§ 4.
1) Die Hierarchie ist ein Gnadengeschenk der göttlichen Güte für Engel und Menschen. 2) Die Einrichtung der hierarchischen Anstalt ist für die Engel eine reingeistige, für uns beruht sie auf vielerlei sinnfälligen Faktoren, wie sie uns in der schriftlichen und mündlichen Offenbarung beschrieben werden. 3) Beiden Arten der Offenbarung bringen wir die höchste Ehrfurcht entgegen, ja wir erkennen in der mündlichen Offenbarung sogar etwas Geistigeres und Höheres, weil sie nicht an die materielle Schrift geknüpft ist, sondern durch das Wort von Geist zu Geist vermittelt wird. 4) Es ist den Wahrheiten der Offenbarung der Charakter des Geheimnisvollen eigen (Arkanwissenschaft). Daher haben die Vorsteher der Kirche in Hüllen und Gleichnissen geredet; nicht alle Gläubigen haben die entsprechende Disposition für das tiefere Erkennen.
Wir sagen also, daß die urgöttliche Seligkeit, das von Natur göttliche Wesen, die Urquelle der Vergöttlichung, aus welcher für alle, die vergöttlicht werden, die Vergottung fließt, in ihrer Gottesgüte zum Zwecke des Heils und der Vergottung aller vernünftigen und geistigen Wesen die Hierarchie geschenkt hat. Den Geistern der überweltlichen und seligen Ruheorte ist sie auf eine mehr immaterielle und geistige Weise verliehen, denn Gott bewegt sie nicht von außen her zum Göttlichen hin sondern auf geistige Art; sie werden innerlich im reinen und unstofflichen Lichtstrahl über den hochheiligsten Willen Gottes erleuchtet1. Uns aber ist das S. 98 Geschenk, das jenen auf dem Wege eines einheitlichen und geschlossenen Erkennens gewährt ist, auf Grund der von Gott eingegebenen Offenbarungen, soweit es für uns tunlich ist, in der Mannigfaltigkeit und Fülle gesonderter sinnbildlicher Zeichen geboten. Das Wesen unserer Hierarchie bilden nämlich die gottentstammten Offenbarungen. Hochehrwürdig erachten wir diese Offenbarungen, welche uns von unsern gotterfüllten Trägern der Weihegewalten2 in den heilig abgefaßten, Gottes Wort enthaltenden Schriften vermittelt worden sind. Und auf gleiche Stufe stellen wir die Geheimnisse, in welche von denselben heiligen Männern unsere geistlichen Führer eingeweiht wurden und zwar in einer weniger stofflichen, der himmlischen Hierarchie schon näher verwandten Unterweisung, nämlich von Geist zu Geist, durch das Mittel des mündlichen Wortes, das zwar noch etwas Materielles an sich hat, aber gleichwohl schon unstofflicher ist, ohne den Dienst der Buchstabenschrift3.
Diese Lehren haben die gotterfüllten Hierarchen zum Zwecke des heiligen Dienstes keineswegs in unver- S. 99 hüllten Aufschlüssen, sondern nur in heiligen Symbolen überliefert. Denn nicht ein jeder ist heilig und die Erkenntnis ist, wie die Schrift sagt, nicht jedermanns Sache.
Vgl. c. h. IV, 4 „Die heiligen Ordnungen der himmlischen Wesen werden in einer Weise, welche … auch unser verstandesmäßiges Erkennen übersteigt, der urgöttlichen Mitteilung teilhaftig …“ ↩
Nach dem Zusammenhange bedeutet das hier gebrauchte ἱεροτελεσταί, das etymologisch einen „sacer Initiator, Konsekrator“ bezeichnet, die Propheten und Apostel, welchen wir die kanonischen Schriften verdanken. Dasselbe ungewöhnliche Wort wird auf Christus angewendet e. h, V, 3, 5: πρῶτος ἱεροτελεστής; auf den „ruhmvollen“ Lehrer des D., der ihm die Triadeneinteilung der Engelchöre mitteilte, c. h. VI, 2. Dagegen figuriert noch in e. h. I, 5 das feierliche Wort ἱεροτελεσταί in einer andern Bedeutung und steht für „Bischöfe“, welche die von den ersten Gesetzgebern der Kirche eingeführte Abstufung des heiligen Wissens strenge einhalten müssen. Ihnen allein, als ὁμοταγεῖς ἱεροτελεσταί, "Konsekratoren gleichen Ranges“, darf der Adressat Timotheus von dem Inhalt des vorliegenden Buches Mitteilung machen. Sonach muß Timotheus notwendig als Bischof gedacht werden. Vgl. c. h. IX, 4; e. h. VII, 3, 11. Die weitere Folgerung wäre nun, daß der mit dem Lehren solcher den Bischöfen vorbehaltenen Geheimnisse sich befassende D. auch ein Bischof sein muß! Aber ep. VIII, 4 bekennt er sich deutlich als Priester, der dem Demophilus die Mönchsweihe erteilt hat (s. Einleitung S. XVIII). ↩
Der Gegensatz von ἔγγραφος und ἄγραφος, „schriftlich beurkundet“ und „ungeschrieben“ wird schon bei Clemens v. Al. mehrfach hervorgehoben. ↩
