9.
45. Gerade das entspricht der Tugend der Klugheit, sich selbst zu erkennen und — wie es von den Weisen erklärt wird — der Natur gemäß zu leben. Was ist aber so naturgemäß, als dem Schöpfer Dank zu sagen? Blicke doch nur auf zum Himmel, ob er dem Schöpfer nicht Dank darbringt! „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkündet die Werke seiner Hände.“ So bietet auch das Meer, wenn es friedlich und still ist, ein Bild des göttlichen Friedens; ist es erregt, dann zeigt es die Schrecken des höchsten Zornes. Bewundern wir Alle nicht mit Recht Gottes Huld, wenn wir bemerken, daß auch die leblose Natur doch gewissermaßen mit Vernunft ihre Fluthen bändigt, daß auch die Woge Grenze und Ziel für sich erkennt? Was soll ich von den Fluren sagen, welche gehorsam göttlichem Gebote, allen Thieren Nahrung bieten, und welche die Saat, die sie aufgenommen, mit reichlichen Zinsen vermehrt zurückerstatten?
46. Jener nun, der an der Hand der Natur das Wesen des göttlichen Werkes mit der Gluthkraft seines Geistes erfaßt hatte, der wußte auch, daß er vor Allem seinem Erretter Dank darbringen müsse: und da er ihn darbringend nicht hingeben konnte, so behielt er ihn fortdauernd im Besitze. Das ist ja die eigenthümliche Kraft des Dankes, daß er, während er dargebracht wird, im Besitze bleibt. So brachte jener den Dank dar und empfing den Glauben. Denn wer so den Schutz des himmlischen Geheimnisses, das in das Leinentuch eingeschlossen war, erfahren hatte: wie sehr glaubte der wohl, wenn er das Geheimniß mit dem Munde S. 345 empfing und in die Tiefe seines Herzens aufnahm! Wie viel erhabener mußte er es erkennen, wenn er es in seiner Brust trug, da es ihm schon in der Umhüllung des Tuches solchen Schirm bereitet hatte!
47. Wie groß aber auch sein Verlangen war, so vergaß er doch nicht der schuldigen Vorsicht, wie das bekanntlich bei Manchen in der Gluth des Verlangens wohl vorkommt. Er rief den Bischof zu sich, und da er nicht glaubte, daß wahre Dankbarkeit ohne den wahren Glauben bestehen könnte, erforschte er zunächst, ob Jener auch mit den katholischen Bischöfen oder, was dasselbe ist, mit der Römischen Kirche verbunden sei. Und allerdings befand sich ja die Kirche jenes Landes bis zu der Zeit im Schisma; Lucifer hatte sich nämlich damals von unserer Gemeinschaft getrennt. Obgleich derselbe um des Glaubens willen verbannt war und Zeugen seines Glaubens zurückgelassen hatte, so glaubte mein Bruder doch nicht, daß der wahre Glaube im Schisma fortdauere.1 Hält man dabei auch Glauben und Treue gegen Gott, so doch nicht gegen die Kirche, da man duldet, daß ihre Glieder gleichsam zerrissen werden. Da aber Christus um der Kirche willen gelitten hat, und da die Kirche der Leib Christi ist, so scheint ihm doch wahrlich die Treue von denjenigen nicht bewahrt zu S. 346 werden, die sein Leiden fruchtlos machen und seinen heiligen Leib zertheilen.
48. Obgleich er also die Schuld der Dankbarkeit behielt, und auch nicht ohne Furcht war, als Schuldner eines so erhabenen Herrn das Schiff von Neuem zu besteigen, so wollte er doch lieber dorthin eilen, wo er seine Schuld mit aller Sicherheit zahlen konnte. Er war ja überzeugt, daß die Erfüllung der Gott schuldigen Dankespflicht in der Liebe und im Glauben beruhe. Sobald er aber eine Kirche fand, wo ihm die Erfüllung der Pflicht ermöglicht wurde, zögerte er auch nicht länger damit. So empfing er denn die ersehnte Gnade Gottes und er hat sie treu bewahrt.2 Kann es denn nun etwas Weiseres geben als solche Klugheit, welche Göttliches und Menschliches stets geschieden hält?
49. Was soll ich von seiner angestaunten Beredsamkeit in öffentlichen Rechtshändeln sagen? Welch’ glänzende unglaubliche Bewunderung erregte er vor dem Gerichtshofe der hohen Präfectur! Aber ich will doch lieber mein Lob dem spenden, was er selbst nach dem Empfang der heil. Geheimnisse höher hielt als alles Irdische.
Gemeint ist hier der Bischof Lucifer von Calaris in Sardinien. Auf der Synode zu Arles (353) hatte er sich der vom Kaiser Constantius geforderten Verurtheilung des Athanasius mit aller Entschiedenheit widersetzt, indem er darlegte, daß der Angriff auf Athanasius nichts Anderes sei, als eine Verfolgung der nicänischen Lehre. Auch auf der Mailänder Synode (355) zeigte er gleiche Standhaftigkeit im Bekenntnis des Nicänums, wofür er dann vom Kaiser nach Germanicia in Syrien verbannt wurde. Die Heftigkeit seines Charakters verleitete ihn aber, mit den katholischen Bischöfen alle Gemeinschaft abzubrechen, weil diese auf einer Synode zu Alexandrien (362), die Wiederaufnahme der reuig zurückkehrenden Arianer beschlossen hatten. Das Luciferianische Schisma blieb übrigens ohne Bedeutung. ↩
Als Satyrus die mehrfach erwähnte Reise nach Afrika behufs Beitreibung einer Forderung unternahm, hatte er die heil. Taufe noch nicht empfangen. Es war ja keineswegs immer Leichtfertigkeit, wenn in der alten Kirche die Taufe bis zum späteren Alter verschoben wurde. Die Furcht, die Taufgnade in den Stürmen des Lebens wieder zu verlieren, hielt auch wohl gewissenhafte, fromme Männer von dem frühen Empfange der Taufe zurück. Sonst tadeln die Väter mit aller Strenge die Unsitte, die Taufe zu verschieben, um bis zu ihrem Empfange ungestört der Sünde fröhnen zu können. Satyrus hat bei seinem heiligmäßigen Leben sicher nur in übertriebener Aengstlichkeit den Empfang verschoben. Die Gefahr des Todes, in der er sich auf dem Meere befunden, und aus welcher er durch die sacramentale Gegenwart Christi gerettet war, ließ ihn aber zu dem Entschlusse kommen, alsbald die Taufe zu empfangen. ↩
