2.
Das ganze Werk zerfällt in zwei Teile. Der erste umfaßt Buch 1 bis 7, der zweite Buch 8 bis 15. Der erste Teil bietet von Buch 1 bis 4 den positiven Schriftbeweis, von Buch 5 bis 7 die Formulierung des Dogmas. Der zweite Teil ist der gedanklichen Durchdringung des Mysteriums gewidmet. Das ganze Werk schließt wie das gleichnamige des heiligen Hilarius von Poitiers mit einem Gebete an den dreieinigen Gott. G. Morin veröffentlichte erstmalig ein Gebet, das handschriftlich als Oratio Augustini in librum de Trinitate bezeichnet wird.1 Es wird als echt anzusehen sein und mit dem Werke De Trinitate in engstem Zusammenhange stehen. Die lange Abfassungszeit, die häufigen Unterbrechungen und die oft nach langen Pausen erfolgte Wiederaufnahme der Arbeit machen es begreiflich, daß das Werk nicht in geradlinigem Fortschritt seinem Endziel zueilt. Zahlreich sind die Abschweifungen vom Thema, ebenso zahlreich die Wiederholungen. Im fünfzehnten Buche gibt Augustinus selbst eine kurze Inhaltsangabe der vorausgehenden Bücher. Mitten zwischen Erörterungen über die Ewigkeit des Sohnes sind solche über die Menschwerdung und das Erlösungswerk eingeschaltet. Irgendein Gedanke, der beiläufig aufblitzt, gibt Anlaß zu langen, anscheinend außerhalb des Hauptthemas liegenden Untersuchungen. Man darf indes diesen Mangel an Systematik nicht ausschließlich der über viele Jahre hin sich erstreckenden Abfassungszeit zuschreiben. Es kommt hier vielmehr ein wesentlicher Charakterzug des Augustinischen Schrifttums zur S. 20 Geltung. Augustinus kann nicht ohne nach rechts und links zu blicken den Weg eines Gedankenverlaufs bis zum Ende verfolgen. Dafür ist er zu sehr an jedem neuen Ausblick, der sich ihm nach Gott hin auftut persönlich interessiert. Sein Denken kreist ja unaufhörlich um Gott. Von immer neuen Ausgangspunkten her sucht er sich zu ihm hinzutasten. Wenn so sein Denken auch kein geradliniges ist, so ist es doch kein ungeordnetes. Wenn es auch kein systematisches ist, so ist es doch ein einheitliches. Es bekommt seine Gestalt von dem Streben nach Gott, zu dem Augustinus alle Wege führen. Wenn so der Kirchenvater einen Gedanken liegen lässt, um einen gerade auftauchenden zu verfolgen und erst nach dessen Behandlung den Faden wiederaufzunehmen, so geschieht es, weil Gott und unsere Vereinigung mit ihm von einer neuen Seite her in seinen Gesichtskreis trat und er hierin nichts vernachlässigen kann, weil ihn sein Herz auf jede Weise zu Gott treibt. Gilson drückt in seinem herrlichen Buche: Der heilige Augustin, eine Einführung in seine Lehre (deutsch von Phil. Böhner und P. Tim. Sigge O. F. M., Hellerau 1930, 390 f.) diesen Sachverhalt so aus: „Vielleicht ist aber dieser Mangel an Ordnung, an dem der Augustinismus krankt, nur eine ganz besonders geartete Ordnung. An Stelle der zusammenfassenden, geradlinigen Ordnung, etwa jener Lehren, die der Richtschnur des Verstandes folgen, finden wir hier eine notwendig andersgeartete Darstellung, deren Mittelpunkt die Gnade und die Liebe sind. Wenn es mehr um das Lieben geht als um das Wissen, dann ist des Denkers eigentliche Aufgabe weniger das Erkennenlassen als das Ersehnenlassen. Die Liebe aber weckt man nicht durch Beweise, sondern durch Hinweise, und das tut Sankt Augustinus ohne Unterlaß . . . So sind in Augustins Werken die Exkurse, die scheinbar beständig die Ordnung durchbrechen, nur die Ordnung selbst. Durch sie führt er uns zu Gott, nicht als zu einem geradlinig bestimmten Ziele, sondern zu einem Mittelpunkte, auf den man notwendig zurückkommen muß, in welcher Richtung auch man sich von ihm entfernt . . . Augustin mag jedes beliebige Problem S. 21 anfassen, immer ist es ihm der Punkt, den er zu Gott in Beziehung bringt, um uns Gott stets zu zeigen.“ Nicht also um bloße wissenschaftliche Erkenntnisse handelt es sich im Werke De Trinitate, sondern um lebendiges, heiliges und heiligendes Wissen, darum, daß wir mit dem dreieinigen Gott in eine wirklichkeitserfüllte Beziehung treten, die die innerste Neigung besitzt, ihrem Endzustande, der Vollendung in der Gottesschau, entgegenzuwachsen. So sind die vielen langen Darlegungen über Sünde, Gnade, Christus nicht Fremdkörper, sondern aus dem Geiste des Werkes kommende und daher zu ihm gehörige Bestandteile.
