Erster Artikel. Gründe dafür, daß Christus von einer ehelich verlobten Jungfrau geboren werden wollte.
a) Es scheint, das hätte nicht sein sollen. Denn: I. Eine solche Verlobung hat von Natur als Bestimmung das geschlechtliche Zusammenleben. Letzteres aber wollte Maria nie. Also durfte sie nicht sich ehelich verloben. II. Die Geburt Christi aus einer Jungfrau war ein Wunder. Deshalb sagt Augustin (ad Volus. ep. 137.): „Die göttliche Kraft selber hat durch die unverletzte Jungfräulichkeit der Mutter die Glieder des Kindes herausgeführt; und diese selbe göttliche Kraft hat die Glieder des Mannes durch verschlossene Thüren hineingeführt. Soll da der Grund erforschtwerden, so wäre es ja kein Wunder mehr; soll ein Beispiel davon genannt werden, so wäre es nicht mehr etwas einzig Dastehendes.“ Wunder aber geschehen zur Bekräftigung des Glaubens; und sonach müssen sie offen vorliegen und nicht wie hier durch die eheliche Verlobung verhüllt sein. III. Als Ursache dieser ehelichen Verlobung giebt Ignatius, der Märtyrer, an; damit „die Geburt dem Teufel verborgen werde, der meinte, nicht von einer Jungfrau, sondern von einer Ehefrau sei das Erzeugte“. Das ist aber gar nichts; denn dem Teufel ist alles Körperliche bekannt und ferner haben später an augenscheinlichen Wundern die Teufel Christum erkannt, wie aus Mark. 1, 24. hervorgeht: „Was ist uns mit Dir, Jesus von Nazareth: Du kommst vor der Zeit, uns zu quälen. Ich weiß, Du bist der Heilige Gottes.“ IV. „Daß sie nicht als Ehebrecherin von den Juden gesteinigt würde,“ führt Hieronymus (sup. Matth. 1.) als Grund an. Aber das ist wieder nichts. Denn wäre sie nicht ehelich verlobt, so könnte sie nicht als Ehebrecherin gesteinigt werden. Auf der anderen Seite steht die Autorität der Schrift (Matth. 1, 18. und Luk. 1, 26.).
b) Ich antworte, daß Christus von einer ehelich verlobten Jungfrau geboren wurde, war zukömmlich mit Rücksicht auf Christum, auf die Mutter Gottes, auf uns. Aus vier Gründen war dies zukömmlich mit Rücksicht auf Christum: 1. Damit Er nicht wie ein unehelich geborener von den Juden verworfen würde; weshalb Ambrosius sagt (sup, Luc. 1. in mense sexto): „Wer könnte dem Herodes, wer den Juden etwas anhaben, wenn sie den Anschein hätten, einen, der ehebrecherisch gezeugt ist, zu verfolgen?“; — 2. damit in gewöhnlicher Weise sein Geschlechtsregister in männlicher Linie verzeichnet werde, nach Ambrosius (l. c.): „Wer in die Zeit kam, mußte der Gewohnheit der Zeit nach in den Registern aufgeschrieben werden . . . Die Gewöhnheit der heiligen Schrift belehrt uns, welche immer nach dem Ursprünge des Mannes fragt;“ — 3. damit der geborene Knabe einen natürlichen Schutz habe und der Teufel nicht heftiger gegen Ihn Unheil suche; weshalb oben Ignatius seinen Grund angiebt; — 4. damit Er von Joseph genährt würde, weshalb dieser auch Nährvater Jesu heißt. Aus drei Gründen war das Nämliche zukömmlich mit Rücksicht auf Maria: 1. „Damit sie nicht als Ehebrecherin gestraft werde,“ wie Hieronymus sagt; — 2. damit sie so in keinen schlechten Ruf komme, wie Ambrosius schreibt (I. c.): „Sie war verlobt, damit sie nicht die Schande einer versehrten Jungfrau trage;“ — 3. damit Jofeph ihr ein natürlicher Beistand sei. Aus fünf Gründen war es für uns gut: 1. Damit durch das Zeugnis des heiligen Joseph es bekräftigt erscheine, Christus sei von einer Jungfrau geboren, wonach Ambrosius schreibt: „Ein recht zuverlässiger Zeuge jungfraulicher Scham ersteht daraus, welchen das ihm angethane Unrecht schmerzen und der die Schande rächen könnte, wenn er nicht das Geheimnis anerkannte;“ — 2. damit die Worte der Jungfrau-Mutter um so glaubwürdiger seien, wenn sie selbst ihre Jungfrauschaft bekennt, so daß Ambrosius schreibt: „Den Worten Marias wird dadurch mehr Glaubwürdigkeit gewonnen und die Ursache der Lüge entfernt. Denn es würde scheinen, als ob sie durch die Lüge ihre Schuld verhüllen wollte, wenn sie als unverheiratete schwanger wäre. Eine Ursache zu lügen aber hatte sie als verheiratet nicht, da derLohn einer Ehe und die Annehmlichkeit einer Heirat ist das aus der Frau Geborene,“ welche zwei Dinge unseren Glauben stärken; — 3. damit den Jungfrauen eine Gelegenheit sich zu entschuldigen genommen werde, wenn sie aus Unvorsichtigkeit die Schande nicht vermeiden; „es schickte sich nicht,“ so Ambrosius, „daß den Jungfrauen der Schatten einer Entschuldigung gelassen werde, als ob ja die Mutter des Herrn auch unter der Schande gelitten hätte;“ — 4. damit dadurch ein Bild für die Kirche gegeben sei, welche „Jungfrau ist und verlobt einem Manne (Christo)“, wie Augustin sagt (1. de virginit. 12.); — 5. damit in ihrer Person der jungfräuliche, der eheliche und der Witwenstand geehrt würde gegenüber den Häretikern, die den einen oder den anderen verkleinern wollten.
