5. Kapitel: Der Katechet suche sich darüber Klarheit zu verschaffen, aus welchen Beweggründen sich sein Schüler ihm naht
9. Auch auf dem Grunde der göttlichen Strafgerechtigkeit, wodurch das Herz der Sterblichen von einem ganz heilsamen Schrecken erschüttert wird, muß man die Liebe aufbauen, so daß der Schüler in seiner Freude darüber, daß er von dem nämlichen Gott, vor dem er sich fürchtet, geliebt wird, ihn auch wieder zu lieben wagt und sich scheut, dieser Liebe, die Gott zu ihm hegt, jemals mißfällig zu werden, selbst wenn es ungestraft geschehen könnte. Denn nur ganz selten, ja man kann schon sagen niemals ist es der Fall, daß jemand, der zu uns kommt um ein Christ zu werden, sich nicht irgendwie vor Gott fürchtet. Will aber einer nur deshalb Christ werden, weil er gewisse Vorteile von jemandem erhofft, dessen Wohlgefallen er auf andere Weise nicht erwerben zu können glaubt, oder weil er gewissen Unannehmlichkeiten entgehen möchte von Seiten solcher Leute, bei denen er Anstoß oder Feindschaft zu erregen fürchtet, so will er nicht so fast Christ als vielmehr bloß Scheinchrist werden. Denn der Glaube beruht nicht auf äußerlicher Höflichkeit, sondern auf gläubiger Herzenshingabe. Aber selbst in solchen Fällen greift gar oft die Barmherzigkeit Gottes vermittels des Katecheten ein, so daß der Betreffende infolge des S. 245Unterrichtes das nun im Ernste werden will, was er eigentlich nur zum Schein hatte auf sich nehmen wollen; und erst von dem Augenblick an, wo unserem Katechumenen dieser Entschluß kommt, sollen wir wirklich sein Kommen rechnen. Es ist uns zwar der Augenblick verborgen, wo der auch mit der Gesinnung des Herzens kommt, den wir körperlich in unserem Unterricht sehen, aber wir sollen mit ihm jederzeit so verfahren, daß der Entschluß [wirklich Christ zu werden] in ihm entsteht, selbst wenn er bis dahin in ihm noch nicht vorhanden ist. Denn das schadet nichts, daß er, falls er wirklich schon vorhanden wäre, durch ein derartiges Verfahren unsererseits noch gekräftigt wird, wenn wir auch nicht gerade Zeit und Stunde kennen, wo er entstanden ist. Übrigens ist es unter allen Umständen auch von Nutzen, über den Kandidaten bei den Leuten, die ihn kennen, womöglich schon vorher Erkundigungen einzuziehen, in welcher Gemütsverfassung er ist und was ihn veranlaßt hat, um Aufnahme ins Christentum nachzusuchen. Können wir derartige Aufschlüsse von anderen nicht erhalten, so soll man sogar ihn selber befragen, um aus seiner Antwort einen Ausgangspunkt für die Art unseres Vortrages erschließen zu können. Ist er allerdings in hinterhältiger Absicht gekommen, entweder um einen irdischen Vorteil zu erzielen oder um einen irdischen Schaden zu vermeiden, so wird er sich freilich aufs Lügen verlegen; aber gerade diese Lüge müssen wir dann zum Ausgangspunkt unserer Katechese nehmen, natürlich nicht so, daß man nun seine falschen Angaben mit Bestimmtheit einfach als Lüge zurückweist, sondern wenn er in reiner Absicht gekommen zu sein vorgibt — was an sich ja durchaus zu loben ist, ob er persönlich nun die Wahrheit gesprochen hat oder nicht —, so soll man die von ihm vorgeschützte Absicht loben und gut heißten und es dadurch soweit bringen, daß er Lust daran findet, das auch wirklich zu sein, was er nur zu scheinen wünschte. Gibt er aber eine andere Absicht an als eine solche, wie sie Katechumenen bei ihrer Aufnahme haben müssen, so soll man ihn in aller Sanftmut und Milde als einen Menschen zurechtweisen, der in der Angelegenheit unwissend und unkundig ist; dazu S. 246soll man ihm den Inbegriff der christlichen Lehre in seiner vollen Wahrheit vorstellen und rühmend nahelegen; dies tue man aber kurz und eindringlich, denn sonst nimmt man die Zeit, die für den folgenden [Haupt]-Vortrag notwendig ist, schon vorweg in Anspruch oder man begeht den Fehler, daß man diesen Vortrag schon hält, obwohl der Geist des Zuhörers dazu ja noch gar nicht vorbereitet ist: kurz, man muß ihn dazu bringen, das nun wirklich zu wollen, was bisher, sei es aus Irrtum oder aus Verstellung, noch keineswegs in seiner Absicht lag.