Als Augustinus sein Trinitätswerk verfaßte, waren die schwersten trinitarischen Kämpfe ausgefochten. Die Entscheidung des Nizänums (325) lag schon mehr als zwei Menschenalter zurück. Den Männern, die ihm in hartem Ringen zum Siege verhalfen, Athanasius (gest. 373), Eustathius von Antiochien (gest. vor 337), Marzell von Ancyra (gest. ca. 374), Basilius (gest. 379), Gregor von Nazianz (gest. ca. 390) und Gregor von Nyssa (gest. ca. 394), Hilarius von Poitiers (gest. um 367), hatte der Tod die Feder aus der Hand genommen. Augustinus hätte blind und taub sein müssen, wenn er an der Arbeit dieser Theologen achtlos vorübergegangen wäre. Wie sehr es ihm darum zu tun war, die seinem eigenen Werke vorausgegangenen trinitarischen Abhandlungen kennenzulernen, spricht er an verschiedenen Stellen seines Trinitätswerkes2 und auch anderwärts3 aus. Zu seinen literarischen Vertrauten gehören nach Karl Adams4 Feststellungen auf lateinischer Seite Tertullian, Cyprian, Laktantius, Marius Viktorinus, Optatus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, auf griechischer Seite Origenes, Basilius, Gregor von Nazianz, Chrysostomus. Die griechischen Väter las Augustinus entweder im Urtexte oder in lateinischen Übersetzungen. Er fühlte sich allerdings in der griechischen Sprache nie ganz heimisch. Aber er war doch imstande, nicht bloß griechische S. 22 Wörter und Sätze zu verstehen, sondern auch griechische Werke zu lesen, wenn auch nicht ohne Anstrengung, nicht ohne Irrungen, nicht ohne Zeitaufwand.5 Besonders gut kennt Augustinus von den Griechen Basilius, Origenes, Gregor von Nazianz. Den letzteren, den er von den Griechen am höchsten schätzte, konnte er in der Übersetzung Rufins lesen. Von den lateinischen Kirchenschriftstellern waren besonders wichtig Tertullian und Hilarius, der erstere, weil die trinitarische Sprache weithin von ihm geprägt ist, der letztere, weil sein großes Trinitätswerk, das Augustinus eingehend studierte, stark unter griechischem Einfluß steht, aber doch einen selbständigen Denker verrät.
Für das Verständnis der Augustinischen Trinitätslehre ist von entscheidender Bedeutung die Feststellung, daß er in der Dreipersönlichkeit nicht eine zu dem einen Gott hinzugefügte, zufällige Wirklichkeit sieht, sondern daß ihm der eine Gott selbst wesenhaft und notwendig der dreipersönliche ist. In seiner Einheit ist er dreipersönlich. In seiner Dreipersönlichkeit ist er der eine Gott. Die eine Wirklichkeit Gott ist in dem einen Bereiche absolut eins, in dem anderen dreipersönlich. Es scheint mir einen lebendigen Sinn für die eine göttliche Wirklichkeit zu verraten, wenn Augustinus nicht nach dem heute in den dogmatischen Lehrbüchern geübten Brauch die Gotteslehre von der Trinitätslehre trennt, sondern je nach den Bedürfnissen der Darstellung bald von der Dreiheit, bald von der Einheit spricht. Einen persönlichen Gott im Sinne der Einpersönlichkeit Gottes gibt es nicht. Wenn man trotzdem sich angewöhnt hat, von der Persönlichkeit Gottes zu sprechen, so darf man das nur in einem sehr allgemeinen und unbestimmten Sinne tun. Wenn es keinen einpersönlichen Gott gibt, so kann man auch nicht die Existenz eines S. 23 einpersönlichen Gottes im eigentlichen Sinne beweisen. Die Gottesbeweise dürfen daher nicht allzu siegesgewiß in diese Richtung eilen, damit sie nicht etwas beweisen, was mit einer Offenbarungswahrheit in Widerspruch steht. Wenn man die Lehre Augustins über die Dreieinigkeit darstellen will, darf man daher nicht unterlassen, die beiden Momente darzustellen, jenes der Einheit und jenes der Dreiheit.
G. Morin, Une prière inédite attribuée à saint Augustin dans plusieurs Mss. du De trinitate, in: Revue Bénédictine XXI (1904) 124—132. ↩
De trinitate, l. I c. 4; l. V c. 9. ↩
De fide et symbolo, c. 9 n. 18 f. ↩
K. Adam, Die Eucharistielehre des hl. Augustin, Paderborn 1908, 37. ↩
H. Reuter, Augustinische Studien, Gotha 1887, 170—182. Paul Henry S. J., Plotin et l’Occident, Louvain 1934, S. 134 f. Mit Recht bemerkt er, daß Augustinus De trinitate, l. III prooem. in den Pluralformen nicht sich, sondern seine lateinischen Landsleute meint. Diesen, nicht sich, spricht er hier die für die Lektüre griechischer Werke nötigen Kenntnisse ab. Vgl. den Wortlaut der Übersetzung. ↩
