1. Zu Augustins Leben und Werk
Augustinus gehört zu jenen gebildeten Kreisen des vierten Jahrhunderts, die nicht von vorneherein auf eine bestimmte Religion ausgerichtet sind. Seine Bekehrung ist keine Blitzkonversion, vielmehr das Ergebnis einer langen Suche nach Wahrheit, die er vorerst in der afrikanischen Kirche nicht entdecken konnte.
Er ist geboren am 13. November 354 in Thagaste, einer Kleinstadt im bergigen Hinterland von Hippo Rhegius, wo berberische Traditionen lebendig sind und die ländliche Bevölkerung noch punisch spricht. Sein Vater Patricius gehört zur kleinbürgerlichen Mittelschicht der Kurialen, die in bescheidenen Verhältnissen leben. Augustinus bewertet später das Vermögen der hipponensischen Kirche auf das Zwanzigfache des väterlichen Besitzes (Ep. 126,7; Sermo 356,7.9).
Während sein Vater erst kurz vor seinem Tode (370/71) Katechumene wird (Conf. 2,3.6; 3,4.7), ist seine Mutter Monnica getaufte Christin (Conf. 9,11.28); sie läßt Augusti-nus im frühen Kindesalter während einer Krankheit die Ein-führungszeremonien ins Katechumenat erteilen (Conf. 1,11.17). Sie wird ihn auch in die Anfangsgründe des Glau-bens eingeführt haben, doch bleibt dies vorerst ohne Konse-quenzen. Zu welchem Zeitpunkt sein Bruder Navigius und seine Schwestern sich taufen ließen, ist nicht bekannt.
Nach dem Elementarunterricht in Thagaste besucht er die Schule des Grammatiklehrers in Madauros, und nach kurzem Unterbruch kann er dank der Unterstützung des Hausfreundes Romanianus mit 16 Jahren das Studium der Rhetorik in S. 96 Karthago aufnehmen. Um 375 kehrt er für kurze Zeit nach Thagaste zurück, doch schon ein Jahr später finden wir ihn in Karthago, wo er sich bessere Aufstiegschancen ausrechnet. Seine Ambitionen werden deutlicher, als er mit 29 Jahren nach Rom reist, und nur ein Jahr später, im Herbst 384, noch vor seinem 30. Geburtstag, durch Empfehlung des Stadtpräfekten Symmachus die Stelle als Rhetoriklehrer in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand erhält. Doch schon im Oktober 386 verzichtet er auf sein Lehramt und bekehrt sich zum christlichen Glauben. Er fühlt sich nach seiner Abkehr vom Manichäismus und Skeptizismus wieder als Katechumene und will es so lange bleiben, bis er Gewißheit hat über den Weg, den es einzuschlagen gilt (Conf. 5,14.25). Nach der entscheidenden Krise im Sommer 386 und den Gesprächen mit dem mailändischen Priester Simplicianus, der zuvor den Philosophen Marius Victorinus und Ambrosius zur Taufe führte (Conf. 8), verbringt Augustinus die Herbstferien und den Winter 386/87 in Cassiciacum, auf dem Landsitz des Verecundus nördlich von Mailand (Conf. 9,4.8), und schreibt sich im Januar/Februar 387 als Taufkandidat bei der mailändischen Kirche ein. An Ostern 387 tauft ihn Ambrosius zusammen mit seinem Freund Alypius und seinem Sohn Adeodatus, während seine Frau, mit der er 14 Jahre im Konkubinat lebte, dem Druck Monnicas nachgebend, ihn bereits im Sommer 385 verlassen hat und nach Afrika heimgekehrt ist. Sein Weg in die afrikanische Kirche vollzieht sich also in mehreren Etappen. Seine geistigen Irrfahrten auf der Suche nach Gott beschreibt er in seinen Konfessionen, einem Werk, das die Leser antreiben will, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und mit ihm zu entdecken, wie Gott dem suchenden Menschen entgegenkommt und den Stolz des selbstbewußten Intellektuellen, der zuerst, abgestoßen vom Autori-tätsanspruch der Kirche und enttäuscht vom Stildefizit der Bibel, sich in eigenwillige Positionen verliert, in die Haltung demütiger Erwartung umwandelt. Die Konfessionen sind somit ein ausgezeichnetes Begleitbuch zum Verständnis der S. 97 Theorieprobleme der Katechese für Intellektuelle, die in cat. rud. besondere Beachtung finden (12 ; 13).
