2.
Ich habe darüber nachgedacht, warum der Herr sich über so hohe und dunkle Dinge nicht näher erklärt habe, so daß wir alle sie verstehen könnten. Da schien mir, der Herr habe dieses Gebet, das für alle ohne Unterschied dienen sollte, deshalb so dunkel gelassen, daß ein jeder in der Meinung, er lege es im rechten Sinne aus, nach seinen Bedürfnissen bitten und Trost darin finden möge. Es können also die Beschaulichen, die nichts Irdisches mehr verlangen, und jene, die sich schon ganz Gott hingegeben haben, in diesem Gebete um jene himmlischen Gnaden bitten, die durch Gottes große Güte auf Erden verliehen werden. Die Weltleute aber können ebenfalls in diesem Gebete auch um ihr Brot zu ihrem und ihrer Angehörigen Lebensunterhalt sowie nach ihren Bedürfnissen um andere Dinge bitten; denn sie sollen billigerweise nach ihrem Stande leben, und solch ein Bitten ist für sie ganz recht und billig. Sie dürfen jedoch nicht außer acht lassen, daß die Hingabe unseres Willens an Gott und die Verzeihung zwei Punkte sind, die alle zu erfüllen haben. Gleichwohl gibt es auch hier, wie gesagt, ein Mehr und ein Weniger. Die Vollkommenen geben ihren Willen vollkommen hin und verzeihen auch in so vollkommener Weise, wie ich bereits gesagt habe. Wir, meine Schwestern, wollen tun, was in unseren Kräften steht, da der Herr alles annimmt. Denn es scheint, der Sohn gehe in diesem Gebet in unserem Namen mit seinem ewigen Vater eine Art von Vertrag ein und sage gleichsam zu ihm: »Herr, tue dieses, und meine Brüder werden jenes tun!« Gott aber wird es auf seiner Seite gewiß nicht fehlen lassen. O er ist ein sehr guter Zahler und vergilt ohne Maß.
