6.
Diese Wahrheit stellt sich ihren Augen dar; darum lachen sie über sich selbst, wenn sie an die Sorge denken, die sie ehedem beherrschte, ob ihre Liebe vergelten werde oder nicht. Denn wenn auch die Liebe eine gute ist, so ist uns doch der Wunsch sehr natürlich, daß sie (durch Gegenliebe) vergolten werde. Haben wir aber diesen Lohn erhalten, so müssen wir gestehen, daß er nicht mehr wert ist als Spreu; denn alles ist nur Wind und ohne Gehalt und wird vom Sturme verweht. Oder was bleibt uns am Ende davon? Daher ist es jenen vollkommenen Seelen gleichgültig, ob sie geliebt werden oder nicht, außer von solchen Personen, die, wie gesagt, ihrer Seele nützen können, weil sie die Schwachheit unserer Natur kennen, die bald ermüdet, wenn sie keine Liebe findet. Meint ihr aber, solche Seelen liebten selbst niemand und könnten niemand lieben außer Gott allein? Da würdet ihr euch irren. Sie lieben (den Nächsten) weit mehr; sie lieben ihn mit einer aufrichtigeren, feurigeren und nützlicheren Liebe, kurz, mit einer Liebe, die wirklich Liebe ist. So sind sie denn auch immer mehr geneigt zu geben als zu empfangen, und dies selbst dem Schöpfer gegenüber. Eine solche Liebe, sage ich, verdient es, Liebe genannt zu werden; jene niedrigen Zuneigungen dagegen tragen diesen Namen nur in angemaßter Weise.
