3.
Denn die Seele schwang sich empor und weilt gerne in ihrer wahren Heimath und verkehrt in unkörperlicher Weise mit Dem, was ihr ähnlich ist. Der Leib aber, ihr ehrwürdiges und unbeflecktes Werkzeug, der in keiner Weise durch seine Leidenschaften die Unbeflecktheit der in ihm wohnenden Seele verletzt hat, ruht, mit großer Ehre und Hochachtung beigesetzt, würdevoll an heiliger Stätte, gleich einem Schatze von hohem Werthe für die Zeit der Wiedergeburt aufbewahrt. Und er hat viele Vorzüge vor den übrigen Leibern, die durch den gemeinen und gewöhnlichen Tod ihre Auflösung fanden, und zwar ungeachtet des gleichen Stoffes der Natur. Denn sonst werden die Überreste verabscheut und Niemand geht gerne an einem Grabe vorbei, oder, wenn er unverhofft auf ein offenes stößt und seinen Blick auf die Häßlichkeit seines Inhaltes wirft, so eilt er mit lauter Eckel erfüllt und unter schweren Seufzern über die Menschheit daran vorüber. Wenn er aber an so einen Ort sich begibt, wie der ist, an dem wir uns heute versammelt haben, wo sich das Andenken und die heiligen Überreste eines Heiligen befinden, so wird er zuerst durch die Großartigkeit des Anblicks angezogen, indem er ein Haus sieht wie einen Tempel Gottes, glänzend ausgestattet durch die Größe des Baues und die Schönheit des Schmuckes, wo auch der Zimmermann das Holz zur Gestalt lebender Wesen verarbeitet und der Steinhauer bis zur Glätte des Silbers die Steinplatten geglättet hat. Auch der Maler hat der Zierde seiner Kunst in Farben Ausdruck gegeben und in einem Gemälde die Heldenthaten des Martyrers, seinen Widerstand, seine Schmerzen, die wilden Gestalten der Tyrannen, die Mißhandlungen, jenen feurigen Ofen, die seligste Vollendung des Kämpfers, den Ausdruck der menschlichen Gestalt des Kampfrichters Christus dargestellt. Indem er uns wie S. 494 in einem erklärenden Buche in Farben Alles künstlich darstellte, zeigte er uns deutlich die Kämpfe des Martyrers und schmückte den Tempel gleich einer schönen Wiese. Denn es pflegt auch ein stummes Gemälde an der Wand zu reden und den größten Nutzen zu gewähren. Und der die Steinchen zusammensetzte, machte den Boden, der von den Füßen betreten wird, zu einer geschichtlichen Darstellung.
Wenn er nun in dieser Weise an den sinnlich wahrnehmbaren Kunstwerken sein Auge geweidet hat, wünscht er sofort auch dem Schranke nahe zu treten, indem er glaubt, daß die Berührung Heiligung und Segnung sei. Und läßt man ihn Staub mitnehmen, wie er an der Einfassung seiner Ruhestätte sich gelagert hat, so wird der Staub als Geschenk betrachtet und die Erde wie ein Schatz aufbewahrt. Daß aber die Berührung der Überreste selbst, wenn sie einmal durch irgend einen glücklichen Zufall möglich wird, sehr erwünscht und die Befriedigung des höchsten Verlangens ist, das wissen Die, welche es erfahren und diese Sehnsucht gestillt haben. Denn wie wenn der Körper noch lebte und blühte, so umfangen ihn Die, welche ihn sehen. Sie nähern sich ihm mit den Augen, dem Munde, den Ohren, mit allen Sinneswerkzeugen, vergießen dann über dem Martyrer, wie wenn er sich noch in unverändertem Zustande zeigte, Thränen der Verehrung und des Schmerzes, flehen ihn an um seine Fürsprache, indem sie als zum Leibwächter Gottes zu ihm beten und ihn anrufen, weil er die Gaben erlange, wann es ihm beliebe. Aus all dem lerne, o heiliges Volk, daß vor dem Herrn kostbar der Tod seiner Heiligen ist.1 Denn ein und denselben Körper haben alle Menschen, der aus einer Masse seine Bildung erhalten hat. Aber Der, welcher in gewöhnlicher Weise stirbt, wird, wie es sich gerade trifft, hingeworfen. Der aber durch den erlittenen Martyrtod begnadigt ist, erscheint so reizend und wird so gesucht, S. 495 wie wir soeben gezeigt haben. Deßhalb wollen wir wegen des Sichtbaren an das Unsichtbare glauben und wegen der Erfahrung in der Welt an die Verheissung der Zukunft. Denn Viele, die den Bauch und den eitlen Ruhm und den irdischen Unrath Allem vorziehen, halten die Zukunft für Nichts und meinen, daß mit dem Ende des Lebens Alles vorbei sei. Aber du, der du so denkst, erkenne aus dem Kleinen das Große, schließe vom Schatten auf das Urbild. Welchem König wird eine solche Ehre zu Theil? Welcher von den hervorragenden Menschen wird durch ein solches Andenken verherrlicht? Welcher von den Feldherren, die befestigte Städte einnahmen und unzählige Volksstämme unterwarfen, ist so gefeiert wie dieser arme und neugeworbene Soldat, den Paulus mit Waffen ausgerüstet, den die Engel zum Kampfe gesalbt und Christus nach errungenem Siege gekrönt hat?
Wollen wir aber, da ich in meiner Rede zu den Kämpfen des Martyrers gekommen bin, nunmehr lieber von allgemeinen Bemerkungen abstehen und ausschließlich uns mit dem Heiligen befassen! Denn Jedermann liebt das Besondere.
Ps. 115, 6 [hebr. Ps. 116, 15]. ↩
