Text.
Dem geliebtesten Bruder Rufus (entbietet) Innocentius (seinen Gruß).
1. Dem vortrefflichsten und ruhmwürdigsten Moyses übertrug der Herr bezüglich der Befreiung und Leitung S. 82 Israels Alles derart, daß er ihm dennoch in deutlicher Weise befahl, dem Rathe seines Schwagers Jothor zu folgen, daß er nemlich Männer mit entsprechender richterlicher Würde ausgerüstet bestelle, welche nach dem ihnen anvertrauten Posten die Menge der Streitigkeiten unter dem Volke entscheiden sollen, damit er den wichtigsten oder auch göttlichen Angelegenheiten sich widmen könne.1 Nicht anders ist auch die Norm der Apostel verkündet worden, als daß sie, da sie selbst zu Fürsten des Evangeliums eingesetzt waren, die Sorge und Erledigung der übrigen Angelegenheiten und Bedürfnisse ihren Schülern übertrugen. So endlich übergab der durch die Erbarmung Gottes bewunderungswürdige Paulus dem Titus die ganze Sorge über Creta, dem Timotheus über Asien, wie wir es aus den heiligen Briefen2 wissen.
2. Diese von Gott ausgehende Begünstigung soll es in Bezug auf die von mir durch weite Zwischenräume entfernten Kirchen als rathsam erscheinen lassen, daß ich deiner Klugheit und Besonnenheit die Sorge und die allenfallsigen Streitigkeiten in den Kirchen von Achaja, Thessalien, Alt- und Neu-Epirus, Creta, Dacia Mediterranea, Dacia Ripensis, Mösia, Dardania und Prävali3 unter Zustimmung des Herrn Christus zu übertragen beschließe.4 Wahrhaft nach seinen heiligsten Ermahnungen legen wir der Weisheit und Tüchtigkeit deiner Unbescholtenheit diese Sorge aus, indem Dieß nicht wir zuerst anordnen, sondern in Nachahmung unserer apostolischen Vorgänger, welche den seligsten AchoIius und Anysius dieses Amt als Anerkennung ihrer Verdienste zu übertragen beschlossen haben. Denn es ist ebenso sehr gerecht, die Wohlverdienten mit Ehren auszuzeichnen, S. 83 als es nothwendig ist, die Anmaßenden zu demüthigen. Den Guten also gebührt Belohnung, den minder Guten Strafe; so nemlich wird sowohl Dieser gebessert als auch Jener geehrt.
3. Ergreife demnach, geliebtester Bruder, an unser Statt die Sorge über die obengenannten Kirchen, unbeschadet ihres Primates; du seist unter den Primaten der Erste, und was immer sie an uns schicken wollen, mögen sie nicht ohne dein Gutachten begehren. Denn so wird entweder, was immer es sei, durch deine Erfahrung entschieden werden oder nach deinem Rathe an uns gelangen müssen. Wisse aber, daß es dir erlaubt und durch die Genehmigung des apostolischen Stuhles gestattet sei, daß, wenn irgend eine kirchliche Frage entweder in deiner Provinz oder in einer der genannten zu behandeln und zu entscheiden ist, Du dir als Genossen welche Bischöfe immer von welchen Kirchen immer beiziehen kannst, nach deren aufrichtigem und gemäßigtem Rathe du, was immer die Nothwendigkeit oder die Angelegenheit erheischt, als bester Schiedsrichter entscheiden und als vorzüglicher, weil von uns erwählter Vermittler anordnen mögest. Die ganzen Documente ließen wir auf Grund der Archive im Vereine mit dem Priester Senecio, einem sehr gesetzten Manne, abfassen. Daher mögest du sowohl aus unserem früheren Schreiben5 und aus diesem Documente nach genauer Durchlesung ersehen, was deines Amtes ist. Denn diesen unseren Entschluß haben wir in ganz geziemender Weise allen Provinzen brieflich kund gemacht. Gegeben am 17. Juni unter dem neunten Consulat des Honorius Augustus und dem fünften des Theodosius Augustus.6 S. 84
Vgl. Exod. 18, 12–27. ↩
Tit. 1, 5; I. Tim. 1, 8. ↩
Die Provinzen des östlichen Illyriums ↩
Nach Luk. Holstein; die Lesart des Coustant censeant ist wohl nur ein Druckfehler statt censeam. ↩
Damit ist nicht ein früheres Schreiben des Papstes an Rufus, sondern dessen Brieef an Anysius, den Vorgänger des Rufus, gemeint. ↩
D. i. das Jahr 412; gegen TilIemont, welcher unser Schreiben in das Jahr 407 verlegt und die Consulatsangabe für verfälscht erklärt, beweist Coustant deren Richtigkeit; auch Jaffe nimmt das J. 412 an. ↩
