2.
Laß dich, o Christ, nicht entmutigen bei deinen Gaben! Gib her, was du empfangen, säe, was du ernten, streue aus, was du sammeln sollst! Fürchte nicht, dir nutzlose Ausgaben zu machen, und klage nicht über unsicheren Erfolg! Dein Gut wächst, wenn es weise verteilt wird. Begehre den gerechten Gewinn, der aus der Barmherzigkeit fließt, und suche voll Eifer, dir ewigen Lohn zu erwerben! Gott, der gegen d i c h so gütig ist, will auch, daß du dich freigebig zeigst. Der dir die Mittel bietet zu leben, gebietet dir auch zu geben. Sagt er ja: „Gebet, und es wird euch gegeben werden.“ Mit beiden Händen mußt du nach dieser willkommenen Gelegenheit einer solchen Verheißung greifen. Magst du auch nichts besitzen, was du nicht empfangen hättest, so bleibt doch jede Gabe, die du spendest, dein eigen. Wer also am Gelde hängt und sein Vermögen durch maßlosen Zuwachs zu vermehren trachtet, der möge1 statt dessen fromm Wucher treiben und sich auf die Art bereichern, daß er weder die Notlagen bedrängter Menschen ausnützt, noch sie durch Scheinhilfe in Schulden stürzt, die sie nicht bezahlen können! Er mache sich zum Gläubiger und Wucherer S. 62dessen, der da spricht: „Gebet und es wird euch gegeben werden!“ „Mit dem Maße, womit ihr messet, wird auch euch wieder gemessen werden!“2 . Wer ein Gut, das er für schätzenswert hält, nicht dauernd besitzen will, ist sogar treulos und ungerecht gegen sich selbst.3 , wenn er auch noch so viele Schätze zusammenscharrt, noch so viele Reichtümer aufhäuft und aufspeichert, arm und dürftig aus dieser Welt gehen, gemäß den Worten des Propheten David: „Denn wenn er stirbt, wird er nichts von alledem mit sich nehmen, und seine Herrlichkeit wird nicht mit ihm hinunterfahren“4 . Meinte es ein solcher gut mit seiner Seele, so würde er d e m sein Geld leihen, der ihm am besten für die Armen bürgt und zugleich die höchsten Zinsen zahlt. Allein der ungerechte und schamlose Geiz, der seine Betrügerei als Wohltätigkeit hinstellt, schenkt nicht Gott sein Vertrauen, dessen Verheißungen untrüglich sind, traut aber dem Menschen der eilfertig den ihm vorgelegten Schuldvertrag unterschreibt. Indem er das, was ihm die Gegenwart bietet, für sicherer hält, als was ihm die Zukunf t verspricht, ergeht es ihm mit Recht oft so, daß für ihn das Streben nach unverdientem Gewinne Anlaß zu wohlverdientem Verluste wird.
