7. Kap. Die damaligen Führer der falschen Gnosis.
Während so die über den Erdkreis sich ausbreitenden Kirchen gleich herrlich glänzenden Gestirnen leuchteten und der Glaube an unseren Erlöser und Herrn Jesus Christus siegreich zu allen Völkern drang, nahm der dem Guten abholde Teufel als Feind der Wahrheit und ständiger bitterster Gegner der menschlichen Erlösung, im Kampfe gegen die Kirche alle möglichen Mittel ausnützend, nachdem er es dereinst mit äußeren Verfolgungen gegen sie versucht hatte, jetzt aber dieser Kampfmittel beraubt, schlimme, trügerische Menschen als seelenvernichtende Werkzeuge und als Knechte des Verderbens in seine Dienste. Der Teufel ging neue Wege; nichts ließ er unversucht. Falsche, verführerische Männer sollten sich unseren christlichen Namen aneignen, um einerseits die von ihnen eingefangenen Gläubigen in den Abgrund des Verderbens zu stürzen und anderseits solche, die unseren Glauben nicht kannten, durch ihr äußeres Auftreten vom Wege zur Heilslehre abzuhalten. Von jenem Menander, den wir bereits weiter oben1 als Nachfolger Simons bezeichnet haben, ging eine doppelzüngige, zweiköpfige, schlangenartige Kraft aus, welche Satorninus aus Antiochien und S. 162 Basilides aus Alexandrien als Häupter zweier verschiedenartiger Häresien aufstellte. Der eine von ihnen gründete in Syrien, der andere in Ägypten gottlose Ketzerschulen. Wie Irenäus2 mitteilt, trug Satorninus in den meisten Punkten die gleiche falsche Lehre wie Menander vor und dehnte Basilides, tiefe Geheimnisse versprechend, mit Hilfe von selbst erdichteten Wundergeschichten seine gottlosen ketzerischen Erfindungen ins Unendliche aus. Von den zahlreichen Kirchenmännern, die zu jener Zeit für die Wahrheit kämpften und mit Vernunftgründen für die apostolische und kirchliche Lehre eintraten, gaben nunmehr einige in ihren Schriften den späteren Generationen auch Heilmittel gegen diese erwähnten Irrlehren in die Hand. Von diesen ist die treffliche „Widerlegung des Basilides“, von Agrippa Kastor, einem damals hochgeschätzten Schriftsteller, verfaßt,3 auf uns gekommen; dieselbe läßt erkennen, wie schlimm der Betrug jenes Mannes gewesen war. Kastor deckt die Geheimnisse des Basilides auf und teilt hierbei mit, derselbe habe 24 Bücher über das Evangelium geschrieben4 und sich selbst Propheten wie Barkabbas und Barkoph und noch einige andere, die gar nicht existiert hätten, erdichtet und ihnen, um auf leicht erregbare Leute Eindruck zu machen, barbarische Namen beigelegt. Auch habe er gelehrt, es sei kein (moralischer) Unterschied zwischen denen, die den Götzen geopfertes Fleisch genießen, und denen, die in Zeiten der Verfolgung leicht- S. 163 sinnig ihren Glauben verleugnen, und habe nach Art der Pythagoreer seinen Anhängern ein fünfjähriges Schweigen auferlegt. Der erwähnte Schriftsteller zählte noch andere ähnliche Lehren des Basilides auf und stellte den Irrtum der genannten Häresie meisterhaft ans Licht. Wie Irenäus5 berichtet, lebte zu gleicher Zeit Karpokrates, der Vater einer anderen Sekte, nämlich der sog. Gnostiker. Diese wollten ihre magischen Künste nicht mehr wie Simon im geheimen, sondern bereits öffentlich ausüben und waren geradezu stolz auf ihre mit viel Umständlichkeit hergestellten Tränke und ihre betäubenden, schützenden Geister und andere ähnliche Erziehungsfaktoren. Im Anschluß an diese müßten — solehrten sie — diejenigen, welche in die Tiefe ihrer Geheimnisse oder vielmehr ihres schmutzigen Systems eindringen wollen, alle möglichen häßlichen Schandtaten vollbringen; denn nur dadurch könnten sie den sog. weltlichen Mächten entrinnen, daß sie jeder derselben in geheimen Handlungen den notwendigen Tribut zahlten.6 Solcher Leute bediente sich der schadenfrohe Teufel, um einerseits die von ihnen Verführten erbarmungslos dem Verderben auszuliefern und anderseits den ungläubigen Heiden Anlaß zu geben, die göttliche Lehre zu schmähen. Dadurch vor allem entstand bei den Ungläubigen der gottlose und äußerst unsinnige Verdacht, wir hätten mit Müttern und Schwestern unerlaubten Umgang und würden wüste Speisen genießen. Doch nicht lange hatte der Teufel solche Erfolge zu verzeichnen. Denn die Wahrheit empfahl sich durch sich selbst und leuchtete in dem folgenden Zeitalter zu herrlichem Lichte auf. Durch ihre Kraft brachen rasch die Angriffe der Feinde zusammen. Da stets neue Häresien ersonnen wurden, siechten die S. 164 früheren immer wieder dahin, zerbröckelten und zerspalteten sich und gingen bald auf diese, bald auf jene Weise ein. Die herrliche katholische und allein wahre Kirche aber, die sich stets in allem gleich bleibt, wuchs und gedieh und ließ vor allen griechischen und barbarischen Völkern ihre Würde, Tadellosigkeit und Vornehmheit und die Weisheit und Reinheit ihres göttlichen Lebens und ihrer göttlichen Lehren leuchten. Mit der Zeit hörte man auch nichts mehr von den gegen die ganze Kirche ausgestreuten Verleumdungen. Und so kam unsere Lehre allein überall zur Macht und genoß sie überall wegen ihrer Erhabenheit und Weisheit und wegen ihrer göttlichen, philosophischen Grundsätze größtes Ansehen. Daher wagte es bis auf unsere Zeit niemand mehr, gegen unseren Glauben solche Schmähreden und Verleumdungen auszusprechen, wie sie seinerzeit in den Kreisen unserer Gegner üblich waren. Übrigens ließ die Wahrheit zu jener Zeit wieder mehrere ihrer Anwälte auftreten, welche nicht nur in mündlichen Darlegungen, sondern auch in schriftlichen Begründungen gegen die gottlosen Häresien zu Felde zogen.
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III 26 (S. 135). ↩
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Gegen die Häres. I 24, 1. 3. ↩
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Diese älteste Schrift gegen Basilides ist verloren. Für die Beurteilung der literarischen Tätigkeit des Basilides kommen vor allem noch die meist bei Klemens von Alex. erhaltenen Fragmente seiner Schrift in Betracht. ↩
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Dieselben sind verlorengegangen. Klemens von Alex. betitelt sie Ἐξηγητικά und bringt mehrere Zitate in Strom. IV 12, 81 ff. Vgl. Zahn, „Gesch. des neutestamentl. Kanons“ I (1888—1889) S. 763—774: „Basilides und die kirchliche Bibel“ ; H. Windisch, „Das Evangelium des Basilides“, in Zeitschrift f. d. neutestamentl. Wiss. 7 (1906) S. 236—246. ↩
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Gegen die Häres. I 25, 1. 6. 3. 4. ↩
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Bezüglich der ältesten gnostischen Bewegungen vgl. E. de Faye, „Gnostiques et gnosticisme. Étude critique des documents du gnosticisme chrétien aux IIe et IIIe siècles », in Bibl. de l’École des hautes études. Sciences réligieuses 27 (Paris 1913). ↩