homilien einige Leichtsinnige verführt und in ihren Zweifeln zu einander sagten: Redet er recht oder irrt er sich? so richtete ich, weil ich fürchtete, es könnte das Gift der Krankheit in den Seelen der Einfältigeren tiefere Wurzeln fassen, einen allgemeinen Brief an die Klöster Ägyptens, um sie im rechten Glauben zu stärken. Einige brachten ein Exemplar davon nach Constantinopel, welches, nachdem es gelesen worden, sehr großen Nutzen stiftete, so daß sehr Viele von der Obrigkeit (mir) Danksagungsschreiben schickten. Ihm aber wurde es neue Währung zum Hasse gegen mich, er kämpft gegen mich wie einen Feind, da er mir doch nichts Anderes vorwerfen kann, als daß ich nicht nur weit entfernt bin, seine Gesinnung zu theilen, sondern auch Viele bekehrte, indem ich sie beredete, den von den Vätern überkommenen Glauben und die Lehre der göttlichen Schrift anzunehmen. Allein ich S. 412 achtete nicht, was von ihm gegen mich geschehen, sondern stellte es dem allwissenden und allmächtgen Gott anheim und schrieb abermals einen andern Brief an den Erwähnten, welcher eine kurze Darstellung des rechten Glaubens enthielt, und ermahnte und beschwor ihn zugleich, nicht anders zudenken und zu reden. Jedoch abermals vergebens. Er hält noch immer an seinen anfänglichen (Irrlehren) fest und läßt nicht ab, Verkehrtes zu predigen.
5. Aber auch das möge deine Frömmigkeit erfahren, daß das Gesagte auch von allen Bischöfen des Morgenlandes gilt, und daß Alle (seine Lehre) verwerfen und bedauern, vorzüglich aber die hochwürdigsten Bischöfe Macedoniens. Trotzdem, obwohl er auch das weiß, hält er sich für weiser als Alle und meint, er allein kenne den Sinn 7 der göttlich inspirirten Schrift und das Geheimniß Christi. 8 Sollte er es nicht vielmehr für ganz sicher halten, daß, da alle rechtgläubigen Bischöfe der ganzen Erde und die Laien übereinstimmend bekennen, daß sowohl Christus Gott war als auch die Jungfrau, welche ihn geboren, Gottesgebärerin, er allein, welcher Dieß leugnet, irre ? Doch er ist hoffärtig und glaubt, daß, wenn er die Macht seines Thrones zu Nachstellungen gegen Alle mißbraucht, er uns oder auch alle Übrigen überreden wird, seinen Gesinnungen beizutreten.
6. Was sollen wir nun thun, da wir ihn weder eines Besseren belehren noch dazu bringen können, von solchen Predigten abzulassen, da auch das Volk in Constantinopel von Tag zu Tag mehr verdorben wird, obgleich es (dessen Irrthum) mißbilligt und von den rechtgläubigen Lehrern Hilfe erwartet? Wir reden auch nicht von gewöhnlichen Dingen, aber auch das Schweigen wäre nicht gefahrlos. Denn wenn Christus geschmäht wird, wie sollen wir dann S. 413 schweigen? Schreibt doch Paulus: 9 „Denn wenn ich Dieß freiwillig thue, so erhalte ich Lohn; wenn ich es aber ungern thue, so ist mir doch das Amt anvertraut." Da uns nun die Verkündigung der Lehre und die Erhaltung des Glaubens anvertraut ist, was sollten wir am Tage des Gerichtes sagen, wenn wir zu solchen Dingen geschwiegen hätten?
7. Wir sagen uns aber offen von seiner Gemeinschaft nicht früher los, bevor wir Dieß nicht deiner Frömmigkeit mitgetheilt haben werden. Erkläre uns deßhalb gütigst deine Meinung und (entscheide), ob wir etwa mit ihm Gemeinschaft halten oder fernerhin offen aussprechen sollen, daß mit Einem, der so gesinnt ist und Solches lehrt, Niemand Gemeinschaft halten dürfe. Es ist aber nothwendig, daß die dießbezügliche Absicht deiner Frömmigkeit sowohl den hochwürdigsten und gottliebenden Bischöfen Macedoniens als auch allen (Bischöfen) des Morgenlandes brieflich kundgemacht werde. Denn wir werden ihnen nach ihrem Wunsche Gelegenheit geben, daß sie alle einmüthig und in einer Lehre feststehen und für den angegriffenen rechten Glauben kämpfen.
8. Denn so viel an ihm lag, sind sowohl unsere großen und bewunderungswürdigen und hochgepriesenen Väter, welche behaupteten, daß die heilige Jungfrau Gottesgebärerin sei, mit dem Banne belegt, wie auch mit ihnen zugleich wir, die wir noch leben. Da er Dieß nicht mit eigener Stimme thun sollte, so stellte er einen Anderen auf, den genannten Dorotheus, und stiftete Diesen an, es zu verkünden, während er S. 414 da saß und es hörte, mit welchem er auch sogleich, als er von seinem Throne herabgestiegen, durch die Feier der göttlichen Geheimnisse Gemeinschaft hielt.
9. Damit aber deine Heiligkeit genau wisse. was einerseits er redet und denkt, was hingegen unsere seligen und großen Väter, schickte ich Glaubensregeln, 10 welche Auszüge (gewisser) Capitel enthalten. Ich ließ sie, so gut es möglich war, von Alexandrinern (in's Latein) übersetzen; auch die von mir geschriebenen Briefe übergab ich dem geliebten Possidonius mit dem Auftrag, sie deiner Heiligkeit zu überreichen.
Τὰ κινούμενα eig.: was sich zur Beunruhigung, Störung bewegt. ↩
Fast ängstlich meidet es Cyrillus, den Namen Nestorius zu nennen. ↩
Daß Nestorius gleichfalls seine Homilien dem Papste übersandte, sagt Cyrillus im Briefe an Bischof Johannes von Antiochien. ↩
Bischof von Marcianopolis Mösien, Theilnehmter auch an der berüchtigten Räubersynode zu Ephesus. ↩
Προπετὴς χείλεσι, in der lat. Uebersetzung: lingua ad temeritatem usque promptus. ↩
Unter Diesen nennt Socrates (VII. 32) auch den Priester Anastasius, welcher ähnliches wie Bischof Dorotheus predigte. ↩
Τὸν σκοπόν eig. die Absicht, das Ziel. ↩
D. i. das Geheimniß über die Person Christi. ↩
I. Cor. 9, 17. Der Sinn der Stelle im Briefe des Apostels: Thue ich es freiwillig, so wird mir dafür ein besonderer Lohn; the ich es ungern, so muß ich es thun (das Evangelium verkünden), weil es meines Amtes ist, erhalte aber keinen besonderen Lohn; paßt nicht ganz auf den Sinn, welchen Cyrillus hier intendirt; er will eben nur sagen, er sei durch sein bischöfliches Amt zur Anzeige genöthigt. ↩
Τόμους; s. Briefe der Päpste II. S. 329. ↩
