1.
Geliebteste! Die Größe des göttlichen Wirkens übertrifft und überragt gar weit die Kraft der menschlichen Sprache. Worin für uns der Grund liegt, nicht zu schweigen, darin liegt auch die Schwierigkeit, Worte zu finden. Bezieht sich doch in Jesus Christus, dem Sohne Gottes, jener Ausspruch des Propheten: „Wer kann seine Geburt beschreiben?“1 nicht nur auf seine göttliche Wesenheit, sondern auch auf seine menschliche Natur. Wenn nämlich der Glaube nicht daran festhält, daß beide Naturen sich zu einer Person verbunden haben, so vermag keine Rede dies zu erklären. Und gerade deshalb, weil die Wortfülle dessen, der2 preist, nicht ausreicht, gebricht es auch nie an Stoff, zu preisen. Freuen wir uns also, daß wir nicht imstande sind, ein so großes Mysterium der Barmherzigkeit Gottes in entsprechende Worte zu kleiden! Und wenn wir das tiefe Geheimnis unserer Erlösung nicht klarlegen können, so laßt uns in diesem Unvermögen etwas für uns Gutes erblicken! Kommt ja niemand der Erkenntnis der Wahrheit näher, als wer sich bewußt wird, daß ihm in göttlichen Dingen immer noch etwas zu erforschen bleibt, selbst wenn er darin große Fortschritte macht. Denn wer da in seiner Anmaßung wähnt, er habe schon das Ziel seines Strebens erreicht, findet nicht, was S. 132er sucht, sondern ließ es am Forschen fehlen. Damit wir uns aber nicht durch die Beschränktheit unserer schwachen Natur verwirren lassen, kommt uns die Stimme des Evangeliums und der Propheten zu Hilfe. Durch diese werden wir s o erleuchtet und belehrt, daß wir die Geburt des Herrn, durch die „das Wort Fleisch geworden ist“3 , nicht so sehr als etwas Vergangenes im Geiste zu schauen, als vielmehr als etwas Gegenwärtiges mit eigenen Augen zu sehen meinen. Die Botschaft, die der Engel des Herrn den zum Schutze ihrer Herden wachenden Hirten gebracht hat, ist auch zu uns gedrungen. Und darum weiden wir die Schafe des Herrn, weil wir jene von Gott stammenden Worte mit geistigem Ohre vernehmen, gleich als ob auch am heutigen Feste wiederum die Stimme erschalle: „Seht, ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren worden, der Christus, der Herr ist!“4 .
Und damit diese Versicherung durch Teilnahme der himmlischen Heerscharen noch glänzender werde, vereinigt sich mit jener alles übertreffenden Freudenbotschaft der Jubel unzähliger Engel, die alle zur Verherrlichung Gottes das Loblied anstimmen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!“5 . Gottes Ehre also ist die Geburt des Christuskindes aus jungfräulicher Mutter, und die Erlösung des Menschengeschlechtes bietet berechtigten Anlaß zur Verherrlichung ihres Urhebers. Denn auch der Engel Gabriel, der von Gott zur allerseligsten Jungfrau Maria gesandt worden war, hatte verkündet: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten, und darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren werden wird, Gottes Sohn genannt werden“6 . Auf Erden aber wird jener Friede verliehen, durch den die Menschen „guten Willens“ werden. Durch denselben Geist nämlich, durch welchen Christus aus dem Leibe seiner unbefleckten Mutter geboren wird, wird auch der Christ aus dem Schoße der heiligen Kirche wiedergeboren. Für diesen S. 133aber besteht der wahre Friede darin, daß er sich nicht vom Willen Gottes abbringen läßt und sich nur um das freut, was Gott liebt.