c) I. Aus Antrieb des heiligen Geistes hat Maria sich ehelich verloben wollen, fest im Vertrauen auf die Hilfe Gottes, daß es nie zu einer fleischlichen Verbindung kommen werde; sie überließ dies Alles dem göttlichen Ratschlüsse, so daß ihre Jungfrauschaft in nichts Schaden genommen hat. II. Nach Ambrosius „wollte der Herr weit mehr, daß man an seinem göttlichen Ursprunge als an der Ehre seiner Mutter zweifle. Denn Er wußte, zart sei die Schamhaftigkeit der Jungfrau und leicht falle ein Schatten auf den guten Ruf; er wollte nicht den Glauben an seine Herkunft aufbauen auf der Schande seiner Mutter“. Indessen muß man zudem wissen, daß einige Wunder es giebt, die Gegenstand des Glaubens sind, wie die wunderbare jungfräuliche Geburt, die Auferstehung, das Altarssakrament; und diese sollten nach dem Willen des Herrn mehr verborgen sein, damit der Glaube verdienstvoller wäre; — andere Wunder aber giebt es, die zur Bekräftigung des Glaubens dienen; und diese mußten offenbarer sein. III. Nach Augustin (3. de Trin. 7.) vermag wohl der Teufel Vieles kraft seiner Natur; es beschränkt ihn aber auch darin die Kraft Gottes. Und so konnte er kraft seiner Natur erkennen, daß Maria Jungfrau sei; aber er konnte von seiten Gottes verhindert werden, die Art und Weise zu wissen, wie die Geburt des ewigen Wortes vor sich gegangen. Daß er aber nachher in etwa den Sohn Gottes erkannte, hat hier nichts zu sagen; denn es war die Zeit, daß Christus gegen den Teufel seine Macht zeigte und Verfolgungen von ihm gegen Sich zuließ. In der Kindheit wollte Jesus weder seine Kraft zeigen noch hatte Er beschlossen zu leiden, sondern Er wollte anderen Kindern in Allem ähnlich sein; deshalb mußte in dieser Zeit die Bosheit des Teufels gehindert werden, daß er nicht heftiger das göttliche Kind wüte. Danach sagt Leo der Große (de epiph. 4.): „Sie fanden und beteten an den Knaben klein an Umfang, bedürftig fremder Hilfe, unfähig zu sprechen und in nichts den anderen Kindern unähnlich.“ Ambrosius aber bezieht dies auf die Glieder des Teufels. Denn nachdem er diesen Grund, den Fürsten der Welt zu täuschen, aufgestellt, fügt er hinzu: „Aber er täuschte noch viel mehr die Fürsten dieser Zeit. Denn der Teufel Bosheit erfaßt leicht auch das Verborgene; wer jedoch mit zeitlichen Eitelkeiten sich abgiebt, kann Göttliches unmöglich wissen.“ IV. Nicht allein die verheiratete wurde nach dem Gesetze gesteinigt, wenn sie die Ehe brach; sondern auch die Jungfrau, die im Hause des Vaters behütet wurde, damit sie einmal heirate. Deshalb heißt es Deut. 22.: „Wenn in einem Mädchen nicht die Jungfräulichkeit gefunden worden ist, so sollen sie steinigen die Männer dieser Stadt und sie soll sterben; denn einen Greuel hat sie begangen in Israel, daß sie Unkeuschheit verübte im Hause ihres Vaters.“ Oder man kann sagen, daß Maria von der Familie Aarons war, und somit eine verwandte Elisabeths. Eine Jungfrau aber von priesterlichem Geschlechte ward wegen Unzucht gesteinigt, nach Lev. 21.: „Die Tochter eines Priesters, wenn sie auf der Unzucht ertappt wird und mit Schande bedeckt den Namen ihres Vaters, soll verbrannt werden.“
