Text.
Dem Papste Cölestinus (entbietet) Nestorius, Bischof von Constantinopel, (seinen Gruß).
1. Ich hörte, daß der ehrenwerthe Cyrillus, Bischof S. 453 von Alexandrien, aus Furcht wegen einiger gegen ihn bei uns vorgelegten Klageschriften, um sich einen Schlupfwinkel zu verschaffen und der heiligen Synode zu entgehen, welche dieser Klageschriften wegen zusammentreten soll, sich indessen eine andere Wortklauberei ersinne und den Ausdruck „Gottesgebärerin" und „Christusgebärerin" ergreife; das eine läßt er zu, das andere aber schließt er bald von den Evangelien aus, bald läßt er es jedoch wieder zu, nemlich das Wort „Christusgebärerin", wie ich glaube, mit allzu großer Spitzfindigkeit.1
2. Ich aber habe zwar Nichts wider Diejenigen, welche sich des Ausdruckes „Gottesgebärerin" bedienen wollen, wenn er nur nicht im apollinaristischen und arianischen Wahnsinne zur Vermischung der Naturen gebraucht wird;2 doch zweifle ich nicht, daß dieser Ausdruck „Gottesgebärerin" dem „Christusgebärerin" weichen solle, welcher von den Engeln und Evangelien vorgebracht wurde. Wenn ich Dieß nicht deiner Ehrürdigkeit schriebe, welche es ohnehin weiß, so müßte ich hierüber eine lange und weitläufige Erklärung geben.
3. Allein auch ohne Dieses ist deiner Heiligkeit gewiß auch das bekannt, daß, angenommen, es stehen sich zwei Secten gegenüber, und die eine derselben lehre einzig den Ausdruck „Gottesgebärerin," die andere aber ausschließlich den Ausdruck „Menschengebärerin," beide aber suchen für ihre Lehre Anhänger zu gewinnen oder seien, wenn ihnen S. 454 Dieß nicht gelingt, in Gefahr, von der Kirche ausgeschlossen zu werden, daß es dann nothwendig ist, daß der für diese Angelegenheit Erwählte, wenn er für beide Seiten besorgt ist, die Gefahr für beide Parteien durch den von den Evangelien gelehrten Ausdruck behebe, welcher beide Naturen bezeichnet. Dieser Ausdruck „Christusgebärerin" nemlich beseitigt, wie ich sagte, sowohl die gotteslästerliche Lehre des Samosateners, welcher Christus, den Herrn des Weltalls, für einen bloßen Menschen ausgab, wie er auch die Irrlehre des Arius und Apollinaris ausschließt.3
4. Dasselbe habe ich auch dem ehrenwerthen Bischofe von Alexandrien geschrieben, wie es deine Heiligkeit aus den Abschriften ersehen kann, welche ich diesem meinem Briefe beifügte, und aus seinen Schreiben an uns. Es wurde aber beschlossen, unter Gottes Beistand eine allgemeine Synode ohne alle Gegenrede 4 zur Prüfung anderer kirchlicher Angelegenheiten zu berufen. Denn dieser Wortstreit wird, wie ich meine, keine schwierige Untersuchung veranlassen und auch der Lehre von der Gottheit Christi, des Herrn, nicht hinderlich sein.
Eine ganz unwahre Behauptung, Cyrillus habe den Streit wegen θεοτόκος angefangen, um einer gegen ihn eingeleiteten Synodalklage zu entgehen, da schon die frühesten Briefe zwischen Cyrillus und Nestorius des Streites über θεοτόκος erwähnen und erst die etwas späteren jener Anklagen gedenken; s. Hefele II. S. 159 f. u. 162. ↩
Abermals eine Lüge: hatte Nestorius doch Jene excommunicirt, welche sich überhaupt diese Ausdrucks bedienten. ↩
Weder Paulus von Samosata noch Arius oder Apollinaris leugneten, daß Maria die Mutter Christi sei, daher der Ausdruck „Christusgebärerin keine dieser Häresien ausschließt. ↩
Inexcusabiliter, d. h. dieser Synode wird sich keiner entziehen können; sollwohl wieder ein Seitenhieb auf Cyrillus sein. ↩
