Zweiter Artikel. In Christo ist nur ein Sein.
a) In Christo ist ein zweifaches Sein. Denn: I. Damascenus (3. de orth. fide 18.) schreibt: „Was der Natur entspricht oder folgt, wird in Christo verzweifacht.“ Das Sein aber folgt der Natur als der Wesensform; und so ist in Christo ein zweifaches Sein. II. Das Sein des Sohnes Gottes ist die göttliche Natur, also ewig; das Sein des Menschensohnes ist zeitlich. Also ist da ein zweifaches Sein. III. In der Dreieinigkeit ist ein Sein wegen der einen Natur; in Christo also ist doppeltes Sein wegen der zwei Naturen. IV. Die Seele in Christo giebt ein gewisses Sein dem Körper; nicht aber ist dies das göttliche Sein. Also ist in Christo ein zweifaches Sein. Auf der anderen Seite richtet sich das Sein nach dem Einen. Wäre also in Christo ein zweifaches Sein, so wäre Christus nicht Einheit, fondern Zweiheit.
b) Ich antworte, was zur Natur in Christo gehört, müsse zweifach sein; was aber zur Person gehört, nur Eines. Nun gehört das Sein zur Natur als dem, wodurch etwas Sein hat; und es gehört zur Person als dem, was Sein hat. Denn die Natur ist wie eine Form, wodurch etwas geformt, d. h. thatsächlich wird; wie durch die weiße Farbe, als durch die Form, die Wand weiß ist; und durch das Menschsein ist jemand Mensch. Dabei ist jedoch zu erwägen, daß, wenn eine Form oder Natur besteht,welche zum persönlichen Sein des Fürsichbestehenden gehört, das dieser Form oder Natur entsprechende oder folgende Sein nicht das Sein der Person schlechthin ist, sondern nur nach einer gewissen Seite hin; wie z. B. das Weißsein nicht das Sein des Sokrates schlechthin ist, sondern nur nach der Seite der Farbe hin. Und derartiges Sein kann ganz gut vervielfacht werden in ein und derselben Person; denn z. B. ein anderes ist das Sein, wodurch Sokrates weiß ist, und ein anderes, wodurch er musikalisch ist. Jenes Sein aber, was zur Person an sich gehört und sie herstellt, kann nicht vervielfältigt werden in ein und derselben Person; denn unmöglich ist es, daß nicht ein und dasselbe fürsichbestehende Ding ein einiges Sein habe. Würde also die menschliche Natur mit dem Sohne Gottes verbunden, nicht in der Person sondern wie etwas in der Weise eines Zustandes oder einer Eigenschaft Hinzutretendes, was manche meinten, so müßte man ein zweifaches Sein in Christo annehmen: das eine, insoweit Er Gott ist, das andere, insoweit Er Mensch ist; wie in Sokrates ein anderes Sein jenes ist, wodurch er weiß und ein anderes, wodurch er Mensch ist, denn das Weißsein ist nicht von vornherein gegeben mit dem persönlichen Sein des Menschen; — einen Kopf aber haben, körperlich sein und beseelt sein, das Alles gehört zum einen persönlichen Sein des Sokrates. Aus diesem Allem also wird nur immer ein einziges Sein in Sokrates. Und sollte es sich ereignen, daß, nachdem die Person des Sokrates bereits ihren Bestand hat, Augen, Hände, Füße zu ihr hinzuträten, so würde von da her dem Sokrates kein anderes Sein zuwachsen, sondern eine Beziehung zu allem diesem; man würde nämlich sagen, daß er nun nicht allein gemäß dem sei, was er früher hatte, sondern auch gemäß dem, was zu ihm hinzugetreten; immer aber würde es das eine gleiche persönliche Sein des Sokrates bleiben. Wenn also auf diese Weise die menschliche Natur in der Person des göttlichen Wortes mit der göttlichen verbunden wird und nicht in der Weise eines Zustandes oder einer zum Wesen hinzutretenden Eigenschaft; so ist die Folge, daß gemäß der menschlichen Natur zum Sohne Gottes kein neues persönliches Sein hinzutritt, sondern nur eine neue Beziehung des vorherbestehenden persönlichen Seins zur menschlichen Natur; daß nämlich von jener Person man nun sagt, sie subsistiere nicht allein gemäß der göttlichen Natur, sondern auch gemäß der menschlichen.
c) I. Das Sein folgt der Natur wie dem wodurch etwas ist; es folgt der Person wie dem, was Sein hat. Also waltet das Sein vor gemäß der Einheit der Person vielmehr, als es ein zweifaches Sein da giebt gemäß der Zweiheit der Natur. II. Das ewige Sein des Sohnes Gottes, was da ist die göttliche Natur, wird das Sein des Menschen, insoweit die menschliche Natur angenommen wird in die Einheit der Person des Sohnes Gottes. III. Weil die göttliche Person dem thatsächlichen Sein nach Ein und dasselbe ist mit der göttlichen Natur, so ist in den göttlichen Personen kein anderes persönliches Sein außer dem Sein der Natur; und sonach haben die drei Personen nur ein Sein. Es wäre daselbst ein dreifaches Sein, wenn das persönliche Sein ein anderes sein würde wie das der Natur. IV. Die Seele in Christo giebt dem Körper Sein, insofern sie denselben zu einem thatsächlich belebten macht; und das ist nichts Anderes wie ihm die Vervollständigung seiner Natur und Gattung geben. Wenn aber auch der Körper aufgefaßt wird als vollendet durch die Seele, jedoch mandabei von der Person absieht, die Beides trägt, so ist dieses ganze aus Leib und Seele Zusammengesetzte, wie es unter dem Namen „Menschsein“ ausgedrückt wird, noch nicht das, was da ist, sondern bleibt immer nur Natur, d. h. es ist, wodurch etwas ist. Das thatsächliche Sein der Existenz also gehört immer der fürsichbestehenden Person an, gemäß dem daß sie Beziehung hat zu einer solchen Natur; und von dieser Beziehung die Ursache ist die Seele, insoweit sie vervollständigt die menschliche Natur dadurch daß sie den Körper formt.
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