Text.
Dem geliebtesten Bruder Johannes (entbietet) Cölestinus (seinen Gruß).1
1. Wir wünschten zwar, daß, gleichwie ein göttliches S. 426 Wesen ist, so auch unter allen wo immer lebenden Menschen e i n e Wahrheit des rechten Glaubens sich befinde. Doch ist es weniger zu beklagen, wenn sich etwa Einige von der Heerde des Herrn trennen, in Schlupfwinkeln und Verstecken verborgen halten und einige Wenige, welche mit ihnen übereinstimmen, zu ihrem heimlichen Irrthume bereden. Wenn aber in der Kirche Gottes ein Vorsteher, der den Bischofsnamen trägt, das Volk Christi selbst vom Wege der Wahrheit weg dem Abgrunde einer falschen Lehre2 zuführt und Dieß in einer so großen Stadt, in welcher, weil sie als die kaiserliche Residenz ausgezeichnet ist, aus der ganzen Welt Menschen in Massen zusammenströmen, da muß sich offenbar sowohl die Trauer verdoppeln als auch die Sorgfalt vergrößern, damit die Raubgier des herannahenden Wolfes nicht obsiege. Denn vor dem Feinde, welcher die Stadt belagert, braucht man sich weniger zu fürchten als vor dem, welcher (schon) innerhalb der Mauern wüthet; weniger Kummer verursacht der Wolf, wenn er ausserhalb des Schafstalls umherschweift, als da er innerhalb der Heerde die Stelle eines Hirten an sich gerissen hat; denn es ist mehr als ein Bürgerkrieg, wenn innerhalb der Kirche d. i. im Hause3 Christi selbst die Pfeile einer gottlosen Secte umherschwirren. Deßhalb sind wir überaus bestürzt, daß der Vorsteher der Kirche von Constantinopel dem von Ehrfurcht gegen Christus erfüllten Volke verkehrte Ansichten beibringt, welche die Ehre der jungfräulichen Geburt verletzen und uns die Hoffnung auf unser Heil rauben. Dieselben4 gelangten (an uns), da gläubige Männer ihren Schmerz hierüber kundgaben, sie wurden uns in den von ihm selbst gesandten Schriften mitgetheilt und S. 427 zu noch größerer Sicherheit durch die uns zugeschickten Briefe, welche mit der eigenhändigen Unterschrift des Verfasssers versehen sind,5 so daß man darüber weiter nicht mehr zweifeln kann.
2. Deßhalb haben wir, weil bei solchen Anlässen eine zu lange Nachsicht nicht gefahrlos ist, da es fast ein ebenso großes Verbrechen ist, Solches nicht zu beachten, als so Gottloses zu lehren, sowohl den Bischof Nestorius als auch seine etwaigen Genossen, welche Solches behaupten, von unserer Gemeinschaft ausgeschlossen, bis er durch ein (uns) übersendetes schriftliches Glaubensbekenntniß den Irrthum, welchen er zu lehren anfieng, verurtheilt und in Betreff der jungfräulichen Geburt d. i. bezüglich der Erlösung des Menschengeschlechtes an ebendemselben Glauben festzuhalten bekennt, welchen nach der apostolischen Lehre die römische und alexandrinische Kirche und die ganze katholische Kirche festhält, verehrt und bekennt. Wenn aber Jemand entweder von Nestorius6 oder von einem seiner Anhänger von da ab, als er dergleichen zu lehren begann, ausgeschlossen oder der bischöflichen oder klerikalen Würde entsetzt wurde, so ist es klar, daß ein Solcher stets in unserer Gemeinschaft geblieben sei als auch fernerhin bleibe, und erklären wir ihn auch nicht für abgesetzt, da ihn der Ausspruch Desjenigen nicht absetzen konnte, welcher sich selbst schon als der Absetzung würdig erwiesen hatte.
3. Dieß, theuerster Bruder, schrieben wir deiner Heiligkeit, damit du im Herrn gekräftigt und angethan mit dem Panzer,7 welchen deine Brust gewöhnt ist, und mit dem Schilde8 der rechtgläubigen Lehre die Heerde unseres Herrn S. 428 Jesu Christi, welcher für uns geboren wurde und litt, welcher auch, nachdem die Unterwelt erschlossen und der Tod besiegt ward, für uns am dritten Tage auferstand, vor der armseligen und so verruchten Lehre schützest.
4. Sowie wir aber auch unserem heiligsten Bruder und Mitbischofe Cyrillus, dem tüchtigen Vertheidiger der katholischen9 Lehre, geschrieben, so möge (auch) deine Heiligkeit wissen, daß über diesen selben Nestorius von uns oder vielmehr von dem Herrn und Gott Christus selbst das Urtheil gefällt worden sei, daß er entweder innerhalb zehn Tage von unserer Aufforderung an seine gottlosen Lehren über die Geburt Christi durch ein schriftliches Glaubensbekenntniß verdamme und erkläre, daß er jenem Glauben folge, welchen die römische und alexandrinische und die katholische Kirche bewahrt, oder daß er von der Gemeinschaft der Bischöfe entfernt werden und wissen solle, daß er sich selbst in's Verderben gestürzt habe. Damit aber unser Urtheil eifriger10 durchgeführt werde, so wollten wir, daß unser Schreiben durch unseren Sohn Possidonius, Diakon der alexandrinischen Kirche, zuverlässiger an deine Liebe gelange. (Gott erhalte dich wohl, theuerster Bruder!)11 Gegeben am 11. August unter dem 13. Consulate des Theodosius und dem 3. des Valentinianus. 12
Die alte latein. Übersetzung hat folgende Überschrift: Cölestinus, der Bischof, sendet den orientalischen Bischöfen Johannes, Juvenalis, Rusus und Flavianus (seinen Gruß); a pari. ↩
Nach dem griechischen Texte: Dem Abgrunde durch seine falsche Ueberredung zuführt. ↩
Die lat. Version hat thalamus statt domus, hebt also den Gegensatz noch stärker hervor. ↩
D. i. des Nestorius verkehrte Ansichten. ↩
D. i. der 6. und 7. Brief. ↩
Im Griech.: vom Bischofe Nestorius. ↩
Im Lat. ist „Christi“ hinzugefügt. ↩
Der griechische Uebersetzer hat spe statt scuto und hat (ἐνδυσάμενος) τὴν ἐλπίδα. ↩
Im Griech.: Kirche und Lehre. ↩
Im Griech. : σπουδαώτερον, im Lat. exercitatius, vielleicht statt accuratius, genauer. ↩
Nur im Griech. ↩
D. i. im J. 430; nur im Lat. ↩
