10.
Folgendes nun zeigt von einem noch größeren Wunder: wie sämtliche Sammelbecken an einen Sammelort abfließen konnten, ohne daß der eine Sammelort überfüllt wurde. Auch die Schrift nämlich rechnet das unter die Wunder, indem sie ausruft: „Alle Ströme gehen ins Meer, und das Meer wird nicht übervoll“1. Beides nun beruht auf Gottes Anordnung: daß das Wasser fließt und daß es nicht überfließt. Rings umzogen von einer Grenze, die ihnen gesetzt ist, sind die Meere eingeschlossen, daß sie nicht, über die Lande sich ergießend, alles überschwemmen, die bebauten Felder vernichten und den Segen irdischer Fruchtbarkeit verhindern. Möchte man also einsehen, daß dies auf göttlicher Anordnung und himmlischer Wirkung beruht! Es spricht ja der Herr zu Job durch die Wolke unter anderem auch von des Meeres Riegel: „Ich steckte ihm Grenzen, Riegel ihm setzend und Tore. Ich sprach aber zu ihm: bis hierher sollst du kommen und nicht darüber hinausgehen, sondern in dir sollen deine Wogen zerschellen“2. Sind wir nicht selbst häufig Augenzeugen, S. 81 wie das Meer, ob es auch stürmisch flutet, daß seine Wogen wie jähe Wasserberge3 sich türmen, sobald es brandend ans Ufer schlägt, an dessen niederen Sandwällen zurückprallt und in schäumenden Gischt sich auflöst gemäßt dem Schriftworte: „Oder wollt ihr mich nicht fürchten, spricht der Herr, der ich Sand dem Meere zur Grenze setzte?“4 Von dem allerleichtesten, winzigen Kieselsande wird also die stürmische Gewalt des Meeres in Schranken gehalten und wie mit Zügeln kraft der himmlischen Anordnung in die ihr bestimmte Grenze gewiesen: die Hochflut des ungestümen Meeres bricht in sich zusammen und zerteilt sich in ihre landeinwärts gezogenen Wogenringe5.
Prd. 1, 7. ↩
Job 38, 10 f. ↩
‚mons aquae praeruptus‘ nach Verg., Aen. I 105. ↩
Jer. 5, 22. ↩
‚in reductos sinus suos scinditur‘ nach Verg., Aen. I 161. Nachdem die Wogen an der Vorderseite eines Ufereinschnittes sich gebrochen, zerteilen sie sich in ufereinwärts gezogene, immer schwächer werdende Ringe. ↩
