5.
Ich bedauere es, daß wir so wenig Vertrauen auf Gott und so viel Eigenliebe haben, daß uns diese Sorgen beunruhigen. Aber es ist einmal so: wo der Geist noch so wenig fortgeschritten ist wie hier, da machen uns Kleinigkeiten so viel zu schaffen als anderen große und wichtige Dinge. Und dabei lebt in unserem Gehirn die Einbildung, als führten wir ein geistliches Leben! Eine solche Handlungsweise kommt mir im Augenblicke vor, als wollten Leib und Seele ein gegenseitiges Übereinkommen treffen, um hier die Ruhe nicht zu verlieren und doch auch jenseits Gott zu genießen. Allerdings werden wir auch so dahin gelangen, wenn wir nur gerecht und tugendhaft leben; aber das sind nur Hühnerschritte, mit welchen man nimmermehr zur Freiheit des Geistes gelangt. Eine solche Lebensweise scheint mir für Personen verheirateten Standes, die nach ihrem Berufe leben müssen, sehr gut zu sein; aber für Personen eines anderen Standes wünsche ich diese Art des Fortschreitens durchaus nicht. Es wird mir auch niemand den Glauben beibringen, daß diese gut sei; denn ich kenne sie aus der Erfahrung. Noch immer würde ich auf diesem Wege wandeln, hätte mir der Herr in seiner Güte nicht einen andern gezeigt. Zwar hatte ich mich immer mit hohen Begierden getragen; allein mein Bestreben ging, wie schon gesagt, bloß dahin, das Gebet zu üben und im übrigen nach meinem Gefallen zu leben. Hätte ich jemand gehabt, der mich angetrieben hätte, höher zu fliegen, ich glaube, ich würde mich beflissen haben, jene Begierden in Ausführung zu bringen. Aber um unserer Sünden willen sind die Seelenführer, die in dieser Hinsicht nicht mit übertriebener Vorsicht zu Werke gehen, so selten und so gezählt, daß dies meines Erachtens viel dazu beiträgt, wenn die Anfänger nicht schon in kürzerer Zeit zu großer Vollkommenheit gelangen. Der Herr läßt es an sich niemals fehlen, und an ihm liegt die Schuld nicht; aber wir lassen es fehlen, wir sind die Elenden.
