5.
Der Zorn darf uns so wenig wie ein wildes Tier, die Zunge so wenig wie ein scharfes Schwert etwas anhaben. Die Sinnlichkeit wollen wir wie ein Feuer auslöschen! Den Ohren wollen wir Türen geben, die zur rechten Zeit geöffnet und verschlossen werden! Die Lust der Augen wollen wir bezähmen! Die unbändigen Gefühle und die Gier des Gaumens wollen wir in Zucht halten, damit nicht „der Tod einsteige durch unsere S. 262 Fenster1“; mit diesem Worte sind nämlich meines Erachtens unsere Sinne gemeint. Ausgelassenes Lachen wollen wir verachten! In der Not wollen wir nicht vor Baal unser Knie beugen und in der Angst nicht ein goldenes Bild anbeten! Nur davor wollen wir uns fürchten, daß wir irgend etwas noch mehr als Gott fürchten und daß wir sein Abbild durch eine Sünde entehren. Immer wollen wir „den Schild des Glaubens ergreifen und allen Geschoßen des Bösen2“ entrinnen! Auch hier gibt es gewaltige Kriege, große Schlachten und herrliche Siege. Wenn wir in dieser Absicht uns versammelt haben und hierher geeilt sind, dann begehen wir das Fest wahrlich im Geiste Christi, dann sind die Märtyrer tatsächlich von uns geehrt, bzw. werden sie von uns geehrt werden, und wir feiern wahre Triumphe. Wenn wir aber zusammenkommen, um der Gaumenlust zu frönen, eitle Freuden zu genießen und wertlose Opfer zu bringen, wenn wir meinen, hier sei nicht eine Stätte der Enthaltsamkeit, sondern eine Stätte des Sinnentaumels und jetzt sei eine Zeit zu Handel und zu Geschäften, nicht aber eine Zeit zur geistigen Erhebung und ― um ein kühneres Wort zu gebrauchen ― zur Vergöttlichung3, welche uns die Märtyrer vermitteln, dann muß ich zunächst bemerken: Ich anerkenne einen solchen Zweck des Tages nicht. Was hat denn die Spreu mit dem Weizen zu tun? Wie paßt denn Weichlichkeit des Fleisches zu dem Ringen der Märtyrer? Das eine gehört ins Theater, das andere in meine Versammlungen; das eine ist Zeichen ausgearteter Menschen, das andere Zeichen gesitteter Menschen; das eine verrät Fleischesliebe, das andere Loslösung vom Fleische. Sodann möchte ich aber noch einen kühneren Einwand erheben. Doch mit Rücksicht auf die Würde des Tages will ich von schärferen Worten abstehen. Die Märtyrer ― um mich recht vorsichtig auszudrücken ― verlangen doch nicht solche Dinge von uns.
