§ 3.
Definition von „Hierarchie“ überhaupt und von der „Kirchlichen Hierarchie“ im besondern. Die Eigentümlichkeiten der letztern betreffen 1) den Hierarchen selbst in seiner erhabenen Berufsstellung als Haupt der einzelnen Hierarchie (der kirchlichen Gemeinde); 2) den letzten Urgrund der Hierarchie, die heiligste Dreifaltigkeit und ihren gütigen Willen, uns zum Heile zu führen; 3) die Stufen dieses Heilsprozesses oder der Vergöttlichung, nämlich die Abkehr vom Gottfremden, das richtige Beurteilen der Dinge nach ihrem eigentlichen Werte, die Einsicht in die heiligen Schriften, die innerliche Umgestaltung zum Bilde Gottes nach dem Einen hin, endlich die genußvolle Betrachtung des Göttlichen.
Hierarchie im allgemeinen ist, gemäß unserer ehrwürdigen Überlieferung, das Gesamtsystem der vorhandenen Heilsmomente, der umfassendste Inbegriff der heiligen Dinge dieser oder jener Hierarchie. Unsere (kirchliche) Hierarchie nun ist und heißt jene die Gesamtheit der eigentümlichen Heilsmittel umfassende Anstalt, in welcher (zunächst) der göttliche Hierarch zur Vollkommenheit gelangt und an all dem Hochheiligen, das zu seinem Amte gehört, Anteil haben wird. Trägt er ja seinen Namen von der Hierarchie1. Wie man nämlich mit dem Worte Hierarchie in gemeinsamer Zusammenfassung die Veranstaltung aller Heilsmittel bezeichnet, so bedeutet der Name Hierarch den gotterfüllten, göttlich erhabenen Mann, der alles hierarchischen Wissens kundig ist und in welchem auch die S. 96 ganze ihm unterstehende Hierarchie als in ihrer reinen Spitze kulminiert und erkannt wird2.
Den Ausgangspunkt dieser Hierarchie bildet die Quelle des Lebens, die wesenhafte Güte, die eine Trias, welche aller Dinge Ursache ist, von der sie durch Güte nicht bloß das Dasein sondern auch das glückliche Dasein haben. Diese über alles erhabene, urgöttliche Seligkeit der dreifältigen Monas, welcher das Sein im eigentlichen Sinn zukommt, hat, uns zwar nicht faßbar aber ihr selbst bewußt, die geistige Wohlfahrt unserer Natur wie der über uns stehenden Wesen zum Gegenstand ihres Wollens. Es kann aber unsere Wohlfahrt auf keine andere Weise erfolgen als durch die Vergöttlichung der Geretteten. Vergöttlichung hinwieder ist das höchstmögliche Ähnlich- und Einswerden mit Gott. Überhaupt ist dies das gemeinsame Ziel jeder Hierarchie: die ununterbrochene Liebe zu Gott und zu göttlichen Dingen, welche auf Gott fußend und in der Tendenz nach dem Einen sich heilig auswirkt, zuvörderst aber die vollständige und unwiderrufliche Abkehr vom Gegenteil, die Kenntnis der Dinge nach ihrem eigentlichen Sein, das Schauen und Verstehen der heiligen Wahrheit, die gotterfüllte Teilnahme an der eingestaltigen Vollendung, ja an dem Einen selbst, soweit es möglich ist, der süße Genuß der Betrachtung, welcher jeden zu ihr erhobenen Jünger geistig nährt und vergöttlicht3.
„ὡς ἱεραρχίας ἐπώνυμος“. Der antike Terminus ἐπώνυμος (ἄρχων) bezeichnet den Vorsitzenden im Archontenkollegium, nach welchem das laufende Jahr benannt wurde. Es widerstreitet aber dem Ausdruck auch nicht der andere Sinn, der nach dem Zusammenhange hier gefordert ist, nämlich, daß vom Amt der Name auf den Träger desselben übergeht. ↩
Vgl. hiezu 1. Timoth. 8, 2; Tit. 1, 7 über das Idealbild eines Bischofs. Unter den heiligen Vätern ist es besonders Ignatius von Antiochien, der in seinen Briefen in den sublimsten Zügen das bischöfliche Amt charakterisiert. Die Nachwirkung davon tritt bei späteren allenthalben hervor, so z. B. in den Apostol. Konstitutionen, wo 2, 26 vom Bischof kühn gesagt ist: θεὸς ἐπίγαιος μετὰ θεόν „nächst dem Gott (im Himmel) ein (zweiter) Gott auf Erden“. ↩
An dieser und unzähligen andern Stellen spricht D. von der Vergottung vermittels der Einswerdung mit Gott (ἕνωσις) als dem letzten Ziel der Mystik. Die biblische Grundlage bot 2. Petr. 1, 4; Joh. 11, 61; 17, 20—23, auf welcher schon Clemens v. Al. weiterbaute. Er sagt z. B. cohort, 9 (M. 8, 200 B) εἰς μίαν ἀγάπην συναχθῆναι … κατὰ τὴν τῆς μοναδικῆς οὐσίας ἕνωσιν; vgl. strοm. 4, 25 (M. 8, 1365 B) μοναδικὸν γενέσθαι κτλ. und ähnlich strom. 6, 2; 6, 25). Gregor von Naz. sagt or. 30, 6 (M. 36, 112 B) ὅταν μηκέτι πολλὰ ὦμεν … ὅλοι θεοειδεῖς und ähnlich an andern Stellen. Ganz und gar ist aber auch das System des Proklus von dieser Idee beherrscht, daß man dem Einen (τὸ ἕν) gleichförmig (ἑνιαῖον) und mit ihm verbunden sein (ἡνωμένον) müsse. Der Gegensatz, die „Vielheit“, geht auf die divergierenden Leidenschaften, Bestrebungen, Eindrücke des sinnlichen Menschen. ↩