Die Rückreise nach Afrika verzögert sich aufgrund der politischen Verhältnisse. In der Wartezeit im Sommer 388 stirbt seine Mutter in Ostia (Conf. 9). Zurück in Karthago, trifft er mit dem späteren Bischof Aurelius zusammen, zieht aber nach Thagaste weiter, um mit den Freunden in einer klosterähnlichen Gemeinschaft zu leben. Anläßlich eines Besuches in Hippo weiht ihn Valerius 390/91 zum Priester und ermöglicht ihm, im Gartenkloster, für das er ihm ein Grundstück zur Verfügung stellt, die vita communis weiterzuführen. Seine Bischofswahl 395/96, noch zu Lebzeiten des Valerius, widerspricht zwar dem 8. Kanon von Nicäa, wird aber innerhalb der katholischen Kirche Afrikas nicht angefochten. Bis zu seinem Tod am 28. August 430 gehört er zu den führenden Persönlichkeiten der afrikanischen Kirche und veröffentlicht ein immenses Werk, in dem alle Probleme seiner Zeit zur Sprache kommen. Durch seinen Eintritt in die afrikanische Kirche vollzieht Augustinus eine tiefgreifende Umwandlung der afrikanischen Theologie. Seine Grundpositionen entziehen sich zwar einer systematischen Gesamtdarstellung, können aber um drei Problemkreise gruppiert werden, in denen R. Lorenzdie systematische Grundstruktur des Augustinismus sieht: die Frage nach dem Glück (beatitudo), die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Autorität (ratio et auctoritas) und die Frage nach dem Bösen (unde malum).1
Seit jeher gehört Augustinus zu den gewichtigen Theologen der lateinischen Patristik. Er selber ist sich seiner Bedeutung als Theologe und Interpret von Welt und Mensch durchaus bewußt. Nicht ein glücklicher Zufall hat uns den Großteil seiner Schriften erhalten; er selber hat dazu beigetragen, S. 98 indem er an verschiedenen Orten beglaubigte Abschriften seiner Werke hinterlegte – wie etwa die antimanichäischen Werke bei Paulinus in Nola –, vor allem aber ist es das Verdienst seines Freundes und ersten Biographen Possidius von Calama, der seiner Vita Augustini ein Verzeichnis seiner Werke beifügte, das mehr noch als die Vita die Stoßrichtung seines Schaffens bloßlegte: Bücher, Briefe, Predigten – eine Dreiteilung, die Augustinus selber in seiner Bibliothek als Ordnungsprinzip durchhielt – zur einen Hälfte Streitschriften gegen Heiden, Donatisten, Manichäer, Priszillianisten, Pelagianer etc., und zur anderen Hälfte vermischte dogmatische, exegetische und praktische Schriften.2
Augustinus hat ein Werk hinterlassen, das viele Entwick-lungslinien der Antike zum Abschluß bringt und gleichzeitig für die kommende Zeit neue Perspektiven eröffnet. Er ist zwar voll eingewurzelt in der Antike, als Römer, Afrikaner, Christ, weist aber schon auf das kommende Mittelalter hin. Wer seine Texte abhorcht, wird immer wieder Veränderun-gen und Bruchstellen in seinem Denken entdecken. Wo die einzelnen Bruchstellen genau einsetzen, wie stark sie etwa in der Gnadenlehre zu werten sind, ob der alternde Augustinus in der antipelagianischen Periode zwischen 418 und 430 frühere Positionen aufgegeben hat, das wird in der Forschung immer umstritten bleiben. Schon seine Zeitgenossen waren in der Bewertung einzelner theologischer Positionen unterschiedlicher Meinung und warfen dem späteren Augustinus Verrat an den Frühschriften vor. In den Retraktationen, dieser kritischen Nachlese seiner Bücher, versuchte Augustinus Maßstäbe für eine künftige Interpretation zu legen. Es ist ihm nicht gelungen, alle Gegner auf seine Seite zu bringen. Als er am 28. August 430 stirbt, ist Hippo von den Wandalen eingeschlossen. Das römische Afrika wird untergehen; Augustins Werk aber hat den Zusammenbruch überdauert. S. 99
