VII. Salvian an Aper und Verus
*Dieser Brief ist ganz im Geist des 5. Jahrhunderts geschrieben; er berührt uns unangenehm wegen der rhetorischen Übertreibung einer geringfügigen Angelegenheit. In Aper glaubten einige einen Freund des Paulinus von Nola sehen zu können.1
Ob es Zeichen meines Pflichteifers oder meiner Aufdringlichkeit ist, daß ich an euch schreibe, ehe ich von euch das Recht zu schreiben erhalten habe, möchte ich lieber eurem Urteil als meiner Versicherung überlassen; denn eine zweifelhafte und verschleierte Sache vertraut man lieber einem guten Erklärer als einem schlechten Verteidiger an. Aber das kann nun wirklich so sein und von mir richtig so vermutet werden - trotzdem: wenn ihr glaubt, von mir hören zu müssen, was nach meiner geringen Einsicht als Wahrheit zu gelten habe, so meine ich : wenn einmal für die Geringen - wie meinesgleichen - ein heiliger Wetteifer herrscht, den Höheren gegenüber - wie euresgleichen - Dienste zu leisten, so handeln sie wohl besser, wenn sie mit dem Schreiben ihren Gönnern zuvorkommen, als wenn sie sich von diesen zuvorkommen lassen; denn da gerade die Stetigkeit im Schreiben und Wiederschreiben in allererster Linie ein wechselndes Schenken und Empfangen von Aufmerksamkeiten bedeutet, so ist es doch notwendigerweise viel unterwürfiger und aufmerksamer, wenn man sich Mühe gibt, seinen Dienst vorher zu erweisen, als darauf zu warten, daß man ihn erwiesen bekommt; nach dem oben Gesagten bedeutet ja Diensterweisung so viel wie Flucht vor einer Ehrung, Zurückhaltung aber eine Streberei. So handle ich ganz richtig und in vieler Hinsicht vernünftig, wenn ich zuerst an euch schreibe. Zunächst wäre es eine Schande, wollte ich, der Niedrigere, nach einer Ehrung zu geizen scheinen; ferner spricht euch euer würdiger Lebenswandel so sehr schon von jedem leisesten Hauch eines derartigen Vorwurfs frei, daß man glaubt, alles, ja S. 401 alles, was ihr tut, sei recht getan; und endlich: selbst wenn ihr in der Absicht nicht an mich geschrieben hättet daß ich - ein schwacher Sünder, der ich bin - eher einen Dienst erweisen, als ihn entgegennehmen müßte, - selbst dann muß man glauben, daß hier bei dieser Absicht eher eine Huld denn eine Anmaßung mitsprach. Ihr habt doch die Siegespalme der vollkommenen Demut und aller verdienstvollen Leistungen erlangt; man darf also nur glauben, daß es euch eher darum zu tun war, dem Freunde keine Last aufzulegen, als etwa ihm eine Ehre zu versagen! Gewiß, es ist ein ehrbares und frommes Streben, dem andern durch Demut zuvorzukommen und ihn so zu besiegen; wenn es sich aber um einen Unterschied handelt wie bei uns, also zwischen ganz hochgestellten Personen und einer ganz geringen, so begeht der Höhere eine ganz außerordentliche Liebestat, wenn er dem Geringeren zuliebe von einem Liebesdienst absieht. Das, meine verehrungswürdigen Herren, glaubte ich nach meiner ganz bescheidenen Meinung schreiben zu müssen, weniger auf Grund eines angemaßten Wissens, als vielmehr aus Ehrfurcht vor euch. Wenn ihr aber kundtut, daß ihr anderer Meinung seid, so will ich die Hand vor meinen Mund2 legen und nach dem Vorbild des frommen Job, der sich nach dem Ertönen der göttlichen Stimme gegenüber dem redenden Gott als klein und schwach erkannte, mich für schmutzigen Staub und unreine Asche halten und auch so heißen; sein Wort aber: „einmal3 habe ich geredet", - will ich gar nicht mehr hinzufügen. So ist es auch ganz in der Ordnung; denn vor der Erkenntnis des Wahren in den Irrtum einer falschen Meinung zu verfallen, verrät eine unerfahrene, einfältige Seele; nach der Erkenntnis aber im Irrtum zu verharren, ist eigensinniger Trotz. Lebet wohl! S. 402
